4. Mai 2023

Jan Filipzik: Drei Nächte bei einer indischen Familie

Sie sind auf dem Weg, sich ihren grossen Traum zu erfüllen - die Unternehmensberaterin Lena Lichterbeck und der Berater Jan Filipzik, Ex-Chefredakteur des Wuppertaler Magazins "talwärts". Die beiden haben ihre gemeinsame Wohnung aufgegeben und sind unterwegs auf großer Weltreise. Dabei begleiten wir Lena und Jan. Gehen SIE mit auf große Reise - wenn SIE mögen...

Lena Lichterbeck und Jan Filipzik haben ihre Gastfamilie zum Essen eingeladen – © reisen-ist.jetzt

Wir hatten uns darauf eingestellt, dass Mumbai hektisch wird – und doch überrollt uns die Stadt bei der Ankunft. Gerade noch waren wir in Goa, lange Sandstrände, Palmen und Sonnenuntergänge über dem Meer, und plötzlich stehen wir mitten im Gewusel der Stadt mit ihren mehr als 20 Millionen Einwohnern.

Der Nachtbus hat uns irgendwo an einer Kreuzung rausgeworfen, zu Fuß laufen wir durch die Hitze zum nächsten Bahnhof und zu einem Geldautomaten, wollen Geld abheben und schon mal ein Zugticket für die Weiterfahrt nach Delhi kaufen. Immerhin das mit dem Geld klappt, beim Ticket gibt es irgendein Problem, erst ist es nicht der richtige Schalter, dann scheint alles ausgebucht, obwohl das eigentlich nicht sein kann.

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Wir flüchten uns vor dem ewig andauernden Hupkonzert in ein nahegelegenes Restaurant, wo es zwar nicht viel leiser ist, aber immerhin etwas zu essen gibt. Als wir schließlich weiterfahren wollen, lernen wir, dass Tuk Tuks nicht in den Süden der Stadt fahren dürfen – über eine App buchen wir schließlich ein Taxi und sind froh, dass wenigstens dieser Teil reibungslos funktioniert.

Verkehrs-Chaos in Mumbai – © reisen-ist.jetzt

Indien macht es einem nicht immer leicht. Dabei kommt diesmal bei unserem dreitägigen Aufenthalt in Mumbai noch eine Besonderheit hinzu: Wir werden bei einer indischen Familie leben, zusammen in einer Wohnung sein, das Bad teilen und morgens gemeinsam am Frühstückstisch sitzen.

Möglich wird das durch die Organisation Servas. Servas ist weltweit aktiv, nach einem Interview durch ein anderes Mitglied und der Entrichtung einer kleinen Gebühr, kann man selbst ein Teil des Netzwerks werden, das sich ganz der Völkerverständigung und dem kulturellen Austausch verschrieben hat.

Entsprechend bieten die Mitglieder anderen Reisenden unter anderem an, zwei oder sogar mehr Nächte bei sich unterzukommen und den Alltag in ihrer Stadt in ihrer Familie kennenzulernen. Und genau das haben wir vor. Unser Host heißt Darshan, ist 31 Jahre alt, und lebt mit seiner Frau Charmie und seinen Eltern in einer recht modernen Wohnung im Süden der Stadt, nur wenige Meter vom Stadtstrand Chowpatty Beach entfernt.

Der Strand als Kommunikations-Zentrum – © reisen-ist.jetzt

Der gemeinsame Start ist etwas holprig, was allerdings an mir liegt. Als wir ankommen, wartet die Familie auf uns, auch die Schwester ist gekommen – doch wir sind etwas spät dran und ich habe einen Call mit einem Kunden, so dass ich wenige Minuten nach unserer Ankunft schon die Tür unseres Zimmers hinter mir schließe und erst einmal für eine halbe Stunde verschwinde.

Mich plagt ein schlechtes Gewissen, schließlich wollen wir einen guten Eindruck machen – doch wie unbegründet das ist, lerne ich in den kommenden Tagen. Die Familie von Darshan ist so herzlich und freundlich und offen, dass solche Dinge keine Rolle spielen. Sie haben sogar extra für uns noch ein wenig mehr Mittagessen gekocht, so dass es nach unserem verspäteten Frühstück jetzt noch eine zweite Mahlzeit gibt.

Wir versuchen, nicht allzu viel zu essen, doch es ist wirklich lecker und dann ist da auch noch die indische Gastfreundlichkeit, für die ein „Nein“ gerade in Bezug auf Speisen eher so etwas wie eine Gesprächsgrundlage darstellt und weniger eine eindeutige Aussage.

Besuch in einem indischen Tempel – © reisen-ist.jetzt

Mit vollen Bäuchen machen wir anschließend noch einen kleinen Rundgang durch die Stadt. Zum Strand, wo tausende Menschen ihren Feierabend verbringen, im Sand sitzen, sich unterhalten, etwas essen. Danach laufen wir durch die quirligen Straßen hoch zu den Hanging Gardens, von wo aus wir einen tollen Blick auf die Stadt haben.

Abends essen wir mit unserer Gastfamilie, es gibt so viele leckere Gerichte, deren Namen wir trotz viel Mühe vermutlich nur halbwegs richtig aussprechen und leider bald wieder vergessen.

Die kommenden Tage sind für uns eine neue Erfahrung – denn bislang haben wir ausschließlich in Hotels und Hostels übernachtet. In Mumbai sind wir zum ersten Mal bei einer einheimischen Familie, zum ersten Mal nutzen wir Servas, und das bedeutet auch für uns eine Umstellung. Wer geht wann ins Bad? Und wann wird hier das Licht ausgemacht?

Gibt es Dinge, die wir besser tun oder lassen sollten? Können wir uns irgendwie im Haushalt nützlich machen? Irgendetwas einkaufen oder zumindest das Geschirr spülen? Schnell lernen wir, dass den Indern Gastfreundlichkeit über alles geht. Morgens bekommen wir sogar die Tageszeitung als erste gereicht, noch bevor der Hausherr sie liest, dazu ein typisch indischer Chai und ein Frühstück mit allerlei Köstlichkeiten.

Impressionen aus Mumbai – © reisen-ist.jetzt

Obwohl wir das Gefühl haben, jederzeit alles fragen und machen zu können, dauert es ein bisschen, bis wir uns aufeinander einstellen. Auf der einen Seite die indische Offenheit und Herzlichkeit, auf der anderen Seite die deutsche Zurückhaltung und Höflichkeit – das muss sich erst einspielen.

Während die Familie tagsüber arbeitet, nutzen wir die Zeit, um die Stadt zu erkunden. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg zu den Sehenswürdigkeiten, erkunden das hübsche Börsenviertel, den geruchsintensiven Fischmarkt, Einkaufsstraßen und das Gateway of India, wo wir für unzählige Selfies herhalten müssen.

Manchmal stehen wir minutenlang an der gleichen Stelle, während immer mehr Menschen ankommen, mehr Handys gezückt werden, mehr Hände geschüttelt werden sollen. In solchen Momenten bin ich froh, dass ich nicht prominent bin, auf Dauer wäre mir das zu viel.

Doch der Aufenthalt in der Gastfamilie gibt uns auch die Möglichkeit, bei genau solchen Dingen nachzufragen. Wir lernen, dass Inder ausländische Reisende tatsächlich einfach sehr spannend finden, deshalb die ganzen Fotos, und sprechen viel über die Kultur des Landes, über gesellschaftliche Gepflogenheiten, Heiratsbräuche, über das Kinderkriegen, soziale Sicherungssysteme, Vorlieben beim Essen und Zukunftspläne.

Lena und Jan mit ihrer Gastfamilie auf der Dachterrasse – © reisen-ist.jetzt

Mit der Zeit lernen wir uns immer besser kennen, sogar die Mutter nimmt sich Zeit für uns, gemeinsam gehen wir auf die Dachterrasse des Hauses, wo wir ihr Bilder unserer Familien zeigen und mehr von ihren Geschwistern erfahren.

Ohne Frage ist der dritte und leider auch schon letzte Abend unseres Aufenthalts der schönste. Um uns für die tolle Zeit zu bedanken, laden wir die Familie zum Essen ein, vorher besuchen wir gemeinsam einen nahegelegenen hinduistischen Tempel.

Nach dem Essen zeigt uns die Mutter den Tempel, zu dem sie jeden Tag geht, es ist ein besonderer Moment, denn ein Tempel ändert seine Erscheinung, wenn man weiß, dass er jemandem, den man kennt, etwas bedeutet.

Nach einem Spaziergang zum Strand gehen die Eltern schließlich ins Bett, zusammen mit Darshan und seiner Frau düsen wir später auf zwei Rollern durch die Nacht in Mumbai, blicken auf eindrucksvolle Wolkenkratzer und sitzen danach noch lange zusammen und unterhalten uns. Wir sind so richtig angekommen – und traurig, dass es schon am nächsten Tag weitergeht.

Voll bepackt: Jan Filipzig im Bahnhof von Mumbai – © reisen-ist.jetzt

Eigentlich sind drei Tage viel zu kurz, denke ich, während wir im Taxi auf dem Weg zum Zentralbahnhof sitzen. Darshan hat uns geholfen, die Tickets für den Nachtzug zu bekommen. Wir sind sehr dankbar, dass das geklappt hat, wie ohnehin für die ganze gemeinsame Zeit, die uns noch einmal ein ganz anderes Gefühl für dieses besondere Land und seine Menschen gegeben hat.

Wenig später drängeln wir uns mit unseren Rucksäcken durch die dichte Menschenmenge am Bahnhof, suchen unseren Zug, ein Sechserabteil wartet auf uns. Schlafwagen, einfache Matratzen, viele Menschen. Und während der Zug sich langsam in Bewegung setzt und das typische Rattern der Räder auf den Schienen einsetzt, das uns für die nächsten 16 Stunden begleiten wird, bin ich gespannt, was uns in Delhi erwarten wird.

Jan Filipzik

03. Mai 202

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