22. Dezember 2023

Jagd auf Waschbären: Einfach notwendig oder völlig unnötig?

„Der Waschbär ist ein munterer, schmucker Bursche, welcher durch große Regsamkeit und Beweglichkeit sehr erfreut“ (A. E. Brehm, Zoologe, 1829-1884). Eine Koexistenz „Waschbär – heimische Tierwelt“ ist möglich. Dies ginge auch ohne Bejagung. Der Artikel „Waschbär – Plagegeist oder heimischer Geselle“ hat die Gemüter aufgewühlt. (Siehe Link unten)

Tagsüber bekommt man einen Wasvhbären in freier Natur selten zu Gesicht – © Pixabay

Insbesondere die Frage nach der Schädigung von Fauna und Flora durch den Waschbären und der damit möglicherweise erforderlichen Bejagung entfachte eine sehr kontroverse Diskussion zwischen Tierschützern, Waschbär-Befürwortern und der Jägerschaft.

Ein genauerer Blick auf die rechtliche Einstufung des Waschbären, seiner Bejagung und insbesondere einer sinnvollen Reduktion der Bestände soll Akzeptanz für eine friedliche Koexistenz schaffen.

Der Waschbär zählt zu den sogenannten invasiven Arten von Tieren, die von Menschen über natürliche Ausbreitungsbarrieren hinweg verbreitet wurden. Diese Arten sind unionsrechtlich geregelt. Die offiziell als „Neobiota“ bezeichneten Arten kommen ursprünglich nicht in Mitteleuropa vor.

Sie werden als „gebietsfremd“ oder „nichtheimisch“ bezeichnet. In der Regel werden Tiere oder Pflanzen absichtlich in die hiesige Umwelt eingebracht (beispielsweise im Jahr 1934 der Waschbär in Mittelhessen), zum Teil jedoch ohne Absicht durch den Handels- und Güterverkehr als „blinde Passagiere“ (Samen, Larven).

Sowohl absichtlich wie nicht absichtlich wären sie nicht aus eigener Kraft in neue Areale vorgedrungen. Durch eine mögliche Schädigung der einheimischen Fauna und Flora hat die europäische Union verschiedene Bekämpfungsstrategien und eine unterschiedliche Einteilung der invasiven Arten vorgenommen.

In der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 (im Folgenden IAS-VO für Invasive Alien Spezies) sind alle als invasiv bekannten Arten aufgeführt. Diese Auflistung wird regelmäßig fortgeschrieben. Insgesamt wird innerhalb der EU von ca. 12.000 gebietsfremden Arten gesprochen, etwa 15 % davon sind invasiv.

Ganz schön neugierig, dieser kleine Kerl.- ©  Dr. med. vet. Frank Langewische

Innerhalb der Liste sind für Deutschland mindestens 168 Tier- und Pflanzenarten bekannt, die die heimische Fauna oder Flora schädigen oder schädigen können. Im Jahr 2022 wurde die Auflistung zuletzt auf 88 invasive Tiere und Pflanzen erweitert, mindestens 46 von ihnen kommen wildlebend in Deutschland vor.

Innerhalb der IAS-VO, dritte Fortschreibung mit Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2022/1203, wird unterschieden zwischen invasiven Arten, die in einem frühen Verbreitungsstadium vollständig bekämpft werden sollen. Bei Arten, die schon längere Jahre verbreitet sind, gestaltet sich dies schwierig. Aus diesem Grunde muss eine Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, und die Verordnung sieht für diese Fälle Managementmaßnahmen zur Bekämpfung vor.

Der Waschbär wird in der aktuellen Unionsliste invasiver Arten in Artikel 19 als „etabliert“ geführt. Dies bedeutet, dass er zu Beginn seiner Ausbreitung in den 30er‑Jahren in Deutschland bejagt werden musste. Da er nunmehr aber als „etabliert“ gilt, und eine Bejagung kein probates, d. h. geeignetes Mittel im Sinne der EU‑Verordnung ist, um eine Reduktion der Bestände herbeizuführen, müssen andere Methoden zur Eindämmung herangezogen werden.

Diese gezielte Managementmaßnahmen sind für jede invasive Art unterschiedlich, für den Waschbären legen diese die Naturschutzbehörde im Einvernehmen mit der Jagdbehörde fest.

Für den Waschbären sind im Management- und Maßnahmenblatt zur IAS-VO mögliche Maßnahmen genannt. Diese sind insbesondere Schutzmaßnahmen, um das Überklettern an Bäumen, Horsten oder Höhlen zu erschweren, in oder an denen schutzbedürftige Arten brüten oder leben.

Waschbären sind nachtaktiv und gönnen sich tagsüber in ihrer Höhle ein Schläfchen – © Pixabay

Auch die Einzäunung ist geeignet, in gefährdeten Gebieten, bspw. mit Bodenbrütern oder der Europäischen Sumpfschildkröte, die Waschbären fernzuhalten. Stollen, in denen Fledermäuse hausen, können gegen das Eindringen von Waschbären durch Gitter oder ähnliche Vergrämungsmittel sicher geschützt werden. Gebiete, in denen Waschbären noch nicht leben, wie Inseln, müssen besonders geschützt werden. Hier dürfen Menschen nicht unbedacht Waschbären einschleppen.

Die gezielte Bejagung des Waschbären zum Schutz gefährdeter Arten wird im Maßnahmenplan zur Verordnung als nur möglich und sinnvoll bezeichnet, z. B. bei Gebieten mit Europäischer Sumpfschildkröte oder bestandsbedrohten, am Boden oder in Kolonien brütenden Vögeln, wenn besondere Rahmenbedingungen vorliegen. Denn häufig müssen hierbei nicht nur der Waschbär, sondern auch andere Prädatoren (Räuber), insbesondere Rotfuchs, Mink und Marderhund, kontrolliert werden.

Die damalige hessische Landestierschutzbeauftragte, welche das hessische Ministerium in Tierschutzangelegenheiten berät, hat ebenfalls zur Thematik der Bejagung Stellung genommen (Dr. med. vet. Madeleine Martin): „Gerade bei schon weit verbreiteten Arten, wie bspw. dem Waschbären, ist die Tötung nicht zwingend erforderlich.“

Sie verweist auch auf die Stellungnahme der EU aus dem Jahre 2017 auf Nachfrage der hessischen Behörde hin, in der deutlich nicht-letale Maßnahmen, wie bspw. die „Pille für den Waschbären“ oder die „Immunokastration“, zur Eindämmung genutzt werden sollen (https://ighw-waschbaer.de/wp-content/uploads/2021/12/Position-zum-Managementplan.jpg).

Als etablierte invasive Tierart muss der Waschbär nicht mehr getötet werden, so ist die derzeitige rechtliche Lage. Die Expertenmeinungen sind sich ebenfalls einig, dass Managementmaßnahmen greifen müssen, um eine Verminderung der Bestände herbeizuführen. Hierbei fallen immer wieder die Schlagworte Pille für den Waschbären, Immunokastration, Sterilisation.

Vonwegen Feinde: Waschbär und Igel verstehen sich bestens und teilen sogar das Fressen – © Dr. med vet. Frank Langewische

Diese Maßnahmen dienen allesamt der Unfruchtbarmachung der Fähen. Im Zusammenhang mit den stetig zunehmenden Jahresjagdstrecken[1], der aber nicht sinkenden Anzahl von Waschbären, kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Bejagung nicht zur Dezimierung beitragen wird.

Wie bereits dargestellt, können Waschbären die Populationsverluste durch eine vermehrte Fortpflanzungsrate ausgleichen. Dieses erfolgt dadurch, dass Waschbären eines Gebietes durch bestimmte Treffpunkte, wie zum Beispiel Hauptschlafplätze oder Kotplätze, miteinander in Kontakt stehen. Über Duftmarken erfolgt der Austausch sozialer, sexueller und nahrungsökologischer Informationen.

Dass nur deshalb die Unfruchtbarmachung durch Kastration oder Gabe von Hormonpräparaten alleine zielführend sein wird, zeigt auch ein Projekt in Italien mit Nutrias. Einvernehmlich mit der EU-Kommission werden dort Nutrias flächendeckend kastriert[2]. Die Bestände konnten auf bis zu 40 % ihrer ursprünglichen Größe reduzieren werden (nutria-info.com).

Darüber hinaus ist ein Habitat, der natürliche Lebensraum der Tiere, limitiert. In Wald und Wiese mit freiläufigen Flächen wird von 1-2 Bären je Hektar ausgegangen, in der Stadt jedoch von 50-150 Tieren. Wird die Anzahl überschritten, kommt es zu einem natürlichen Rückgang durch fehlende Nahrung und Rückzugsmöglichkeiten. Die bei Waschbären vorkommende, aber für den Menschen völlig ungefährliche Staupe und Parvovirose, reduzieren übergroße Bestände ohnehin.

Bei etablierten Tierarten ist eine Bejagung somit nur noch im Ausnahmefall notwendig. Hierin sind sich Regierung und Behörden einig. In Einzelfallen muss jedoch, bis Kastrationsmethoden greifen, im Bedarfsfall auf die Bejagung zurückgegriffen werden.

Die Ansitzjagd ist durch die Schonzeiten der Fähen reglementiert. Diese sind unter Schutz gestellt vom 01.03. bis 31.07. eines jeden Jahres. Jungtiere dürfen ganzjährig bejagt werden. Nur dem wirklich erfahrenden Jäger gelingt jedoch die Differenzierung zwischen älteren, männlichen Jungtieren und der Fähe.

Waschbären sind seit fast 100 Jahren in Deutschland heimisch – © Pixabay

Da in Bezug auf die Bejagung das Thema Ernährung des Waschbärs bezüglich der Schäden an der Fauna eine essentielle Rolle spielt, soll hier ein Exkurs deutlich machen, dass er zu Recht als etablierte invasive Art gilt. Der Waschbär ist ein Sammler, kein Jäger! Sein Nahrungsspektrum erfasst über 30 % Beeren und Früchte, im Vergleich dazu nur 6 % Frösche.

Sehr schlüssig wurde das Nahrungsrepertoire auf der Website der Interessengemeinschaft Hessischer Wildtierpfleger (https://ighw-waschbaer.de/) dargestellt. Diese Website ist darüber hinaus mit zahlreichen lesenswerten und fundierten Veröffentlichungen ausgestattet, die für ein weiteres Eigenstudium empfehlenswert sind.

„Im Rahmen des „Projekt Waschbär“ ( http://www.projekt-waschbaer.de ) wurden im Müritz-Nationalpark über mehrere Jahre 982 Kotproben von Waschbären analysiert und folgende Nahrungskategorien und -anteile ermittelt:

32 % pflanzliche Nahrung

23 % Regenwürmer

16 % Schnecken

07 % Insekten

06 % Fische

06 % Amphibien und Reptilien

04 % Muscheln

03 % Vögel und deren Gelege

02 % Säugetiere (zumeist Mäuse

Quelle: https://www.projekt-waschbaer.de/fileadmin/user_upload/Wildtierforschung_Waschbaer_Band5_final.pdf

Die Gewichtung des Deutschen Jagdverbandes verzerrt dieses Bild. Dieser gibt an: „Nach jahreszeitlichem Angebot hauptsächlich Schnecken, Würmer, Fische, Frösche, Vögel, Eier aber auch zu ca. 1/3 vegetarische Nahrung wie Nüsse, Obst usw.“.

Quelle: https://www.jagdverband.de/zahlen-fakten/tiersteckbriefe/waschbaer-procyon-lotor

Es wird einigen Mitmenschen sicherlich missfallen, aber die Erhebungen des „Projektes Waschbär“ decken sich mit eigenen Beobachtungen. So bevorzugt der Waschbär bei einer Auswahl an pflanzlichen und tierischen Futtermitteln zuerst die pflanzlichen Produkte, wie Nüsse, Sonnenblumenkerne und Früchte (Trauben, Bananen).

Vor dem Fressen wir sich noch schnell geputzt – © Dr. med. vet. Frank Langewische

Bei den tierischen Proteinen stehen ganz deutliche wirbellose Organismen im Vordergrund. Eine sehr schöne Abbildung zum „gedeckten Tisch“ des Waschbären findet sich im Buch „Der Waschbär“ von Ulf Hohmann und Ingo Bartussek (https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1017901281).

Dass der Waschbär rechtlich einen ganz anderen Status als etablierte invasive Tierart innehat, zeigt auch die Reglementierung von Tieren und Pflanzen, die zwingend dezimiert werden müssen. Diese sind im Artikel 16 der IAS-VO aufgeführt. Hierzu zählt beispielsweise die im Sommer 2023 in der Presse vielfach erwähnte und hier exemplarisch genannte Asiatische Hornisse (Vespa velutina nigrithorax).

Sie gilt zurzeit noch als „unbeständig“ und muss bekämpft werden, um die weitere Ausbreitung zu verlangsamen oder ganz zu unterbinden. Sie ist in Deutschland respektive der EU neu und noch nicht so weit verbreitet, richtet jedoch massive Schäden an ungeschützten Honigbienenvölkern an, so dass eine Bekämpfung aus kommerziellen Gründen unverzichtbar ist.

Dass die Problematik der invasiven Pflanzen- und Tierarten sehr umfangreich und komplex ist, wird alleine durch die Tatsache deutlich, dass sich in den Bundesländern die Umweltministerien exklusive in dafür vorhandenen Referaten damit beschäftigen.

Das für Nordrhein-Westfalen zuständige Referat hat jedoch auf persönliche Nachfrage bestätigt, dass es sich bei dem Waschbären gemäß gesetzlicher Grundlage und Erkenntnissen um eine etablierte, aber teils invasive Spezies handelt, bei der es punktuell – nicht in der Fläche – zu Konflikten mit gefährdeten einheimischen Arten kommen kann. Ein aktueller Fall belegt dieses aus dem Raum Aachen für die Prädation von Gelbbauchunken.

Fairerweise muss aber mit bedacht werden, dass solche einzelnen Konflikte ebenfalls bei häufigen heimischen Arten (Bsp. Rotfuchs) und seltenen heimischen Arten (Bsp. Uferschnepfe, Brachvogel, Kiebitz) vorkommen können. Auch hier werden die häufigen Arten bekämpft (schärfere Bejagung des Rotfuchses in Gebieten mit abnehmender Brutpaarzahl bei Bodenbrütern).

Ein niedlicher Waschbär am abendlichen Buffet – © Dr. med vet. Frank Langewische

Schlussfolgernd ist festzustellen: Der Waschbär gehört seit fast 100 Jahren zu Deutschland und ist damit vom Status zwar einen Neozoe, wie Halsbandsittich, Damhirsch, Mufflon, Bisam und Nutria, aber eben eine etablierte Art, die Mitteleuropa nicht mehr verlassen wird!

Wäre er 2016 nicht in die IAS-VO aufgenommen worden, würde er längst als eingebürgertes, heimisches Tier geführt. Wie bei anderen Tierarten ist sein „Siegeszug“ die Folge einer Veränderung des Landschaftsbildes, das nur durch den Menschen entstanden ist.

Es liegt in der Verantwortung des Menschen, nun die Fakten zu akzeptieren und eine sinnvolle Form der Bestandsreglementierung (sofern überhaupt erforderlich) zu wählen, nämlich nur dann eine Entnahme, wenn anderer Alternativen wie Kastration und Wiederauswilderung nicht praktikabel bzw. zielführend sind.

Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen ein gesegnetes, zufriedenes und frohes Weihnachtsfest und einen gesunden Übergang ins Jahr 2024.

Bleiben Sie Waschbär freundlich!

Ihre Dr. med. vet. Marita Langewische

Dr. med. vet. Marita Langewische – © privat

 

Link zum Artikel „Waschbär – Plagegeist oder heimischer Geselle“:

https://www.die-stadtzeitung.de/index.php/2023/10/16/waschbaer-plagegeist-oder-heimischer-geselle/

[1] Jahr 2021/2022 = 201.975; https://www.jagdverband.de/sites/default/files/2023-02/2023-02_Infografik_Jahresjagdstrecke_Waschbaer_2021_2022.jpg)

[2] Anmerkung: Sterilisation bezeichnet das Durchtrennen der Ei- oder Samenleiter; bei der Kastration werden die Eierstöcke und die Hoden entfernt. Das ist die Methode der Wahl, wird aber in der Presse fälschlicherweise oftmals als Sterilisation bezeichnet.

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