23. August 2023Peter Pionke
Kunst-Förderer Harald Nowoczin (81) gestorben
Der Autor und Journalist Dr. Matthias Dohmen würdigte den Brückenbauer und Impulsgeber in seinem 2018 erschienen Buch „Männer im Tal“.
Hier sein Portrait von Harald Nowoczin, das jetzt zu einem sehr persönlichen Nachruf wird:
Harald Nowoczin: „Kulturbrückeningenieur“
Die Künste, Sport, Politik und Bundeswehr, die Stadt Wuppertal und ausgedehnte Reisen: Das sind Stichworte für ein Porträt des Harald Nowoczin, der am vorletzten Tag des Jahres 1941 in Westerholt zur Welt kam. Im Ruhrpott, denn Westerholt gehört zu Herten bei Recklinghausen, der Vater war Schießmeister auf der Zeche, die Mutter Hausfrau. Zu der einzigen Schwester riss der Kontakt vor 30 Jahren ab.
Er fängt klein an: Acht Jahre Volksschule, dann Kfz.-Schlosserlehre, danach für acht Jahre Zeitsoldat bei der Marine (1962 bis 1970). Abitur nachgeholt und Studium des Maschinenbaus, das er mit dem Diplom abschließt, sowie später auf Lehramt Sekundarstufe II (Pädagogik, Kunstgeschichte).
Er ist Oberstudienrat, als er in Pension geht. Zuvor hat er als Ingenieur für bedeutende Unternehmen wie die Firma Babcock gearbeitet.
Ein Leben, das ihm die vielfältigsten Impulse mitgegeben hat. Beispielsweise bei der Marine. Allein viereinhalb Jahre hat er Dienst auf Schulschiffen der Bundeswehr geleistet. „Mit ihnen war ich auf allen Kontinenten dieser Welt als Botschafter Deutschlands zu Gast.“
Gast des berühmten Juweliers Hans Stern
Der Krieg ist erst ein paar Jahre vorbei, und an bestimmten Ecken des Kontinents, etwa in der chilenischen Hafenstadt Puerto Montt, halten sich alte Nazis versteckt, die nachts um zwölf die erste Strophe des Deutschlandliedes und das Horst-Wessel-Lied gröhlen.
Aber es finden sich dort auch Antifaschisten, Juden und Emigrierte. Wie der im Ruhrgebiet geborene Hans Stern, Juwelier und Seniorchef des drittgrößten Schmuckkonzerns der Welt, bei dem Nowoczin zu Gast war.
Als die Nationalsozialisten das Elektrogeschäft der Familie in Essen abfackelten, wandern die Sterns aus. Sein erstes Juweliergeschäft eröffnet Hans an den Docks von Rio de Janeiro, dort fängt er die Kreuzfahrtpassagiere auf ihrem Weg in die Stadt ab, wie später der „Merian“ schreiben wird.
Mit offenen Augen und Ohren geht Harald Nowoczin durch die Welt und lernt viele wichtige Menschen und verschiedenste soziale Strukturen kennen.
Gibt es einen Verein von Rang, in dem er nicht mindestens zeitweilig mitgemischt hat? Der Volksbühne stand er vor, die in ihren besten Zeiten, ausgangs des Jahrhunderts, weit über 6.000 Mitglieder hatte.
An die Gauklerfeste erinnert er sich gern. Mit 50 Leuten habe er angefangen, ein paar Jahre später „hätte ich locker 5.000 Karten für einen Abend verkaufen können“.
Vorsitzender der renommierten Bergischen Kunstgenossenschaft (BKG) wurde er 1997 und iwar es viele Jahre lang. Im selben Jahr wählte ihn die Jahreshauptversammlung zum Präsidenten des Allgemeinen Sportvereins Wuppertal, bekannter unter seinem Kürzel ASV – er blieb es 18 Jahre.
Ein Vierteljahrhundert gehörte er dem Vorstand des Stadtsportbundes an, hat quasi das TiC maßgeblich mitgegründet und hatte – ein Ausflug in die Politik darf nicht fehlen – für fünf Jahre im Rat der Stadt Sitz und Stimme.
Zehn weitere Jahre wirkte er als sachkundiger Bürger im Kultur- und im Sportausschuss. Für die ehrenamtlichen sportlichen Tätigkeiten wurde er von der Stadt Wuppertal als „Funktionär des Jahres“ ausgezeichnet.
Sportliche Meriten hat er auch: Er war deutscher Vizemeister im Hallenhandball, spielte Feldhandball, boxte, hat Gewichte gehoben und an mancher internationalen Begegnung teilgenommen.
Was ihn im Jahr 2018 vor allem umtreibt, ist die „Kulturbrücke Wuppertal – Engels an der Wolga“, deren 1. Vorsitzender er war und die er mit dem Konzertsänger Günter Lesche im Jahre 2009 aus der Taufe gehoben hat.
Zu Russland hatte er eine besondere Affinität: Viele Jahren ist er Mitglied des Freundeskreises Wuppertal-Jekaterinburg gewesen.
Die Stadt Engels (bis 1931 Pokrowsk) und das benachbarte Saratow bildeten das Zentrum der Wolgadeutschen, die einst von der Zarin Katharina der Großen ins Land geholt worden waren.
Im Archiv der Wolgadeutschen lagern unglaubliche Schätze, die noch zu heben sind, von Notizen der Zarin über Dokumente der vielfältigsten Art bis hin zu Zeugnissen der Sowjetherrschaft.
Gerade in unruhigen Zeiten kommt dem kulturellen Austausch eine immense Bedeutung zu, um Menschen zusammenzuführen, Künstler in erster Linie.
Als besonderen Erfolg dieser grenzüberschreitenden Kulturverbindung hat der gelernte Pädagoge Nowoczin das Zustandekommen von mehreren Schulpartnerschaften zwischen beiden Städten gesehen. 2017 war zuletzt eine Delegation aus Engels in der bergischen Metropole.
Wie kommt man an so viele „Jobs“? Beworben hat er sich nirgendwo, aber Nein sagen, nach einer Zeit des Nachdenkens, konnte er auch nicht. Wenn Esther, seine Frau, ihm grünes Licht gab, war er halt dabei.
Er liebte es, im Team zu arbeiten und schätzte seine Mitarbeiter. Sie ihn offensichtlich auch. Für seine verschiedenen Engagements wurde ihm 1996 das Verdienstkreuz am Bande verliehen. 2019 erhielt er aus der Hand von Isabel Pfeiffer-Poensgen, NRW-Kultur- und Wissenschaftsministerin, das Bundesverdienstkeuz.
Esther und Harald Nowoczin, Eltern einer Tochter, waren über 50 Jahre verheiratet und haben mindestens die doppelte Zahl an Ländern besucht. Ihren „Goldenen Hochzeitstag“ haben sie, fern von allem Trubel, auf Mauritius genossen.
Auf der ganzen Welt unterwegs
Rund um den Globus waren sie unterwegs, von den USA bis Indien, von Albanien bis zu den arabischen Emiraten, Afrika, Australien und, natürlich, kennen sie die großen Städte und Landschaften Europas.
Seine Leidenschaft: Lesen, Historisches. Keine Kriminalromane. Viel über Kunst. Und Militärgeschichte. In seinem geräumigen Arbeitszimmer stapelten sich Bücher, Akten, Bilder und Mitbringsel aus aller Welt.
Viele Jahre war Harald Nowoczin Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, kehrte der SPD aber den Rücken, als er mit deren Kurs nicht mehr einverstanden war. Er hatte seine Überzeugungen und seine Pläne – bis zuletzt.
Dr. Matthias Dohmen
„Männer im Tal“
Dr. Matthias Dohmen
Porträts
Weilerswist – Ralf Liebe – 2018
116 Seiten – 14,00 €
ISBN 978-3-944566-83-2,
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