26. Juni 2025Peter Pionke
IHK-Präsident: Sommerempfang als politischer Weckruf

IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge konnte in der Historischen Stadthalle mehr als 800 Gäste aus Wirtschaft und Politik begrüßen. Für IHK-Präsident Henner Pasch bot sich die Gelegenheit, mit persönlichen Worten alle drei scheidenden Oberbürgermeister des Städtedreiecks, nämlich Uwe Schneidewind, Tim Kurzbach und Burkhardt Mast-Weisz zu verabschieden.
Alle drei stehen bei der kommenden Kommunalwahl nicht mehr zur Wahl. Henner Pasch sprach von einem bevorstehenden, besonderem politischen Herbst. Das sei „eine große Chance für einen echten Neustart sowie eine Richtungsbestimmung in der Region“ sagte er.
Seine anschließende Rede hatte es dann in sich und sollte als Weckruf für die nachfolgende, im Herbst zur Wahl stehende Politiker-Generation verstanden werden. Pasch spann in seiner 30minütigen, engagierten Rede eine großen Bogen. Gewohnt kritisch ging er Themen der Zeit an und sparte in seiner interessanten Analyse nicht mit heftiger Kritik an den politischen und wirtschaftlichen Zuständen im Bergischen Land – und das ohne dabei Verantwortungsträger auszuklammern.

Wuppertal, Solingen und Remscheid – das sei eine Region mit fast 650.000 Menschen, mit einer hervorragenden Wissenschaftslandschaft, innovativen Unternehmen, Weltmarktführern und echten „Hidden Champions“. Und es klang nach Anachronismus: „Zu oft, eigentlich immer, agieren wir noch nebeneinander statt miteinander. Alles Verwaltungstechnische wird dreimal vorgehalten und leider auch dreimal mit wenig Abstimmung“.
„Unsere drei Städte sind zusammen die sechstgrößte Stadt Deutschlands“
Henner Pasch: „Zusammen sind unsere drei Städte die sechstgrößte Stadt Deutschlands, vor Stuttgart, Düsseldorf und Leipzig. Im Umkreis einer Autostunde wohnen mehr als 20 Millionen Menschen. Da sollte es sich lohnen, sehr ernsthaft und gemeinsam über wichtige Projekte, wie z.B. den Bau einer Multifunktionshalle, nicht nur für den Bergischen Handballclub, nachzudenken“. Eine Aussage, die dem IHK-Chef spontanen Beifall der Besucher einbrachte. Aber auch für andere Projekte, wie die Bundesgartenschau 2031 sowie das Remscheider Outlet Center forderte er mehr bergische Zusammenarbeit.
Die Diagnose des IHK-Präsidenten zum hiesigen Wirtschaftsstandort gab indessen zu denken, sie war ernüchtern, wenn nicht besorgniserregend. Die Arbeitslosenquoten in allen drei Städten liege über dem Landes- und Bundesdurchschnitt. Die Krankenquote der Beschäftigten im Bergischen sei absolute Spitze. Die Wirtschaftskraft je Einwohner dümpele gleichzeitig im gesamten Städtedreieck massiv unter den Landes- und Bundeswerten.

Und wenn es darum ginge, unsere Region Auswärtigen für einen Kurzurlaub vorzuschlagen, müssten einem Bedenken kommen: Platz 395 von 400 für Remscheid bei den Gästeübernachtungen, nur getoppt von Solingen auf Platz 399. Das sei hart!
„Haben wir im Bergischen vielleicht schlicht ein Kommunikationsproblem?“
Dann der Glasfaser-Ausbau in NRW: Im Durchschnitt seien in NRW 35 Prozent der Haushalte angeschlossen. In Remscheid nur 11,8%, Wuppertal 14,8% und Solingen 1,8%. „Haben wir im Bergischen vielleicht schlicht ein Kommunikationsproblem?“, fragt Henner Pasch. Die KiTa-Versorgung für unter Dreijährige? Immerhin 26,5% im Städtedreieck, in NRW, Essen und Bochum jedoch deutlich höher. Diese Städte haben ähnliche Probleme – aber offenbar bessere Lösungen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Im Bergischen funktioniere das eher nicht!
Die öffentliche Verwaltung sei übrigens die Top-Wachstumsbranche in Solingen. In den letzten zehn Jahren habe es in der Stadtverwaltung der Klingenstadt ein wahres Beschäftigungswunder gegeben – ein Zuwachs von 38 Prozent, 150 Stellen allein für den Bereich „innere Verwaltung“. Auch in Wuppertal und Remscheid vermisse er „Digitalisierungserfolge“.

Zum Pragmatismus führte Henner Pasch aus: .“Wir kennen viele Beispiele, wo es aktuell leider anders läuft. Mit der eigenwilligen Auslegung des Baurechts werden zum Beispiel Kitas von Unternehmen verhindert“. Und weiter: „Wenn eine Ausländerbehörde mehr als vier Monate braucht, um die Aufenthaltserlaubnis eines dringend benötigten Ingenieurs mit festem Arbeitsvertrag zu verlängern, dann ist das schlicht nicht akzeptabel.“
Ein trauriger Spitzenwert: Der produktive Kern der Wirtschaft schmilzt
Gleichzeitig schmelze aber der produktive Kern der Wirtschaft. Innerhalb von nur zwei Jahren seien z.B. in Solingen mehr als zehn Prozent der Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe verschwunden – ein trauriger Spitzenwert in Deutschland. In unseren Städten fehle an allen Ecken und Enden das Geld. Die Pro-Kopf-Verschuldung im Städtedreieck liege um über 50 Prozent höher als der NRW-Durchschnitt – und wir lassen damit selbst Städte wie Duisburg und Essen deutlich hinter uns.
Alleine die zusätzlichen Schulden, die die drei Städte in der Coronazeit, der Zeit der sehr flexiblen Vergabe, für zukünftige Generationen aufgehäuft haben, nannte Henner Pasch wörtlich: Ein Wahnsinn!“ Nicht ohne Sarkasmus fügte er rhetorisch hinzu: „Interessiert das wirklich jemanden?!“

Regierungspräsident Thomas Schürmann habe die Haushalte bzw. Doppelhaushalte trotz enormer Neuschulden genehmigt. Henner Pasch: „Die für die Zukunft dann geplanten Einnahme-Anpassungsmaßnahmen überstiegen jede Vorstellungskraft – und interessiert es irgendjemanden? Nein!“ Und mit starker Rhetorik untermauerte er mehr als deutlich: „Das müsste es aber!“
Kommunalpolitik sei nicht Verwaltung sondern Standortpolitik. Das Bergische Städtedreieck brauche dringend Rückenwind. Was erwarte man von der neuen kommunalpolitischen Führung in unseren drei Städten? Die therapeutischen Forderungen ließen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Transparenz, Tempo, Zusammenarbeit und Mut. Es sei Zeit für einen Neustart. Bei den Städten „sollte die Frage lauten, wie können wir das gemeinsam besser, effizienter und schneller machen, als wir es alleine könnten?“
Henner Pasch zum Schluß: „Ich baue auf konstruktive Ratsmehrheiten und ich erwarte Stadtoberhäupter, die diesen Neustart für unsere Region mit aller Kraft gestalten. Nur so und nicht anderes werden die politischen Ränder wieder schmelzen.“ Dann sagte er nach einer kurzen, rhetorischen Sprechpause: „Puh!“
120.000 plötzlicher Herzstillstände pro Jahr, es gelte Bewusstsein zu schaffen
Henner Pasch leitete dann über zu einem Herzensthema, der Laien-Reanimation. Pasch war nach dem Verlust eines Freundes auf das Thema Reanimation gestoßen und in Kontakt mit Prof. Dr. Susanne Schwalen, Leiterin der Ärztekammer Nordrhein, gekommen. Beim Sommerempfang zeigte er einen Film, um das Thema in die Firmen zu tragen.

Dr. Susanne Schwalen sagte, es gebe 120.000 plötzliche Herzstillstände pro Jahr, 70.000 würden reanimiert, aber nur zehn Prozent überlebten. Man müsse die Reanimationszahlen erhöhen, um die Sterblichkeit zu senken, appellierte Dr. Schwalen.
Dafür wolle man Bewusstsein in den Firmen geschaffen werden. Aufmerksam gemacht wurde auf die Initiative „NRW rettet Leben“ (Laienreanimation – Ärztekammer Nordrhein) und den Film „Prüfen.Rufen.Drücken. – Du kannst nichts falsch machen. Ausser nicht machen.“
Am Beginn einer neuen Ära: „ Sobald es funktioniert, nennt es keiner mehr KI“
Dann ging es um die Chancen der KI für die industrielle Nutzung. Tobias Meisen, Professor für Technologien und Management der Digitalen Transformation an der Bergischen Universität, machte in seinem Vortrag deutlich, wie der Wandel gestaltet und Werte geschöpft werden könnten: „KI ist ein Werkzeug, es kommt drauf an, wie wir sie nutzen“, sagte er und zeigte Beispiele aus der Praxis, die Unternehmen die Arbeit erleichtern können – beim Nachhaltigkeits-Berichtswesen, bei visueller Qualitätskontrolle oder Produktionsplanung.
„Wir sind weit weg davon, sagen zu können ‚KI betrifft uns nicht‘“, meinte Tobias Meisen, sie sei vielmehr schon allgegenwärtig. Wir stünden am Beginn einer neuen Ära von Bildung, Arbeit und dem Leben an sich. „As soon as it works, no one cals it al anymore“ („Sobald es funktioniert, nennt es keiner mehr KI“) erinnerte er an ein Zitat von John McCarthy, einem Mitbegründer der künstlichen Intelligenz.

Eine eindrucksvolle Gestaltung hatte das Rahmenprogramm. KI-Magier Simon Pierro zeigte, wie faszinierend und magisch KI sein kann. Er ließ einen Tennisball im IPad verschwinden, zapfte Bier aus dem Gerät oder stach sich selbst über ein Handy das IHK-Logo als Tattoo.
Musik vom Blasorchester der Bundeswehr
Für die Musik am Abend sorgte das in Hilden stationierte Blasorchester der Bundeswehr unter Leitung von Professor Christoph Willer. Das Ausbildungsmusikkorps ist die zentrale militärmusikalische Ausbildungseinrichtung der deutschen Streitkräfte. Da durfte in ihrem reichen musikalischen Repertoire die deutsche Nationalhymne zum feierlichen Abschluss auch nicht fehlen.
Nach zweieinhalb Stunden Programm hatten die Gäste Gelegenheit, den Abend mit leckeren Speisen, Getränken und interessanten Gesprächen im Garten der Stadthalle ausklingen zu lassen. Der nächste Termin des IHK-Sommerempfangs ist indessen bereits ausgemacht: Der 09. Juni 2026.
Text: SIEGFRIED JÄHNE
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