21. August 2023

IHK-Empfang: „Das Ende der europäischen Moderne“

Wären da nicht die dramatisch schlechten Wirtschaftsdaten, man hätte von einem rundum fröhlichen und gelungenem Sommerfest sprechen dürfen. Ein volles Haus konnte IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge zum Sommerempfang der Bergischen Unternehmer in der Wuppertaler Stadthalle begrüßen. 

Prominenz beim IHK-Sommerfest in der Historischen Stadthalle – u.a. Oberbürgermeister Dr.Uwe Schneidewind (l.) und -Gastgeber Michael Wenge (3.v.l.) – © Siegfried Jähne

Auch die gesamte Polit-Prominenz aus dem Bergischen Städtedreieck hatte sich eingefunden.

Gleich zum Auftakt sorgte der in Wuppertal geboren und in Langenberg lebende deutsche Shootingstar Tim Kamrad für die richtige Stimmung. Sein Song  „I Believe“  („Ich glaube“)  gilt als Hit des Jahres 2022; ein echter Ohrwurm des bergischen Künstlers, der mit seinem „Glauben“ zum Synonym des Abends werden sollte. 

Die deutsche Übersetzung des Textes: „Bläst mich um, bläst mich um. Ich bin jetzt umgehauen. Bring mich hoch, bring mich hoch, dreh mich richtig herum. Ich weiß nicht warum, ich weiß nicht warum…?“ Kaum etwas hätte die Stimmung der Deutschen  Wirtschaft besser beschreiben können…

Einladung ins „Freigehege“

Für Stimmung sorgte auch der rührige IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge mit einem Versprecher, als er angesichts des guten Wetters bei moderaten 26 Grad in seiner Begrüßung vorab statt in die Gartenanlage, ins „Freigehege“ der Stadthalle einlud.  

IHK-Präsident Henner Pasch, IT-Unternehmer aus Solingen, griff  dann aber in einem engagierten Vortrag den, nach seinem empfinden, „Regulierungswahn der Politik“ scharf an:  „Wer braucht ein Heizungsgesetz, um sich eine effiziente Heizung zu kaufen?. Was kommt als nächstes, eine gesetzliche Vorgabe zur Fliesenfarbe in der Toilette?“ fragte er nicht ohne Ironie. 

Die Bundespolitik solle sich einfach darauf konzentrieren, für die nötige und bezahlbare Energie zu sorgen, den Rest regelten Angebot und Nachfrage.

Zerstörerisch Aktiv

Energiepreise seien in anderen Teilen der Welt auf einem weitaus geringerem Niveau, Abwanderungen aus Deutschland schon jetzt die Folge. Auch in anderen, für die Wirtschaft existenziellen Feldern, sei die Politik, insbesondere auf EU-Ebene, geradezu zerstörerisch aktiv. 

Als Beispiel nannte er  die Ausweitung des Lieferkettengesetzes und dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand. Pasch: „Wir können doch nicht missionarisch die ganze Welt retten, für den Preis, dass der Halbleiter (…) künftig nicht mehr in Deutschland, sondern in China produziert und vermarktet wird.“

Impressionen vom IHL-Sommerfest – © Siegfried Jähne

Den Zustand der Verkehrsinfrastruktur nannte er „überwiegend erschütternd“, nicht nur weil rund 900 Brücken im Rheinland sofort saniert oder neu gebaut werden müssten. 

Mängel sehe er in Digitalisierungsgrad der zuständigen Behörden, ebenso wie in den Planungsprozessen.  Pasch weiter: „Wir tun aktuell alles, um unsere ehemals führende Stellung als Industrienation abzuschaffen“.

„Sind im wirtschaftlichen Sinkflug“

Lösungshinweise erhoffte man sich von Professor Dr. Michael Hüther’s Vortrag, dem Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft.  In der Diagnose bestand weitgehende Übereinstimmung: „Wir erleben das Ende der europäischen Moderne und befinden uns wirtschaftlich in einem Sinkflug“, sagt der renommierte Ökonom. 

Die Rezession habe aber schon in den Jahren 2018/19, eigentlich sogar schon mit dem Brexit 2016 begonnen. Es sei eine Bedrohung des 200 Jahre alten deutschen Industriemodells. 

Er sehe Anpassungsprobleme innen und aussen. Da sei die demographische Überalterung der Bevölkerung mit der notwendigen Zuwanderung,

eine überbordende Bürokratie, den Fachkräfte- sowie Rohstoffmangel sowie die klimatechnisch notwendige Dekarbonisierung.

Solinger Spezialisten in Zukunftsbranche dabei

Wie kaum ein anderes Land der Erde verfügten wir jedoch über Erfahrungen und technische Ressourcen, die uns helfen können, aus der Krise herauszufinden. Als Muster-Beispiel nannte er die Dresdner Firma Sunfire, die jetzt – wenn auch mit Milliarden-Förderung –  Anlagen für grünen Wasserstoff bauen will und sich den Solinger Galvanik-Spezialisten  MTV NT GmbH samt dessen Standortes ins Haus holte.

Gerade der Bergische Raum verfüge für derartige Anpassungsprozesse und Transfers in neue Branchen über reichliche Erfahrungen. Man denke nur an die hiesige Textilindustrie, die mit ihren Baumwollspinnern verschwanden, während sich der Maschinenbau neu entwickelte. 

IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge hatte das Sommerfest bestens organisiert – © IHK / Malte Reiter

In der Wissenschaft spreche man hier von „Malthusianismus-Philosophie“, die sich mit Anpassung durch eine Gesellschaftsordnung befasst, die der Menschheit eine Chance auf ein freies und gute Leben garantieren möchte.

Hier sieht Hüther indessen eine Überforderung unserer Wirtschaftspolitik, zumal vieles gleichzeitig passieren müsse, damit es funktionieren könne. Vor allem bedürfe es in den Abläufen mehr Verantwortlichkeiten. Vieles wäre schon gewonnen, wenn die handelnden Personen jeweils zur Verantwortung gezogen werden könnten.

So hält Professor Dr. Michael Hüther die Schuldenbremse („wir haben uns eingemauert“) für gut gemeint aber kontraproduktiv und tritt daneben jeder Forderung nach Arbeitszeitverkürzung entgegen. „Wir müssen wieder mehr arbeiten“, so sein Credo. 

Das wäre schon ein erster Schritt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. „Wir brauchen eine Ausweitung der individuellen Arbeitszeit im Jahr, nicht den unrealistischen Traum der Viertagewoche. Das kann über die Wochenarbeitszeit oder andere Urlaubsregelungen gehen, in Zeiten höherer Arbeitszeit- und  die Arbeitsort-Souveränität durchaus vermittelbar“.

Musikalischer Abschluss mit dem „Shooting Star“

Wir alle müsse die Chancen sehen, weniger die Risiken, so Hüthers Schlussplädoyer in der Historische Stadthalle. Das Schlusswort hatte indessen Tim Kamrath mit seiner Musik, die dem Abend noch einen positiven Beigeschmack vermittelte.

Text: Siegfried Jähne

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