12. Juni 2025Peter Pionke
Weltausstellung: Der Stil einer aufstrebenden Gesellschaft

Was gab es denn 1925 auf der Weltausstellung des Kunstgewerbes und des Industriedesigns „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ in Paris an Neuheiten zu sehen?
Andreas Kalweit: „Die internationalen Weltausstellungen – die erste war 1851 in London – hatten sich in der Zeit der Industrialisierung als technische und kunsthandwerkliche Leistungsschau etabliert. Die Weltausstellung in Paris 1925 war nach dem Ersten Weltkrieg ein Meilenstein für das moderne Design und zeigte eine Vielzahl von Neuigkeiten in ästhetischer als auch in technologischer Hinsicht. Sie zeigte vor allem den sich entwickelnden Wandel der Gestaltung vom Kunsthandwerk zur Industrieästhetik, vom Ornament zur Formdisziplin.
Die Pavillons der Ausstellung waren hochmodern gestaltet. Le Corbusier sorgte als Architekt mit seinem kubistischen Pavillon für einen radikalen Bruch zur bisher dekorativen Ausprägung der Messe für großes Aufsehen. Art Déco als stilistisch, luxuriöse Neuheit wurde das erste Mal einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Der Möbeldesigner und Innenarchitekt Émile-Jacques Ruhlmann präsentierte luxuriöse Möbel mit edlen Furnieren und klassizistischen Formen. Die ersten stromlinienförmigen Automobile wurden gezeigt.

Die Designerin und Malerin Sonia Delaunay-Terk integrierte abstrakte, rhythmisch-farbige Muster in Textildesigns. In der Ausstellung wurden innovative Technologien, industrielle Produktionsweisen und innovative Materialien präsentiert, darunter Bakelit. Sie war somit stilbildend für das folgende Jahrzehnt und beeinflusste sowohl europäische als auch amerikanische Designer und Designerinnen nachhaltig.“
Nach der Weltausstellung in Paris ist auch der Stil „Art déco“ benannt. Was versteht man darunter?
Andreas Kalweit: „Art Déco bezeichnet einen Gestaltungsstil, der schon in den 1910er Jahren entstand und erreichte seinen Höhepunkt in den folgenden zwei Jahrzehnten. Durch die Weltausstellung 1925 in Paris wurde der Stil erstmals in großem Umfang präsentiert und prägend benannt.
Art Déco entwickelte sich als Reaktion (Gegentrend) auf den verschnörkelten Jugendstil (Art Nouveau) und zeichnete sich durch seine geometrischen Formen, Symmetrie und Ordnung, luxuriösen Materialien wie Edelhölzer, Marmor, Chrom und Glas und den Einflüssen aus den neuen Produktionstechniken aus.

Art Déco war der Stil einer aufstrebenden, modernen Gesellschaft, die Eleganz mit Fortschritt verbinden wollte. Der Stil prägte weltweit das Design, die Architektur (das berühmte Chrysler Building in New York), die Mode und die Kunst. Er ist bis heute erkennbar im Produktdesign, der Grafik, der Mode und der Architektur – als ein Ausdruck urbaner Kultiviertheit, Raffinesse und Dynamik.“
Zu den vorgestellten Neuheiten gehörten z. B. Sperrholzmöbel, Porzellane sowie Mode. Der neue Stil sollte zwar dekorativ sein, aber vor allem sollte er genutzt werden. Aus dem Industriedesign kamen Kunststoffe und verchromte Metalle dazu? Diese fanden sich auch in den damaligen Küchengeräten wieder, oder?
Andreas Kalweit: „Das ist richtig. Das sind zentrale Aspekte, die Art-Déco-Ästhetik und -Funktionalität – besonders im Hinblick auf die Verbindung von ästhetischem Anspruch und Gebrauchstauglichkeit. Die Ausstellung 1925 war nicht nur ein Schaulaufen luxuriöser Einzelstücke, sondern präsentierte auch die praktische Anwendung moderner Materialien und Produktionsmethoden im Alltag.

Bedeutende Entwerfer und Entwerferinnen kehrten sich zunehmend vom Judenstil ab und hoben funktional betonte, moderne Produktformen hervor, die den neuen Produktionsprozessen und wirtschaftlichen Erfordernissen gerecht wurden (Gerd Selle; Geschichte des Design in Deutschland, 1994). Waren im Judenstil noch florale, geschwungene und dekorative Dekorelemente prägend für etwa alte Nähmaschinen oder Haushaltswaagen, wurden sie durch die neue Formensprache des Art Déco abgelöst.
Neue Materialien, wie Bakelit, eines der ersten Kunststoffe, wurden für die serielle Produktion von Lampen, Radios, Lichtschaltern und Gehäuse für Küchengeräte verwendet. Verchromte Metalle kamen für Toaster, Wasserkocher oder Möbelgestelle zum Einsatz und sahen besonders elegant und hygienisch aus. Sperrholz war ein modernes und kostengünstiges Material für leichte und elegante Möbel. Auch mein Urgroßvater unseres tradierten Familienunternehmens hatte damals Schutzrechte für die Herstellung von Marzipanformen aus Bakelit angemeldet.
Moderne Materialien und Technologien wurden mit Alltagstauglichkeit und Stil verbunden. Das spiegelte sich besonders im Design von Gebrauchsgegenständen und Möbeln wider, die funktional, elegant und oft industriell gefertigt waren – ein Vorgriff auf das moderne Industriedesign, was auch an unserer Bergischen Universität Wuppertal bis heute gelehrt und praktiziert wird.“

Hier in unserer Design-Sammlung Schriefers an der Bergischen Universität Wuppertal haben wir auch verschiedene Beispiele aus dieser Zeit. Z. B. gibt es ein Modell der Frankfurter Küche, von der man sagt, sie habe einen hohen Designanspruch. Woran erkennt man das?
Andreas Kalweit: „Die Frankfurter Küche war ein Meilenstein der Design- und Architekturgeschichte, weil sie ein radikal neues Verständnis von Wohn- und Arbeitsraumgestaltung verkörperte und vor allem mit einem durch und durch funktionalen Designanspruch, der seiner Zeit weit voraus war.
Die Küche war nicht als repräsentativer Raum gestaltet, sondern funktional rationalisiert wie ein Arbeitsplatz – inspiriert von industriellen Produktionsabläufen und Eisenbahn-Speisewagen. Alle notwendigen Bewegungsabläufe waren optimal durchdacht und die Oberflächen waren leicht zu reinigen. Die Gestaltung war somit nicht Selbstzweck, sondern vereinte Funktion und Ästhetik im besonderen Maße. Das Design war somit vor allem Problemlösung als nur Dekoration.“
Inspiriert wurde das Art déco auch vom deutschen Bauhaus. Woran macht man das fest?
Andreas Kalweit: „Die Aussage, dass das Art Déco auch vom deutschen Bauhaus inspiriert wurde, ist nur bedingt zutreffend. Das Bauhaus war meines Wissens kein direkter Vorläufer des Art Déco, sondern eher ein zeitgleich existierender Gegenentwurf. Sowohl das Bauhaus als auch das Art Déco verbanden die Kunst, das Handwerk und das Design. Während das Bauhaus auf Funktionalität, Reduktion und soziale Reform setzte, stand das Art Déco für Luxus, Dekoration und Eleganz. Beide teilten die Begeisterung für das Moderne, das Industrielle und das Neue – was sich auch in manchen formalen Parallelen widerspiegelt.

Auf der Weltausstellung sah man zum ersten Mal moderne Pavillons, die gestalterisch der geometrischen, klaren Formsprache des Bauhauses folgten.“
Wann verlor der Stil an Bedeutung?
Andreas Kalweit: „Der Art-Déco-Stil verlor seine internationale Bedeutung ab Mitte der 1930er-Jahre, mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Luxus, Glamour und urbaner Optimismus passten nicht mehr in eine Zeit der wirtschaftlichen Not. Die meisten Produkte des Art Déco waren aufwendig und teuer, und die breite Bevölkerungsschicht konnte sich so etwas einfach nicht mehr leisten.
Der Aufstieg von faschistischen Regimen und der Übergang in totalitären Strukturen verdrängten die Stilrichtung des Art Déco je nach Land zu unterschiedlichen Zeiten. Somit verschwand der Stil nicht plötzlich.
Aber: Das Art Déco erlebte immer wieder Revivals – in den 1960er–70er–80er Jahren größtenteils als Reaktion auf allzu reduzierte, funktionale Gestaltungen. Art Déco steht heute noch für Eleganz, Handwerkskunst und visuelle Opulenz. Auch heutzutage werden Teile des Stils adaptiert, wie so viele Stilrichtungen zitiert werden, die besonders in unsicheren Zeiten Halt und Vertrautheit bieten.“
Uwe Blass

Über Prof. Andreas Kalweit
Andreas Kalweit studierte nach einer Betriebsschlosser-Lehre Maschinenbau an der Hochschule Niederrhein, anschließend Industrial Design an der Universität GH Essen und schloss beide Studiengänge mit dem Diplom ab (Maschinenbau mit Auszeichnung). Seit 2012 ist er Professor für »Manufacturing & Material Science – Schwerpunkt Konstruktionstechnik und -systematik im Design« an der Bergischen Universität Wuppertal.
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