20. November 2023

Lesefestival „LangLese“: Was ist eigentlich Heimat?

Was ist eigentlich Heimat? Das hinterfragten 25 Lesungen beim Lesefestival "LangLese" in Langerfeld. Heimat ist mehr als ein Ort. Heimat ist ein Sehnsuchtsort und ein reales Erleben. Heimat ist Sinnbild für Vertrautheit einer Welt, des sich Auskennens und Wiedererkennens.

Andreas Bialas, NRW-Landtagsabgeordneten und Mitorganisator des Lesefestivals „LangLes“ (l.), mit Lorenz Bahr, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen © „LangLese“

Drei Wochen lang beschäftigten sich beim Langerfelder Lesefestival „LangLese“ Literateninnen, Wissenschaftler und Politikerinnen mit dem Thema „Bunte Heimat“. Jeden Tag fanden an verschiedenen Orten quer durch den Stadtteil ganz unterschiedliche Veranstaltungen statt.

Zum Auftakt sprach Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Antisemitismusbeauftragte von NRW. Sie ordnete ein („Israel war immer der sichere Zufluchtsort für Juden – jetzt haben sie Angst“), nannte historische Probleme und schilderte ihre Ansätze.

Sie setzt sich dafür ein, dass angehende Lehrer sich mit Antisemitismus beschäftigen müssen, dass es eine Meldestelle für antisemitistische Vorfälle gibt und dass Gerichte Antisemitismus-Beauftragte festlegen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die NRW-Antisemitismusbeauftragte – © „LangLese“

Außerdem hat sie ein Zweitzeugen-Projekt für Schüler ins Leben gerufen. Kerstin Claus, Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, forderte Schutzkonzepte und Teams mit ausgebildeten Experten in allen Bereichen der Gesellschaft.

„In jeder Schulklasse sind statistisch gesehen ein bis zwei Kinder, die sexuelle Gewalt erlebt haben – wir müssen Berührungsängste verlieren und handlungsfähig werden!“, forderte sie in der Bandfabrik in Langerfeld im Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Andreas Bialas.

„Dass der Missbrauch sofort unterbrochen wird, ist nicht alleinig entscheidend – oft wichtiger ist, dass die Kinder und Jugendliche einbezogen werden in die nächsten Schritte, damit sie sich auch einlassen können. Und sich gezielt darum zu kümmern, auch Beweise für den Missbrauch zu sichern“, sagte Kerstin Claus.

Die Wuppertaler Mundart-Gruppe OPAAs ehemals „Striekspöen“ bei der Auftaktveranstaltung des Lesefestivals  „LangLese“ – © „LangLese“

Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum diskutierte mit dem Landtagsabgeordneten Josef Neumann die Lage in der Ukraine. Dabei schilderte sie auch, wie viele der Ukrainerinnen versuchen, sich zwischen der Heimat im Kriegsland und der neuen Heimat in Deutschland zurechtzufinden.

Eine große Bandbreite witziger, aber auch nachdenklicher Texte rezitierten sechs Autoren beim Poetry Slam im Forum Langerfeld. Sie sinnierten zur Freude des Publikums über Alltagsbeobachtungen, Begegnungen und gesellschaftliche Strömungen.

Was Heimat bedeutet, wenn jemand eine andere Hautfarbe hat als die Mehrheit der Nachbarn, beleuchtete Mithu Sanyal auf hohem intellektuellem Niveau. „Identität ist immer etwas, das zwischen Menschen verhandelt wird“, betonte sie und verwies darauf, dass das Konzept des „Weiß-seins“ erst zusammen mit dem Sklavenhandel entstand, um das Misshandeln der Schwarzen zu rechtfertigen.

Die Teilnehmerin und die Teilnehmer des Poetry Slam – eingerahmt von Margret Hahn und Andreas Bialas (l.) – © „LangLese“

Mit Kurt Tucholsky setzte sich Lorenz Bahr, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen auseinander. Er zog die Parallele zwischen den Heimatvertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg integriert werden mussten, und den Geflüchteten heute.

Ein großes Problem, so Lorenz Bahr, sei die Anerkennung der Ausbildungen angesichts der großen Vielfalt von Ausbildungswegen. Wie wichtig Heimat für Menschen im Krieg ist, machten Dr. Katja Schlenker und Prof. Dr. Winfrid Halder an Feldpostbriefen und militärischen Berichten aus Stalingrad deutlich.

Reiner Rhefus erzählte spannend von der Hyperinflation im Jahr 1923, Ulla Krah und Stefan Neumann gaben eine kurzweilige Deutschstunde und Stefan Barz las in den Räumen des ehemaligen KZs Kemna aus seinem Kemna Krimi.

Erinnerung an einen einst prägenden Beruf im Tal: Margret Hahn (3.v.l.), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Andreas mit Männern im Garnbleicher-Outfit – © „LangLese“

Jochen Rausch stellte seinen neuen Krimi „Im toten Winkel“ vor und gab spannende Einblicke in seine Zeit als Rundfunk-Programmchef beim WDR. „Wir hatten viele positive Rückmeldungen zu den Veranstaltungen und freuen uns, dass wir den Langerfeldern die Möglichkeit bieten konnten, direkt vor ihrer Haustür Lesungen zu erleben“, sagten die Organisatoren Margret Hahn (Bürgerverein Langerfeld) und Andreas Bialas. Sie planen schon die nächste „LangLese“ in zwei Jahren.

Text: Tanja Heil

Der Journalist, Buchautor und Musiker Jochen Rausch – © „LangLese“

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