Hans-Dietrich Genschers Steckenpferd

Der Mann im gelben Pullunder, die kommunale Außenpolitik und Wuppertal. Hans-Dietrich Genscher wurde am 21.03.1927 in Reideberg, dem östlichsten Stadtteil von Halle (Saale), geboren. Seinen Wahlkreis hatte der beliebte und geachtete FDP-Politiker in Elberfeld-West.

Dr. Matthias Dohmen, Journalist, Schriftsteller und Autor der STADTZEITUNG – © privat

Städtepartnerschaften gehören zum Inventar der internationalen Beziehungen. Einer, der ihre Bedeutung zu schätzen wusste und der selbst etwa bei der Anbahnung der Kontakte zwischen Košice und Wuppertal entscheidend initiativ wurde, ist der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der den Wuppertaler Journalisten Dr. Matthias Dohmen 2003 zu einem Gespräch über die Bedeutung der kommunalen Außenpolitik in seinem Bad-Godesberger Büro empfing. Dohmen erinnert sich an die Begegnung mit dem großen Politiker, der am 31. März im Alter von 89 Jahren verstorben ist.

Er saß mir in seinem gelben Pullunder gegenüber, der zu seinem Markenzeichen geworden war. Das Treffen war auf Vermittlung von Ernst-Andreas Ziegler zustande gekommen, der sich in seiner Amtszeit als Pressechef der Stadt intensiv um die Beziehungen zu den Partnerstädten kümmerte, zu denen Beer Sheva in Israel, das französische Saint-Étienne, Košice (damalige ČSSR), Legnica (Liegnitz) in Polen, das nikaraguanische Matagalpa und South Tyneside auf der britischen Insel gehören.

„Wenn erst einmal Begegnungen der vielfältigsten Art selbstverständlich sind, ist Völkerverständigung keine Phrase mehr“, zeigte sich Genscher überzeugt: „Man muss ja sehen, dass diese Partnerschaften mit einer sehr breiten Begegnung von Menschen aus Kommunen in den beteiligten Ländern einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass Vorurteile abgebaut werden konnten, das heißt, dass auch unsere Partner in anderen Ländern – und das gilt in besonderem Maße auch für Israel – sich davon überzeugen konnten: In diesem Deutschland, das nach dem Kriege entstanden war, ist ein Geist vorhanden, der nicht nur in der Verfassung steht, sondern der von den Menschen bejaht wird: Und diese menschlichen Verbindungen, die da entstanden sind, haben ein festes Netz geknüpft, das auch den Belastungen von politischen Gegensätzen und Meinungsverschiedenheiten, wie sie ganz unvermeidbar sind, standhalten konnte.“

Genscher lehnt sich zurück und bekräftigt: „Mein Kalkül war, dass man Menschen zueinander bringen muss, das heißt, dass die Vorstellung eines größeren Europas und eines zusammenwachsenden Europas, wie es in der Schlussakte von Helsinki angelegt war, auch in der Praxis durchgesetzt werden muss. Das war natürlich fast undenkbar in Prag, und es hat ja lange, lange Zeit gedauert, bis man sich dort entschlossen hat, dieser Idee zuzustimmen. Man hat noch mal lange Zeit gebraucht, um herauszufinden, was der geeignete Ort ist, schließlich ist es dann so geworden, und ich glaube, dass man heute sagen kann, das war einer der kleinen Durchbrüche durch die große Mauer.“

Der langjährige FDP-Vorsitzende, der seinen Wahlkreis in Wuppertal hatte und der wie kaum ein anderer für die deutsche Nachkriegsdiplomatie steht, fixiert sein Gegenüber und sagt zum Gewicht und zum Begriff der kommunalen Außenpolitik: „Der hat viel Substanz. Das sage ich natürlich als jemand, der die Außenpolitik immer als eine öffentliche Sache betrachtet hat. Ich habe mich ja zu allen außenpolitischen Fragen in allen Medien, die zur Verfügung standen, immer wieder geäußert, weil es mir darum ging, die Außenpolitik herauszunehmen aus einer Vergangenheit, wo sie eher als Politik in Konferenzen und Besprechungsserien betrachtet wurde. Ich war der Meinung, dass es zu der notwendigen Vertrauensbildung auch für unser Land nur kommen würde, wenn das Ausland sich davon überzeugte, dass die Politik, die die Regierung macht, vom Volk getragen wird und dass man nicht befürchten muss, dass bei einem Regierungswechsel in Deutschland plötzlich eine andere Außenpolitik gemacht wird. Und wenn ich gefragt worden bin ‚Warum bemühen Sie sich so sehr um breiteste Zustimmung für Ihre Außenpolitik?‘ dann habe ich gesagt: ‚weil ich unseren Nachbarn die Gewähr bieten möchte, dass sie es mit einer Außenpolitik zu tun haben, die sich unabhängig von der Zusammensetzung von Bundesregierungen durch Kontinuität und Verlässlichkeit auszeichnet.‘ Das ist gelungen, und ein wichtiger Beitrag dazu wurde durch diese kommunalen Partnerschaften geleistet, die damit zu einem Teil unserer Außenpolitik geworden sind.“

So deutlich hatte noch nie – und hat auch später nicht – ein deutscher Außenminister zur „kommunalen Außenpolitik“ Stellung genommen. Der Beitrag, für den ich nach Bad Godesberg gefahren war, erschien am 29.10.2003 in der Sendung „Hintergrund Politik“ des Deutschlandfunks. Gegen Ende des Gesprächs – daran kann ich mich noch gut erinnern – blickte der geborene Hallenser Hans-Dietrich Genscher auf die Uhr und sagte entschuldigend, wir müssten zum Ende kommen, weil er noch seine Enkelin zum Reitunterricht fahren müsse. In diesem Augenblick erwies sich der Mann, der als Bundesaußenminister weltweit Schlagzeilen zu machen verstand, als liebevoller und pflichtbewusster … Großvater.

Dr. Matthias Dohmen, Journalist, Schriftsteller und Autor der STADTZEITUNG – © privat

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