5. April 2024Peter Pionke
Jan Filipzik: Von der Großstadt Medellín ins ländliche Jardín
Die Fahrt von Salento nach Medellín führt über endlose Berge, Kurven und Serpentinen. Musik und Podcast hören geht dabei ganz gut, Serie schauen oder lesen sind problematisch. Deswegen genieße ich die vorbeiziehende Landschaft und die immer neuen Ausblicke, die sich bieten.
Mit der Musik, bei der sich viele Lieder in den vergangenen 15 Monaten angesammelt haben, wandern meine Gedanken zurück. Wo wir überall gewesen sind, was wir alles erlebt haben. Auch wenn wir noch mittendrin sind, ist es manchmal unglaublich, dass das alles wirklich passiert und wir das tatsächlich getan haben.
In Medellín gönnen wir uns wieder ein Airbnb. Es ist schön, eine Küche, ein Wohnzimmer und einen Esstisch zu haben und nicht nur ein kleines Hotelzimmer. Wir kaufen ein beim Supermarkt um die Ecke und erkundigen uns in einem Tattoostudio nach einem Motiv.
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Wie schon so oft geht hier ohne Spanisch nichts und ich merke, wie sehr ich mich darauf freue, unterwegs, beim Einkaufen und im Geschäft wieder von jedem verstanden zu werden. Das fehlt mir. Gleichzeitig habe ich inzwischen einen ungeheuren Respekt vor all den Menschen, die in Deutschland leben und unsere Sprache noch nicht perfekt beherrschen.
Es ist so schwierig, man fühlt sich immer ein wenig ausgeschlossen und teilweise auch dumm, wenn man mal wieder keine Ahnung hat, was der Kassierer von einem möchte oder versehentlich das Gegenteil sagt von dem, was man eigentlich meint.
Anderswo hingegen gibt es sichtbare Auflösungserscheinungen. Nach inzwischen – zusammen mit unserer Reise durch Deutschland – fast zwei Jahren in denselben Klamotten, ist das meiste nicht mehr zu gebrauchen. Löcher in Schuhen halten wir aus, wichtige Dinge wie Hosen und Shirts flicken wir notdürftig, denn so kurz vor der Rückreise wollen wir uns nichts Neues mehr kaufen. Zuhause wartet genug auf uns.
Die Socken und Boxershorts werden weniger und auch das Raincover meines Rucksacks hat es erwischt. Es hängt in Fetzen herab und muss ersetzt werden, wenn ich nicht möchte, dass beim nächsten Regen alles durchweicht. Wir besuchen ein riesiges Einkaufszentrum in Medellín, in dem es einen Decathlon gibt. Interessanterweise lösen die Geschäfte rein gar nichts in mir aus. Kein Bedarf, irgendwas zu kaufen oder zu besitzen. Das war vor dieser Reise nicht so.
Anders sieht es hingegen am nächsten Tag aus. Wir machen eine Walking Tour durch die Comuna13, das bekannteste und berüchtigtste Viertel der Stadt. Wo sich früher Drogenkartelle und Militär erbitterte Schlachten geliefert haben und noch heute Einschusslöcher in den Hauswänden zu sehen sind, blüht jetzt das Leben. Graffiti sind ein wichtiger Teil der Kultur, jedes von ihnen hat eine Bedeutung und erzählt einen Teil der bewegten Geschichte.
Unser Guide führt uns durch die engen Gassen, bis wir plötzlich mitten im Leben stehen. Zahlreiche Shops, Bars und kleine Geschäfte haben geöffnet, überall läuft Musik, Touristen schieben sich träge den Berg hinauf in Richtung der Aussichtspunkte. Es ist ein wenig wie ein großes, nicht enden wollendes Festival.
Und im Gegensatz zum Shoppingcenter löst das in mir schon eher Begehren aus. Ich will hier eintauchen und alles in mich aufsaugen. Das machen wir auch. Während wir dabei ein kühles Bier trinken, mit Blick auf die belebte Straße, schauen wir einer alten Frau zu, die mit ihrem Mann am Straßenrand kleine, wippende Plastik-Enten verkauft.
Der nächste Tag startet aufregend. Die Tür zu unserem Schlafzimmer, in dem fast alle unsere Sachen liegen, ist defekt und lässt sich nicht mehr öffnen. Als wir dem Vermieter des Airbnb schreiben, gibt es einen interessanten Dialog.
Er schreibt – wieder einmal auf Spanisch: „Ya va en cam no Carlos“. Das übersetzen wir mit unseren Kenntnissen und zur Sicherheit auch noch einmal mit Google eindeutig als: „Wir haben es schon auf Kamera, nicht wahr Carlos“ – also als eine interne Nachricht, die uns nicht hätte erreichen sollen.
Während wir daraufhin unsere Wohnung nach Kameras absuchen, überlegen wir, wie wir damit umgehen sollen. Bis es klopft und Carlos vor der Tür steht. Der Mann, der unsere Türe reparieren wird. Und wir uns schließlich zusammenreimen, dass „cam“ nicht für „Kamera“, sondern für „camino“ steht und „no“ nicht für „nicht wahr“ sondern für „nombre“. Und plötzlich klingt der Satz ganz anders: „Es ist schon jemand auf dem Weg, sein Name ist Carlos.“ Wieder zeigt sich, wie fatal es sein kann, vorschnell zu urteilen.
Während Carlos unsere Tür repariert, laufen wir zu Fuß ins Touristenviertel El Poblado. Als wir unterwegs eine Cola kaufen wollen, stellen wir fest, dass uns der Taxifahrer am Vortag beim Wechseln absichtlich Falschgeld herausgegeben hat.
Es sind zwar umgerechnet nur fünf Euro und ich kenne seine Umstände nicht, trotzdem stimmt es mich nachdenklich. Denn er war freundlich, hat uns viel über die Stadt erzählt und noch mit uns gescherzt. Nur um uns dann zu betrügen. Es ist ein seltsames Gefühl und das erste Mal auf unserer Reise, dass uns so etwas passiert.
Doch der Vorfall ist schnell vergessen, denn schon am nächsten Tag treffen wir Gregory. Gregory stammt ursprünglich aus Ungarn und ist uns vor ein paar Monaten auf Kuba über den Weg gelaufen. Und irgendwie hat er es in dem kurzen Gespräch geschafft, so sehr von Kolumbien zu schwärmen, dass wir beschlossen haben, das Land, das ursprünglich nicht Teil unseres Plans war, sehen zu wollen.
Nun sind wir also hier, wegen Gregory, einem Weltenbummler und früher ein sehr erfolgreicher Unternehmer, der lange in Florida gelebt hat. Bis er vor einigen Jahren beschlossen hat, sich radikal zu reduzieren, sein Leben einfacher zu gestalten und nach Medellín ausgewandert ist.
Wir treffen uns Downtown und Gregory zeigt uns seine Stadt, auch die problematischen Viertel, in denen unzählige Menschen auf der Straße und in der Gosse leben und ich unweigerlich an die Großstadt Delhi erinnert werde. Gemeinsam fahren wir anschließend mit der Metro und einer Seilbahn in eine der vielen, dichtbewohnten Comunas, wo wir durch die Straßen laufen und in das Leben der Menschen eintauchen.
Quasi als Kontrastprogramm rät uns Gregory danach, die Amsterdam Plaza und das nahegelegene Einkaufszentrum anzuschauen. Hier gibt es erstklassige Restaurants, schicke Boutiquen, süße Cafés mit herausragenden Desserts und Luxus, soweit das Auge reicht.
Medellín ist eben nicht nur eine sehr lebenswerte Stadt, sondern steckt wie wohl fast jede Großstadt, auch voller Gegensätze, die manchmal nur ein paar Minuten voneinander entfernt sind. Aber gerade deswegen freuen wir uns, dass unsere nächste Station Jardín ist – eine Kleinstadt etwa vier Stunden südlich von Medellín, mitten in den Bergen gelegen.
Jardín erinnert mich ein bisschen an Salento, doch weil die Anfahrt hierhin beschwerlicher ist und länger dauert, ist hier eine andere Art von Touristen anzutreffen. Ich lasse das mal so stehen. Auf dem Weg dorthin fällt die Klimaanlage im Bus aus und die stickige Luft steigt schnell auf 30 Grad und mehr.
Doch zum Glück ist der Fahrer ein Technikfuchs und schafft es, das Ding zu reparieren. Auch wenn er dafür bei einem Stopp die komplette Konsole ausbauen muss und schließlich die Isolierung irgendwelcher Drähte mit dem Feuerzeug abflämmt und neu verdrahtet. Wer repariert, hat Recht.
In Jardín haben wir ein kleines Zimmer in einem Hostel, direkt gegenüber der Rezeption, und sind so immer mitten im Geschehen. Die Stadt ist ausnehmend schön und gefällt mir in Kolumbien bislang am besten. Denn hier gibt es neben den Touristen auch eine aktive Gemeinschaft unter den Einwohnern.
Frauen sitzen im Café am zentralen Platz und spielen Karten, zwei Männer teilen sich ein Bier in einem kleinen Kiosk und unterhalten sich lautstark, ein Pferd steht vor einem Geschäft, ein Reiter sprengt durch die Gassen, Pferdehufe auf Kopfsteinpflaster.
Neben der sehenswerten und bunten Architektur, hat Jardín vor allem zwei Dinge zu bieten: die umliegende Natur und eine spektakuläre Seilbahn, die vor allem deshalb spektakulär ist, weil sie so dilettantisch konstruiert wirkt, als könne sie jeden Moment abstürzen. Tatsächlich ähnelt sie mehr einem Transportkorb, doch sie funktioniert und bringt uns an einem regnerischen Nachmittag auf einen kleinen Aussichtspunkt.
Zwischendurch fällt kurz der Strom aus, weshalb wir auf halber Strecke eine ungeplante Pause einlegen, doch oben angekommen empfängt uns ein junger Mann mit einem lauten Lachen und fragt, ob wir uns etwa Sorgen gemacht hätten. Als wir ein Bier bestellen, kommt dieses – wie könnte es anders sein – ebenfalls mit der Seilbahn.
Am nächsten und schon letzten Tag in Jardín machen wir eine kleine Wanderung. Und haben an einer Stelle ziemlich viel Glück, glaube ich. Vor uns startet ein junger Däne mit demselben Ziel, den wir allerdings nach einigen Metern aus dem Blick verlieren, weil wir einen kleinen Umweg gehen. Zwei Stunden später begegnen wir ihm wieder, er kommt auf uns zu, einen großen Stock in der Hand und sieht ziemlich mitgenommen aus. Und warnt uns, nicht weiterzugehen.
Wie sich herausstellt, ist er ein Stück weiter von wilden Hunden angegriffen worden. Normalerweise lassen die sich vertreiben, wenn man einfach einen Stock in der Hand hat, doch das hat diesmal nicht funktioniert. Letztlich musste er einem der Hunde tatsächlich ein paar Schläge verpassen und ist froh, dass er mit dem Schrecken davongekommen ist.
Für ihn und auch für uns jedenfalls ist die Wanderung an dieser Stelle beendet. Für einen versöhnlichen Abschluss gönnen wir uns Wein und eine große Pizza in der Stadt, das ist sicherer.
Jan Filipzik
- April 2024
In Lenas & Jans Reiseblog „reisen-ist.jetzt – Unterwegs ist da, wo wir sind“ finden Sie noch viel mehr Fotos, Infos und Impressionen:
Am 02. Mai erscheint „REISEN IST JETZT“ – das Buch von Jan Filipzik
REISEN IST JETZT – Jan Filizik – Verlag Harder Star
Die Wohnung aufgeben und sieben Monate als digitale Nomaden durch Deutschland reisen. Anschließend den Job kündigen und zu einer 16-monatigen Weltreise aufbrechen. Und das im Alter von fast 40 Jahren. Kann das gut gehen? Anfang 2022 lässt sich Jan mit seiner Partnerin auf dieses Abenteuer ein. Und schreibt darüber – über die Vorbereitungen, den Auszug, die Reise und das, was sie mit ihm gemacht hat. Mit dem Buch will er andere Menschen ermutigen, Dinge auszuprobieren. Denn was kann schon passieren? Außer, dass man eine Menge Erfahrungen und Erkenntnisse verpasst, wenn man es nicht tut. Die Wohnung aufgeben und sieben Monate als digitale Nomaden durch Deutschland reisen. Anschließend den Job kündigen und zu einer 16-monatigen Weltreise aufbrechen. Und das im Alter von fast 40 Jahren. Kann das gut gehen? Anfang 2022 lässt sich Jan mit seiner Partnerin auf dieses Abenteuer ein. Und schreibt darüber – über die Vorbereitungen, den Auszug, die Reise und das, was sie mit ihm gemacht hat. Mit dem Buch will er andere Menschen ermutigen, Dinge auszuprobieren. Denn was kann schon passieren? Außer, dass man eine Menge Erfahrungen und Erkenntnisse verpasst, wenn man es nicht tut.
Erscheinungsdatum: 02. Mai 2024
Preis: 9,80 €
ISBN: 978 90 833609 8 0
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