15. Oktober 2018

‚Wegweiser‘ gegen gewaltbereiten Salafismus

Das Präventionsprojekt „Wegweiser“ gegen gewaltbereiten Salafismus: Auch Frauen und Kinder sind Teil des Problems.

NRW Innenminister Herbert Reul ist für die Sicherheit im Bundesland zuständig – © Foto: IMNRW / Jochen Tack

Als die „Sharia Polizei“ 2014 in Wuppertal unterwegs war, erschrak die halbe Republik. Sieben junge Männer waren in der Elberfelder Innenstadt unterwegs, um – wie sie sagten – als Ordnungshüter junge Muslime vom Glückspiel, Alkoholkonsum, Disco- und Bordellbesuchen abzuhalten.

Der Auftritt der selbst ernannten Sittenwächter hatte bundesweit Empörung ausgelöst. Bundesweites Aufsehen erregte der Fall dann noch einmal, als das Wuppertaler Landgericht die Träger mit den orangenen Warnwesten und der Aufschrift „Sharia Police“ freisprach und ein weiteres Mal, als der Bundesgerichtshof dieses Urteil in diesem Jahr aufhob und den Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht zurückverwies.

In der Szene selbst ist es inzwischen scheinbar deutlich ruhiger geworden. Das könnte der Erfolg eines Präventions-Projektes des Landes NRW gegen gewaltbereiten Salafismus sein, das den Namen „Wegweiser“ trägt und das Ziel hat, mögliche Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen und jungen Heranwachsenden bereits in ihren Anfängen zu verhindern.

Wuppertal gehörte nach Düsseldorf, Bochum und Bonn zu den ersten Standorten, an denen das anfangs noch politisch umstrittene Projekt im April 2015 an den Start ging. NRW-weit existieren derzeit 13 Beratungsstellen. Die Zahl wird bis Ende des Jahres auf 25 aufgestockt.

Die Umsetzung des Projekts blieb den Kommunen überlassen. Die drei Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen haben die „Beratungsstelle Bergisch Land“ eingerichtet, um gemeinsam mit Netzwerkpartnern, konzentriert Hilfesuchenden aus der Region eine Anlaufstelle zu bieten. Sie hat heute an der Berliner Straße in Oberbarmen ihre Geschäftsstelle, die auf Wunsch gerne auch telefonisch und anonym angegangen werden kann.

Fachbereichsleiter Stefan Friese spricht von einer erfolgreichen Arbeit, man sei etwa 100 Mal mit jungen Muslimen konfrontiert gewesen, die in die Islamistenszene abzurutschen drohten. Die insgesamt gemachten guten Erfahrungen werden auf das Konzept zurückgeführt, an dem auch drei hauptamtliche Islamwissenschaftler beteiligt sind.

Kompetente Fachleute also, die wissen, was Salafisten, Dschihadisten und Islamisten antreibt und was sie unterscheidet. Sie analysieren die individuelle Situation und koordinieren konkrete Schritte. Die Betreuer beraten, begleiten bei Terminen oder nehmen Kontakt mit Expertinnen und Experten auf (u. a. Jugendeinrichtungen, Behörden, Imame und muslimischen Einrichtungen). Vernetzung sei notwendig, um für gefährdete Jugendliche individuelle Auswege zu entwickeln. Da es fast immer um religiöse Hintergründe geht, gelinge es sehr häufig, die Ansichten zu hinterfragen und auch zu widerlegen, berichtet Stefan Friese.

Die, um die es geht, sind in der Regel jung, „zwischen 14 und 18 Jahre alt“ und männlich. Sie gehören zur Gruppe der Gastarbeiter-Kindeskinder, die es nicht geschafft haben. Jugendliche zwischen allen Stühlen. Nicht mehr in der Kultur der Eltern verhaftet, in der hiesigen nicht angekommen. Underdogs, die „den religiösen Fanatismus progressiv umdeuten und sich selbst als Avantgarde sehen“, sagt Prof. Marco Schöller, Islamwissenschaftler an der Uni Münster.

Nach Beobachtungen der Wuppertaler Einrichtung hat sich die Szene gewandelt, auch Frauen und Kinder seien mit steigendem Anteil inzwischen „Teil des Problems“. Fachleute gehen davon aus, dass sich salafistische Aktivitäten aus der Öffentlichkeit in Hinterhöfe und Privaträume verlagert haben. Eines scheint sicher: Die Prävention gegen Radikalisierung ist eine Aufgabe, die auch in der Zukunft noch lange zu den ganz großen Herausforderungen gehören wird.

Text: Siegfried Jähne

Hintergrund-Daten

Die Zahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Nach Angaben des Düsseldorfer Innenministeriums lag ihre Zahl 2012 bei rund 1.000; Ende 2017 waren es rund 3.000, von denen fast 800 als Gefährder und offen gewaltorientiert eingestuft werden. Auch wenn sich das Wachstum zuletzt verlangsamt hat, konstatiert der NRW-Verfassungsschutz, dass die „Attraktivität des extremistischen Salafismus für junge Menschen ungebrochen ist“.

Nach Ministeriumsangaben sind 85 Prozent der Salafisten männlich und drei Viertel zwischen 20 und 40 Jahre alt. 44 Prozent besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Zahl der Konvertiten liegt bei zehn Prozent.
Scharia ist die arabische Bezeichnung für islamisches Recht und beruft sich auf den Koran und die überlieferte Lebenspraxis des Propheten Mohammed.

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