16. Oktober 2023

Waschbär – Plagegeist oder heimischer Geselle?

Waschbären haben den Ruf als Schädling, Zerstörer, Krankmacher und Nutznießer von Mülltonnen und Eigenheimen. Ein Blick über die Schulter zeigt den Waschbären jedoch als hoch intelligentes, freundliches und lernfähiges Tier, das sich seinen Platz in europäischen Wäldern verdient hat.

Waschbären sind liebenswerte Tiere, aber immer noch vielen Menschen nicht willkommen sind, die sie nur für lästige Eindringlinge halten, dabei sind sie seit über 90 Jahren in Deutschland heimisch – © Pixabay

Sie tauchen mittlerweile überall auf – die Waschbären. Mit ihrer Augenbinde sehen sie aus, wie die Panzerknacker aus den Comics unserer Kinderzeit. Sind sie in der Tat Einbrecher, denn im Zusammenhang mit dieser Tierart heißt es sofort „invasiv“?

Als die Schwebebahn im August für mehrere Wochen stillstand, wurden Waschbären an den Schwebebahnstationen, u.a. an der Werther Brücke, an den Gleisen direkt im Tal gesichtet. Besorgte Bürger meldeten sich im Internet. Was soll gegen diese Tiere unternommen werden, sind sie gefährlich, wie groß ist der vermeintliche Schaden, den sie anrichten?

Wie „invasiv“ sind die Waschbären?

Zahlreiche Artikel widmen sich der Herkunft, den Gewohnheit, den Nahrungsvorlieben und insbesondere der Schäden, die Waschbären anrichten können. Sie beschäftigen sich mit Sicherungsmaßnahmen des Hauses, damit es sich die Waschbären nicht auf dem Dachboden gemütlich machen können. Auch die Bedeutung des Namens „Waschbär“ wird häufig thematisiert. Ich möchte diese Aspekte nur streifen und die Waschbären als mittlerweile integriertes Tier in der europäischen Fauna beleuchten.

Tagsüber sieht man Waschbären sehr selten – © Pixabay

Als im November 2022 auf unerklärliche Weise nachts am Baum Meisenknödel verschwanden, konnte ich mir dieses Phänomen nicht erklären. Schließlich schliefen die Vögel nachts. Es war mir ein Rätsel, bis ich den ersten Waschbären in unserem Garten entdeckte. Auch mir schoss es zunächst durch den Kopf: „Woher kommt dieser invasive Waschbär?“

Invasive Arten sind alle Tiere oder Pflanzen, die in Gebieten, in denen sie auftreten, normalerweise nicht vorkommen, somit nicht heimisch sind. Ein ganz klassisches Beispiel sind die Kaninchen in Australien. Sie kamen mit der „First Fleet“ – den ersten Sträflingen aus Großbritannien – dorthin. Da die invasiven Arten keine natürlichen Feinde haben, vermehren sie sich rasch und können mitunter erhebliche Schäden anrichten, indem sie einheimische Arten verdrängen, ökonomische und gesundheitliche Folgekosten verursachen.

Seine Heimat hat der Waschbär in Nord- und Mittelamerika (Südkanada, USA, Mexiko bis Costa Rica). Aufgrund seines durchaus begehrten Felles, war er bereits 1920 in deutschen Pelztierzuchtfarmen ein begehrtes Zuchttier. Waschbären sind sehr clever und konnten entwischen – damit begann die Eroberung des europäischen Kontinentes. Die deutsche Population geht jedoch eindeutig auf das 1934 in Nordhessen (Edersee) ausgewilderte Pärchen eines Försters zurück.

Ganz schön neugierig, dieser kleine Kerl.-©  Dr. med. vet. Frank Langewische

Die dichteste Besiedelung mit Waschbären verzeichnet derzeit das Bundesland Hessen.

Sind die Kriterien einer invasiven Art beim Waschbären erfüllt? Schäden in Fauna und Flora richtet er im klassischen Sinne nicht an. Verwüstungen werden nur dann in Haus und Hof angerichtet, wenn der Waschbär keinen natürlichen Lebensraum im Wald findet und somit auf Stadtgebiete und Wohnungen ausweichen muss.

Einen natürlichen Feind hat der Waschbär, genau wie Dachs und Marderhund, im Uhu und natürlich durch den Straßenverkehr und die ganzjährige Bejagung durch den Menschen. Um ein wirklich „neues“ Tier handelt es sich auch nicht, da er mittlerweile seit gesicherten 90 Jahren durch deutsche Wälder streift. Trotzdem wurde er 2016 auf die EU-Liste der invasiven Tierarten aufgenommen.

Waschbär – „Schadbär“ und Gourmet oder Gourmaud?

Wird von den durch Waschbären angerichteten Schäden gesprochen, sind immer die Spuren gemeint, die sie in Wohngebieten hinterlassen. Auf ihrer Nahrungssuche plündern sie gerne Mülltonnen, wie auch bei den Schwebebahnhaltestationen beobachtet wurde, oder sie nisten sich auf Dachböden ein, um zu überwintern oder ihre Nachkommen großzuziehen. Wie Sie sich vor nicht zahlenden Untermietern schützen können, finden Sie u.a. in zahlreichen Ratgebern um Haus und Garten1.

Waschbären sind Allesfresser und ernähren sich sehr ausgewogen. Sie lieben Insekten, Würmer und Frösche oder kleine Echsen. Genauso gerne mögen sie aber Beeren und Nüsse. Grundsätzlich essen sie sehr fetthaltig, um sich für den Winter ein Polster für die Winterruhe anzulegen. Als Lieblingsspeise auf dem europäischen Kontinent gilt der fettige Meisenknödel.

Ein niedlicher Waschbär am abendlichen Buffet – © Dr. med vet. Frank Langewische

Angeblich stehen auch Igel, Ratten und Hühner auf dem Speiseplan. Da Igel und Waschbären in friedlichem Beisammensein ihre Nahrung aufnehmen und bisweilen sogar der Eindruck entsteht, dass der Igel gerne in Gesellschaft der Waschbären frisst (Fotomaterial bei der Autorin), halte ich das für ein Gerücht. Alle Igel versorgenden Bürgerinnen und Bürgern kann ich deshalb beruhigen: Ihren stacheligen Pflegegästen wird kein Stächelchen gekrümmt.

In dichter besiedelten Wohngebieten steht die Mülltonne als Nahrungsquelle bereit. Reste von Fastfood und Pizza werden nicht verschmäht, stellen aber sicherlich keine gute Nahrungsquelle für den Waschbären da. In Wuppertal hat der Waschbär sich im Tal an der Wupper angesiedelt und findet dort ein gutes Nahrungsangebot an kleinen Wassertieren.

In die Stadt selber ist das schlaue Tier nur gekommen, weil die Schwebebahn eine verordnete Ruhepause eingelegt hat. Die Motorengeräusche halten den schreckhaften und vorsichtigen Waschbären nämlich normalerweise von waghalsigen Unternehmungen ab.

Waschbären sind nachtaktiv und gönnen sich tagsüber in ihrer Höhle ein Schläfchen – © Pixabay

Eine tatsächliche Schätzung darüber, welche Schäden an der heimischen Fauna und Flora durch Waschbären verursacht werden, gibt es nicht. Die befürchteten Schäden an Fauna oder Flora richtet er zumeist gar nicht an und ernährt sich ähnlich der Gewohnheiten des Dachses, der in Deutschland heimisch ist.

Auch fällt er keine Bäume wie der Biber. Dieser legt durch den Dammbau großflächig Felder unter Wasser. Der Waschbär hat sich an die hiesigen Bedingungen adaptiert und nutzt den Lebensraum genauso, wie es die als heimisch geltenden Biber, Dachse und Marderhunde tun.

Der unverstandene Waschbär

Der Charakter und das Verhalten des Waschbären sind viel vielfältiger, als dies allgemein bekannt ist. Waschbären gehören innerhalb der Überfamilie der Hundeartigen zu den Kleinbären. In ihren Verhaltensweisen ähneln sie beiden Tierarten. Fühlt der Waschbär sich angegriffen, so fletscht er die Zähne. Hat er Angst und will einen vermeintlichen Angreifer abwehren, macht er sich groß und stellt sich aufrecht auf die Hinterbeine.

Erwachsene Waschbären können so eine Größe von ca. 1,20 m erreichen. Gelegentlich wird auch in der direkten Konfrontation mit Artgenossen der „Katzenbuckel“ gesehen. Er ist keinesfalls aggressiv und zieht sich bei Geräuschen oder der Annäherung von Mensch und Tier sofort zurück. Mehrere Tiere weichen sogar gleichzeitig vor einer herannahenden Katze aus.

Vonwegen Feinde: Waschbär und Igel verstehen sich bestens und teilen sogar das Fressen – © Dr. med vet. Frank Langewische

Angeblich streife der Waschbär alleine. Ein Verbund einzelner Tiere sei selten anzutreffen. Diese Beobachtung kann ich gänzlich aufgrund eigener Beobachtungen nicht teilen. Waschbären sind sehr gesellige und verträgliche Tiere. Sie treten mit mehreren Tieren gleichzeitig auf, dabei können Alttiere mit Jungtieren gemeinsam durch die präferierten totholzreichen Laub- und Mischwälder streifen.

Kleinere Auseinandersetzungen um das beste Futter verlaufen ohne Blessuren. Auch verletzte oder gehandicapte Tiere werden nicht aus der Gruppe verstoßen, was bei vielen anderen Tierarten üblich ist. Der Waschbär ist somit ein äußerst empathisches Tier.

Auch ist der Waschbär kein hemmungsloser Jäger auf kleine Wasser- und Landtiere, wie Igel. Für eine Schale mit Weintrauben lässt er sofort jedes andere Futter stehen und genießt förmlich, wenn der süße Saft in seine Kehle läuft. Dazu wird extra der Hals nach oben gestreckt, damit auch alles im Mund bleibt.

Große und kleine Panzerknacker sind sehr intelligent. Sie erkunden ihre Umgebung und prägen sich Einzelheiten ein. Sie klettern gerne in das Katzenhaus oder spielen mit ihren Schwestern und Brüdern im Garten. Die Fensterscheibe zum Haus wird ertastet und schnell begriffen, dass die zweibeinigen Bewohner jenseits der Scheibe „im Käfig hausen“.

Die Gesichter prägen sich die Tiere ein und reagieren nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr scheu, sondern scheinen vielmehr durch Blickkontakt ein „Hallo“ sagen zu wollen. Einer direkten Begegnung weichen sie aber unmittelbar aus.

Ein „Panzerknacker“ auf der Pirsch – © Pixabay

Jungtiere sind wie kleine Kinder. Sie sind verspielt, müssen alles anfassen und machen Unordnung, zerstören aber zumeist nichts. Die künstlichen Porzellanfrösche in unserem Teich werden zwar herausgeangelt, aber bei den zahlreichen Spielversuchen sind sie nie zu Schaden gekommen. 

Stellen Waschbären eine Gesundheitsgefährdung für Mensch und Tiere dar?

In der Presse wurde vielfach vor den Gefahren durch die Übertragung von Würmern, also Endoparasiten, durch den Kot von Waschbären gewarnt. Gerade durch die Arbeit im Garten bestünde eine besondere Gefahr. Diese Sorge möchte ich Ihnen jedoch weitgehend nehmen. Waschbären – das sagt schon der Name – sind äußerst reinliche Tiere. Sie legen an einem festen Ort eine gemeinsame Toilette, die sogenannte Latrine, an. Über diese Latrine kommunizieren die Waschbären untereinander.

Sie können daran erkennen, wie gut oder schlecht das Nahrungsangebot und wie groß ihre Gemeinschaft ist. Sie erkennen auch, ob ihre Artgenossen gesund oder erkrankt sind. Über diese Latrine wird schlussendlich auch die Größe ihrer Population gesteuert. Sind zu viele Tiere krank oder durch Gefahren des Straßenverkehrs oder durch Bejagung ums Leben gekommen, so zeugen die Waschbären mehr Jungtiere beziehungsweise sie paaren sich zweimal, statt einmal jährlich.

Jung, niedlich und neugierig: Drei Waschbären-Junge – © Pixabay

Auch der Erreger der Tollwut konnte bislang noch nicht beim Waschbären nachgewiesen werden. Anders als der Fuchs, ist der Waschbär kein Aasfresser und kann somit im Grunde genommen nicht mit dem Erreger der Tollwut in Berührung kommen und damit die Krankheit auf den Menschen oder andere Tiere (Hunde, Katzen) übertragen.

Sollte sich ein Waschbär in einem Wohngebiet jedoch auffällig verhalten, dabei auch öfter umknicken oder hinfallen, bei Ansprache überhaupt nicht weglaufen und ein ungepflegtes Fell zeigen sowie unterernährt sein, können dieses eindeutige Hinweise auf eine Staupe-Erkrankung des Tieres sein.

Die Viruserkrankung Staupe kommt bei allen hundeartigen Tieren vor und wird als Tröpfcheninfektion durch verunreinigtes Futter oder Wasser übertragen. Für den Menschen ist sie gänzlich ungefährlich. Sollten sie einem solchen Tier begegnen, bitte die untere Jagdbehörde beziehungsweise den Jagdausübungsberechtigten informieren. Diese werden notwendige Schritte zum Einfangen des Tieres veranlassen.

Regulation der Population – Pilotprojekt in Berlin

Waschbären dürfen bejagt werden, Jungtiere ganzjährig und erwachsene Tiere vom 01.08. bis 28.02. Einen guten Überblick über die Abschüsse gibt die sogenannte Jagdstrecke (www.jagdverband.de; Deutscher Jagdverband, Handbuch 2023). Im Jagdjahr 2021/2022 wurden 201.975 Waschbären im Bundesgebiet getötet. Davon 33.268 in Hessen mit der höchsten Dichte von Waschbären in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen wurden 25.124 Waschbären geschossen.

Leider hilft die Bejagung nur bedingt bei der Reduktion der Population. Durch die gemeinsame Latrine können die Waschbären die Population steuern. Werden sie bejagt, werden mehr Nachkommen produziert. Eine wirksame Eindämmung kann nur durch gezielte Kastrationsmaßnahmen erwirkt werden. Führend für dieses Vorhaben ist Berlin (www.hauptsache-waschbaer.de).

Vor dem Fressen wir sich noch schnell geputzt – © Dr. med. vet. Frank Langewische

In der Initiative „Hauptsache Waschbär e.V.“ wird das Pilotprojekt Kastration von Waschbären vorangetrieben. Aus Hessen wurde bereits das Kastrationsmobil für die Kastration wildlebender Katzen ausgeliehen, um die Kastrationen durchzuführen. Zeitgleich soll bewirkt werden, dass kastrierte Waschbären wieder ausgewildert werden dürfen.

Tierärztliche Versorgung der liebenswerten Tiere sowie Aufklärung in Kitas und Schulen über die fehlerhaften Informationen zu Waschbären gehören ebenfalls zur Aufgabe des Vereins. Die Initiative ist vorbildlich für das, was wir als Bürgerin und Bürger begreifen sollten: Der Waschbär gehört als Wildtier mittlerweile zur heimischen Fauna!

Prävention der Hausbesiedelung

Grundsätzlich kann ich alle Vorsichtsmaßnahmen betreffend einer Besiedelung des Wohnhauses und Grundstückes unterstützen: Regenrinnen mit Vorrichtungen gegen das Hinaufklettern versehen; Bäume und Äste in Nähe des Daches kurz halten, so dass ein Hinübersteigen auf das Dach unmöglich wird; Mülltonnen in Garagen oder entsprechenden Mülltonnenhäusern unterbringen; kein Futter für Vögel über Nacht im Garten belassen; Fallobst aufsammeln usw.

Dr. med. vet. Marita Langewische – © privat

Ansonsten gebe ich Ihnen die Empfehlung, die in Deutschland friedlich mit anderen Waldbewohnern lebenden Waschbären einfach in Ruhe zu lassen. Sie ziehen sich nach ihrem nächtlichen Abendessen aus den Mülltonnen der Stadt zurück und verbringen den Tag schlafend in ihren Höhlen. Einmal eingefangene Waschbären dürfen nach gesetzlichen Vorgaben nicht wieder ausgewildert werden. Die spärlich vorhandenen Auffangstationen sind überfüllt und können kaum noch Tiere aufnehmen.

Sollten Sie dennoch einem Waschbären begegnen, zücken Sie Ihr Handy. Sie werden lange Freude an dem freundlichen Gesicht des Waschbären haben.

Bleiben Sie mit Ihren Haustieren gesund!

Ihre (nun hessische)-Tierärztin aus dem Tal

DR. MED. VET. MARITA LANGEWISCHE

 

Lesen SIE auch den Fachartikel „The Raccoon (Procyon lotor) as a Neozoon in Europe“ von Matthias Bernhard Stope:

https://www.mdpi.com/journal/animals

Kommentare

  1. Norbert Beutel sagt:

    „Sind die Kriterien einer invasiven Art beim Waschbären erfüllt? Schäden in Fauna und Flora richtet er im klassischen Sinne nicht an.“

    Falsch_

    „Als nachtaktiver Allesfresser macht er sich mit Vorliebe über Vogelnester her und dezimiert so die Bestände vieler heimischer Vogelarten. Auch Fledermäuse und die ohnehin schon vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte sind durch den Waschbären akut gefährdet.“ (Quelle: http://www.ass-schaedlingsbekaempfung.de/waschbaeren)
    „Waschbären gehören zu den invasiven
    Arten, die nicht nur die heimische Fauna gefährden, sondern auch Krankheiten wie z.B. Tollwut, Staupe, Spulwurm, Infektionen u.a. auf Haustieren und Menschen übertragen können.“
    Nicht alles, was nett aussieht, ist auch gut für die Umwelt.
    Sollte sich eine promovierte Veterinärmedizinerin eigentlich nicht von einem Laien sagen lassen müssen.

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