9. Dezember 2025Peter Pionke
Endspiel: „Radikalste Ausformung des Absurden Theaters“
Thomas Braus, Wuppertals Schauspiel-Star und Schauspielintendant in Personalunion, verkörperte den Thyrannen „Hamm“ in Samuel Becketts Klassiker „Endspiel“ in grandioser, unnachahmlicher Weise – © Dana SchmidtJetzt feierte die Inszenierung von Henner Kallmeyer sowie der Dramaturgie von Moritz Müller im Theater am Barmer Engelsgarten Premiere. Das Schauspiel „Endspiel“ trifft in seiner Urfassung eine tief pessimistische und existenzielle Aussage. Sie dreht sich im Kern um die scheinbare Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins in einer postapokalyptischen, sinnentleerten Welt.
Die deutsche Premiere 1957 in Berlin stieß auf so großes Unverständnis, dass das Stück bereits nach acht Vorstellungen abgesetzt wurde. Erst Sam Becketts eigene Berliner Inszenierung, zehn Jahre später, brachte es auf 150 Vorstellungen und wurde von der Kritik gefeiert.
Becketts existenzielle Darstellung von menschlichem Leben basiert auf philosophischen Fragen, die von den 1950er und -60er Jahre geprägt wurden. Die Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die folgende atomare Aufrüstung führten europaweit zu einer intellektuellen Krise und viele Denker zu dem Schluss, dass die menschliche Existenz kaum einen inhärenten (innewohnenden) Sinn oder eine Essenz haben könne.
„Erleben der Zeitlichkeit und der Vergänglichkweit“
Ausgehend von diesem Denken führte Beckett die Reduktion von Bedeutung und Handlung, die in seinem erfolgreichen „Warten auf Godot“ bereits angelegt war, im Werk „Endspiel“ radikal weiter“. (Zitat NTM). Eine biografische Ebene sind Erfahrungen mit dem Tod seines an Lungenkrebs erkrankten Bruders, den er in den letzten drei Monaten seines Lebens pflegte.
Der Thyrann Hamm (Thomas Braus) und sein Diener Clov (l. – Kevin Wilke) bekämpften sich unerbittlich – © Dana SchmidtDer renommierte deutsche Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker Thomas Anz bezeichnete das Stück 2006 aus Anlass des 100. Geburtstag vo Beckett als „radikalste Ausformung“ des „Absurden Theaters“ und der britische Theaterwissenschaftler Martin Esslin nannte das Stück 1961 in seinem Buch „The Theatre of the Absurd“ die Offenbarung eines archetypische „Erleben der Zeitlichkeit und der Vergänglichkeit“, das das Gefühl „der Hoffnungslosigkeit vermittle, welches den Menschen in Zuständen tiefer Depression befalle“.
Die Dramaturgie in der Beschreibung der Wuppertaler Bühnen liest sich so: „Der Himmel ist grau oder vielleicht hellschwarz, die Sonne ein für alle Mal untergegangen. Die Wogen am Horizont sind aus Blei, die Samen in der Erde keimen nicht mehr. Alles ist vorbei. Hamm und Clov sind übrig geblieben, nach dem Ende der Welt. Das „Endspiel“ stelle danach Zuschauerinnen und Zuschauer seit seiner Londoner Uraufführung im Jahr 1957 (Originaltitel: Fin de partie) vor scheinbar unauflösbare Rätsel.
Ein Stück voller bitterböser, zynischer Komik
Das „Endspiel“ handelt von dem blinden, gelähmten Hamm (Thomas Braus) und seinem Diener Clov (Kevin Wilke), die letzten Überlebenden einer unbestimmten Katastrophe, die auf das unabwendbare Ende warten. Sie leben in einem kahlen Unterschlupf und warten halb sehnsüchtig, halb ängstlich auf das absolute Ende. In Kallmeyers Inszenierung ist die Bühne karg (Bühne & Kostüme Silke Rekord), bis auf den Stuhl, auf dem Hamm sitzt und einer Klappleiter, die Clov hin und wieder nutzt, um in die Ferne zu schauen. Mehr gibt es nicht.
Mondäne Kostüme und ein minimalistisches Bühnenbild: Thomas Braus und Kevin Wilke füllten den Raum mit ihrer Schauspielkunst genial aus – © Dana SchmidtDie Beziehung zwischen dem blinden, gelähmten Tyrannen Hamm und seinem Diener Clov, eine Hass-Liebe, ist ein zentraler Ausdruck dieser Absurdität. Es ist alles absurd, alles unklar. Hamm ist auf die Pflege seines Dieners Clov angewiesen, um zu überleben. Doch es kommt der Tag, an dem Clov seinem Herrn verkündet, dass er ihn verlassen wird, denn „irgendetwas gehe seinen Gang«. Hamms Leben hängt von Clov ab, während Clov ohne Hamms Vorräte nicht überleben könnte. Keiner hat die Kraft, den Kreislauf zu durchbrechen.
Brillante Schauspieler contra Tristes
Die Figuren versuchen die schmerzhafte Wartezeit mit Anekdoten und Wortspielen zu überbrücken. Die Aneinanderreihung teilweise völlig unsinniger Dialoge, von Thomas Braus und Kevin Wilke in knapp 90 Minuten brillant vorgetragen, haben dann tatsächlich Absurdes: „Ich sage mir manchmal, Clov, du musst noch besser leiden lernen, wenn du willst, dass man es satt kriegt, dich zu strafen“. Oder Hamm: „Du verpestest die Luft. Mach mich fertig, ich will mich schlafen legen.“ Clov: „Ich habe dich gerade geweckt.“ Hamm: „Ja, na und?“ – Clov: „Ich kann dich nicht alle fünf Minuten wecken und wieder schlafen legen, ich habe zu tun“.
„Nichts ist komischer als das Unglück“
Der Diener wird beherrscht vom blinden und gelähmten Hamm, der in einem Rollstuhl sitzt. Neben ihm wartet auf steifen Beinen Clov, den Hamm vor langer Zeit „wie einen Sohn“ aufgenommen hat und der ebenfalls nur noch mühsam gehen, aber auf keinen Fall sitzen kann. Hamms Eltern, Nagg und Nell, die bei einem Unfall ihre Beine verloren haben, hausen, unfähig, dem Raum zu entkommen, in zwei Mülltonnen und werden in dieser Theater-Version nur kurz als Puppen dargestellt, die das berühmte Zitat von Hamms Mutter zum Thema Leiden zum Ausdruck bringen: „Nichts ist komischer als das Unglück.“
Kevin Wilke glänzte in der Rolle des Dieners Clov – © Dana SchmidtTrotz der offensichtlichen Ausweglosigkeit spielen die Figuren ihre alltäglichen Rituale, ihre Machtspiele und ihre Beziehungen weiter. Sie wiederholen dieselben Fragen und Antworten, ein zwanghaftes Weitermachen oder Warten auf das Nichts. Das Stück will verdeutlichen, dass das Ende bereits im Anfang liegt und man doch weiter mache.
Die Botschaft des Stücks thematisiert das Warten, die Sinnlosigkeit und die paradoxe Vitalität, die im unaufhörlichen „Weiterspielen“ liegt, bis nichts mehr übrig ist. Die Welt außerhalb des Raumes ist tot oder verschwunden, aber innerhalb der Mauern wird das Leben, wenn auch als qualvolle Farce, fortgesetzt.
Das Ende ist im Endspiel ein zäher, unaufhörlicher Zustand
Das Ende ist in „Endspiel“ kein Abschluss, sondern ein zäher, unaufhörlicher Zustand. Zitat: “Es ist Zeit, dass es endet. Schluss damit. Und doch zögere ich, ich zögere noch“. Zusammenfassend ist „Endspiel“ ein schmerzend komischer Abgesang auf menschliche Gewissheiten, Hoffnungen und der Illusion eines höheren Sinns, der das menschliche Dasein auf seine existenzielle Einsamkeit und die Vergeblichkeit des Handelns reduziert.
Blind, gelähmt, verbittert, bösartig: Hamm (l. -Thomas Braus) macht seinem Diener Clov (Kevin Wilke) das Leben zur Hölle – © Dana SchmidtTrotz des ernsten Themas ist das Stück voller bitterböser, zynischer Komik. „Man lacht darüber, solange es neu ist, aber es ist immer dasselbe“. Im finalen Stadium dann: „Ich sehe mein Licht, das stirbt. Es gibt keine Natur mehr. Die Natur hat uns vergessen“.
Die Sinn stiftende Kraft des Spielens
Samuel Beckett stellt den Sinn-Begriff selbst in Frage. Danach gebe es keine höhere Macht, keine Hoffnung auf Besserung oder Erlösung. Der Mensch sei auf seine Existenz reduziert, ohne dass ein transzendenter (übersinnlicher) Sinn erkennbar wäre. Das gesamte Leben erscheine, gleich der letzten Phase eines Schachspieles, als ein „von jeher verlorenes Endspiel.“
Der Text wurde seither als Parabel auf das nukleare Zeitalter der Massenvernichtungswaffen oder die katastrophalen Folgen des Klimawandels auf die Bühne gebracht, kann aber auch als Stück über das Theater selbst und die Sinn stiftende Kraft des Spielens verstanden werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: „Endspiel“ ist ein kulturelles Werkzeug, das von den Interpreten genutzt wird, um existenzielle Dringlichkeit thematisch zu adaptieren. So aktuell z.B. auch, um die Folgen der Umweltkrise darzustellen. Das Schauspiel Wuppertal zeigt Sam Becketts „Endspiel“ im Theater am Engelsgarten bis April 2026. Die nächste Vorstellung ist am 16. Januar.
Text: SIEGFRIED JÄHNE
Link zur Webseite der Wuppertaler Bühnen:
http://www.wuppertaler-buehnen.de
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