1. Mai 2021

Arzt warnt: Impfpass kann in 5 Minuten gefälscht werden

Ein Info-Zettel machte ihn quasi über Nacht zum bekanntesten deutschen Hausarzt. Mit einem Aushang im seinem Wartezimmer hatte sich Dr. Christian Kröner (39) aus Neu-Ulm Impfgegner und Verschwörungstheoretiker humorvoll zur Brust genommen: "Nein, wir setzten Ihnen bei der Impfung keinen Chip ein", stand da zu lesen. Der Info-Zettel mit dem wirkungsvollen Spruch wurde in Windeseile zum Internet-Hit und inzwischen über 20 Millionen Mal geteilt.

Dr. Christian Kröner, Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin. Sein Info-Zettel schlug kräftig Wellen –  © privat

Bei allem Humor, was dem Allgemeinmediziner ernsthaft Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen gefälschte Impfpässe kaufen, um sich so, wenn der Lockdown gelockert wird, Freiheiten zu erschleichen. Ein Impfpass, der fälschlicherweise dokumentiert, dass der Inhaber gegen Covid-19 geimpft ist, könnte demnächst die Eintrittkarte ins Restaurant, Kino, Theater , Konzert oder auch ins Bundesligastadion sein.

Von PETER WILHELMSSOHN

Im Interview spricht der Allgemeinmediziner aus Neu-Ulm über Versäumnisse in der Test- und Impfstrategie, digitale Lösungsmodelle und die Maßnahmen der Bundesregierung.

DS: 53 Schauspieler kritisierten mit ihren Videos unter dem Stichwort „#Allesdichtmachen“ die Corona-Politik der Bundesregierung. Wie beurteilen Sie diese Aktion?

Dr. Christian Kröner: „Ich empfinde dies als Beleidigung gegenüber dem medizinischen Personal, das sich seit einem Jahr massiv um die Opfer der Corona- Pandemie kümmern muss und völlig am Limit ist. Es ist gegenüber den Toten und Angehörigen der Verstorbenen einfach nur zynisch. Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung ist völlig in Ordnung und wichtig im Rahmen einer freien, demokratischen Gesellschaft. Aber nicht in diesem verachtenden Stil und dieser verhöhnenden Tonart.“

DS: Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes – die sogenannte „Bundes-Notbremse“ mit Ausgangsbeschränkungen – wurde vergangene Woche durch den Bundestag beschlossen und den Bundesrat bestätigt. Sind diese Maßnahmen angemessen?

Dr. Christian Kröner: „Eine bundesweite Regelung ist seit langem überfällig und wichtig, weil bisher jeder Ministerpräsident selbst und eigenverantwortlich mit Strategien experimentiert hat. Die Ausgestaltung dieser Bundes-Notbremse krankt aber an den üblichen Problemen der Halbherzigkeit. Die Grenzen für die Maßnahmen sind mit einer Inzidenz von 100 deutlich zu hoch angesetzt.

Hotspot war eigentlich bereits ab 50. Die Einschränkungen betreffen massiv den privaten Bereich, während die beruflichen Einschränkungen eher ineffizient und halbherzig ausgestaltet sind. So darf ich mich im Privatleben nur mit einer weiteren Person außerhalb meines Haushaltes treffen. Im Betrieb bestehen diesbezüglich jedoch keine Begrenzungen. Solange die betriebliche und schulische Testpflicht freiwillig ist, endet der Lockdown nie.“

DS: Was ist aus Ihrer Sicht die Alternative?

Dr. Christian Kröner: „Ich fordere eine Gesamtstrategie im Rahmen einer No-Covid Strategie. Ein Teil dieser Strategie wäre ein mehrwöchiger Lockdown, der ebenfalls das Berufsleben betreffen würde und somit zu einem schnellen Fall der Inzidenzen führen würde. Die Betriebe und Schulen müssten geschlossen werden, bis die Inzidenzen gefallen sind, damit das Infektionsgeschehen wieder kontrollierbar und nachvollziehbar ist. Ab diesem Punkt ist eine vollständige Öffnung mit einer konsequenten Test- und Nachverfolgungsstrategie wieder möglich. Dies wäre für die Wirtschaft weniger schädlich, schneller und planbar als die bisherigen sehr inkonsequenten Maßnahmen der Politik. Dies würde die Pandemie schneller und planbarer beenden als bisherige Maßnahmen der letzten zwölf Monate. Viele andere Länder haben diesen Weg bisher erfolgreich beschritten. Ich erkenne bisher keine strategische Langzeitstrategie in der deutschen Politik.“

DS: Immer mehr gefälschte Impfpässe sind im Umlauf. Wie ist das möglich? Wie ist dem vorzubeugen?

Dr. Christian Kröner: „Der gute alte gelbe Impfpass war über Jahrzehnte ein juristisch ungefährliches Dokument, da dessen Besitzer zum Eigenschutz ein Interesse daran hatte, dass die darin enthaltenen Daten korrekt sind und stimmen. Die Corona-Pandemie aber führt dazu, dass in gewissen Kreisen ein hochgradiges Interesse entstehen kann, die Angaben dieses Dokumentes zu fälschen. Gerade in Anbetracht von möglicher Aufhebung von Grundrechtsbeschränkungen. Weder die Politik noch die Impfstoffhersteller sind darauf vorbereitet. So wurde anfangs von der Firma Biontech mit einer unfassbaren Naivität das Original-PDF-Dokument zum Bedrucken der Impf-Kleber mit der aktuellen Chargennummer frei für jeden herunterladbar auf der Webseite zur Verfügung gestellt, anstatt wie sonst üblich fertig bedruckte Kleber den Impfstoffen beizulegen. Somit konnte jeder mit etwas krimineller Energie dieses PDF verwenden, um einen weißen Blankobogen mit Original-Impfklebern zu bedrucken. Die gelben Impfpässe sind frei verkäuflich erhältlich. Mit einem Fantasie-Stempel – gerne auch mit den Originaldaten eines Arztes – und einer Unterschrift ist jeder Impfpass mit einem Kostenaufwand von drei Euro und innerhalb von fünf Minuten nahezu nicht erkennbar gefälscht. Aufgrund dieser neuen Anforderungen und auch Gefährdungen durch diese Fälschungen ist es dringend notwendig, einen fälschungssicheren digitalen Impfpass einzuführen. Nur mit dieser digitalen Lösung ist ein sicheres Öffnen von beispielsweise Geschäften, Restaurants, Kinos oder öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte und Bundesliga-Spiele für Geimpfte möglich.“

DS: Sie haben in Ihrer Petition an die Bayerische Landesregierung der Politik Verschwendung des Impfstoffs vorgeworfen und die ministerielle Erlaubnis gefordert, dass restliche Impfstoffe in den Dosen von Biontech und AstraZeneca verimpft werden dürfen. Was war der Grund?

Dr. Christian Kröner: „Mir ist während meiner Tätigkeit in einem bayerischen Impfzentrum aufgefallen, dass die nicht komplett entleerten Impfstoff-Flaschen nach Entnahme der sechs Dosen Biontech beziehungsweise zehn Dosen bei AstraZeneca aus juristischen Gründen entsorgt werden. Die Impfstoffflaschen enthalten zu diesem Zeitpunkt aber noch völlig intakten Impfstoff. Dieser ist medizinisch einwandfrei und könnte problemlos lebensrettend verimpft werden. Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass in nahezu jeder Impfflasche von Biontech eine komplette weitere Impfdosis zusätzlich zu den offiziellen sechs enthalten ist. In jeder 10-Dosen Flasche von AstraZeneca sind es sogar zwei Impfdosen extra. Biontech enthalten nach Zubereitung 2,25 ml Impflösung, pro Impfung werden 0,3 ml benötigt. Macht rechnerisch 7,5 Impfdosen. Nur sechs sind aber zugelassen. So sind in Bayern bisher geschätzte 300.000 bis 400.000 Impfdosen in den Impfzentren im Müll gelandet, was viele Menschenleben gekostet hat, die man mit diesen Rest-Impfdosen hätte retten können. Dies stellt für mich während einer tödlichen Pandemie einen absoluten Skandal dar.“

DS: Wie verfahren Sie mit den Rest-Impfdosen?

Dr. Christian Kröner: „In meiner Praxis verwende ich – wie auch jeder Arzt, den ich kenne – den gesamten Impfstoff und habe bisher gegenüber den offiziell gelieferten Dosen 17 Prozent mehr Leute impfen können. Rechnet man das auf Bayern hoch – völliger Wahnsinn. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat inzwischen auch die Nutzung der siebten, beziehungsweise elften Dosis in einem Schreiben offiziell empfohlen, solange die Dosen komplett entnehmbar sind. Bayern bleibt bei seiner Ablehnung.“

DS: Die Landesregierung hat angekündigt, dass für AstraZeneca ab sofort die Priorisierung entfällt und jeder mit diesem Impfstoff geimpft werden kann. Demnach müssten sich am Montag vor Ihrer Praxis lange Schlangen bilden – oder?

Dr. Christian Kröner: „Die Schlangen haben sich bereits gebildet. Am Tag nach der Ankündigung zur Aufhebung der Impf-Priorisierung für Astrazeneca hatten wir 50 Anrufe in der Praxis von jungen Patienten, die sich impfen lassen wollten. Mir ist nicht klar, wie man zu diesem Zeitpunkt eine Freigabe für Astrazeneca öffentlich erklären konnte, da das bayerische Gesundheitsministerium wusste, dass in der folgenden Woche keine einzige Dosis Astrazeneca in irgendeine bayerische Arztpraxis geliefert werden wird. Somit war es uns nicht möglich, die Impfwünsche in irgendeiner Form zu erfüllen. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Wochen ausreichend Astrazeneca Impfstoff dafür bekommen.“

Dr. Christian Kröner – © privat

DS: Sie impfen in Ihrer Hausarztpraxis, sind aber auch im Impfzentrum tätig. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Dr. Christian Kröner: „Die Impfzentren hatten anfangs ihre Berechtigung, um die scharfe Priorisierung der Impfstoffe zu gewährleisten und die anfangs doch schwierige Handhabung des Impfstoffes sicherzustellen. Es gab auch in dem Impfzentren deutliche Anlaufschwierigkeiten, da Behörden plötzlich Impfungen organisieren mussten, womit sie kaum bis keine Erfahrung hatten. Der Zeitdruck war diesbezüglich nicht unerheblich. Die Abläufe im Impfzentrum funktionierten trotzdem sehr gut, der behördliche Anmeldeprozess für das Impfzentrum stellte aber eine einzige Katastrophe dar, besonders für die ältere Generation ohne Internet. Die Einbindung der Arztpraxen mit ihrer jahrzehntelangen Impf-Kompetenz kam zu spät. Wir können auch die Unsicherheit mancher Bevölkerungsteile gegenüber der neuartigen Impfung gut abfangen, da ein jahrelanges Vertrauensverhältnis besteht.“

DS: Bei Infektionen sind Nachverfolgungen oft nicht möglich, weil die Gesundheitsämter überfordert sind und viele Testungen noch immer per Zettelwirtschaft vorgenommen werden. Wie ist dieses Problem lösbar?

Dr. Christian Kröner: „Die jahrelang verpasste Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens und des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist uns in der Pandemie nun schmerzhaft auf die Füße gefallen. Auch wir faxen unsere positiven Befunde weiter an das Gesundheitsamt. Eine Digitalisierung der Pandemie-Abläufe ist dringend notwendig und einer der Schlüssel zur Lösung dieser Pandemie. Es sollte eine komplette Vernetzung zwischen Test-Anbietern wie Arztpraxen oder Testzentren genauso wie Impfanbietern und Impfzentren erfolgen, um einen Überblick über die aktuelle Infektionssituation zu gewinnen. Infektionsketten sind aktuell aufgrund der langsamen, analogen Meldewege schlecht zu unterbrechen. Eine digitale Vernetzung der Impf-, Test- und Meldewege unter Einhaltung des Datenschutzes ist dringend geboten.“

DS: Testverfahren in Kitas, Schulen und Betrieben sind noch immer uneinheitlich, lückenhaft und unvollständig erfasst. Was empfehlen Sie?

Christian Kröner: „Vor der Öffnung von Schulen, Betrieben und Kindertagesstätten ist ein klares Test- und Überwachungskonzept notwendig. Was ein planloses Öffnen der Schulen mit den Infektionszahlen macht, haben wir leider sehen müssen. Ein halbwegs sicherer Schul- oder auch Arbeitsbetrieb ist nur mit einer konsequenten strategischen und möglichst digital organisierten Testung und Überwachung möglich. Auch dieses Konzept würde keinen hundertprozentigen Schutz ermöglichen, aber die Sicherheit erheblich steigern. Ein sofortiges Unterbrechen der Infektionsketten wäre mit einer täglichen Testung möglich.“

DS: Im Landkreis Tuttlingen startet ein Pilotprojekt in Schulen. Wie funktioniert das Model? Was erhoffen Sie sich davon?

Dr. Christian Kröner: „Der Landkreis Tuttlingen geht mit der Implementierung des Smart Health Check von Huber Health Care einen mutigen, vorbildlichen Schritt in die Volldigitalisierung der Schnelltest-Strategien an Schulen. Diese Digitalisierung über eine App beschleunigt die Unterbrechung von Infektionsketten erheblich und vermindert den Verwaltungsaufwand auf ein Minimum bei maximaler Übersicht.

Der Landkreis Tuttlingen hat erkannt, dass mit dieser digitalen Lösung eine schnellere Rückkehr zu einem normalen, durch Tests gesichertem Schulbetrieb bei kontrollierbaren Inzidenzzahlen möglich ist. Das ist der Weg, den wir für eine Gesamtöffnung brauchen.“

DS: Corona-Warn-App, Luca-App, digitaler Impfpass – viele blicken nicht mehr durch. Was wäre die Lösung?

Dr. Christian Kröner: „Im Kern geht es um ein konsequentes, datenschutzkonformes digitales verfolgen der Kontakte, verwalten der PCR und Schnelltest, sowie ein fälschungssicherer Nachweis des Impfstatus zur Eindämmung der Pandemie und Rückkehr zu einem schrittweisen normalen Leben. Im Idealfall ist alles in eine einzige App integriert. Die Technologie ist dafür vorhanden. Nun muss dies mit politischem Willen auch konsequent genutzt werden. Man könnte dann digital seine Impfungen oder seinen negativen Schnelltest nachweisen und diese als eine Art Eintrittskarte zum Einlass zum Beispiel in Geschäfte, Restaurant und bei öffentlichen Veranstaltungen sowie bei Flugreisen nutzen.“

DS: Die dritte Welle ist ungebrochen, seit nunmehr 14 Monaten hält die Pandemie die Welt und unser Gesellschaft im Griff. Welche Prognose wagen Sie?

Dr. Christian Kröner: „Sollten wir es schaffen, mit dem Lockdown die Inzidenz in den Bereich von unter 30 zu drücken und die Impfkampagne über die Arztpraxen nun endlich deutlich an Fahrt gewinnen, sehe ich eine realistische Chance, die Pandemie bis zum Herbst größtenteils so zu bremsen, dass weitreichende Lockerungen und Öffnungen auch im Rahmen einer No-Covid Strategie und digitalen Teststrategie möglich sind.

DS: Vielen Dank für das offene, informative Gespräch

 

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