21. Dezember 2022

Charles Petersohn: Werde weiter mein Wesen & Unwesen treiben

2022 neigt sich dem Ende zu. Für viele ein Jahr zum Vergessen! Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Welt verändert. Betroffen sind in erster Linie die Menschen in der Ukraine. Aber Auswirkungen hat der Krieg auch auf die Energieversorgung und die Preise bei uns. Auch die Folgen der Covid-19-Pandemie sind immer noch spürbar. Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende schauen in ihrem ganz persönlichen Jahresrückblick auf 2022 zurück - wie Charles Petersohn.

Der Wuppertaler Künstler Charles Petersohn – © Daniel Schmitt spitzlicht.de

Charles Petersohn – gebürtiger Berliner und seit vielen Jahren Wahl-Wuppertaler aus Überzeugung. Der Musiker, Komponist, DJ, Autor und Moderator ist eine der prägendsten Persönlichkeiten der Kulturszene im Tal. Musikalisch lässt er sich auf keine Stilrichtung festlegen, folgt nie dem Mainstream. Damit hat er sich eine treue Fangemeinde geschaffen. Charles Petersohn ist ein Musiker, der auch eine Menge zu sagen hat – wie in diesem Interview über das Jahr 2022.

DS: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz des Jahres 2022 aus? 

Charles Petersohn: „Selbstverständlich sehr gemischt. Zeit „meines“ Lebens war Krieg nie so nah wie jetzt. So könnte man meinen. Doch im Grunde genommen ist gefühlt irgendwo immer Krieg. Das ist sehr bedrückend. Dieser Krieg ist darum so nah, weil er uns indirekt und direkt alle trifft. Die Kriege in Syrien, Afghanistan, im ehemaligen Jugoslawien und viele andere mehr, waren ebenso grausam. Krieg ist einfach die Bankrotterklärung von Regierungen und/oder Oppositionen, Lösungen zu finden, die einen Weg aufzeigen, wie man trotz aller Widerstände Lösungen finden und darauf aufbauen kann. Oder dass man nicht akzeptieren will, dass eine Region, die nach Beendigung einer gescheiterten Union eigene, souveräne Wege geht. So wie das derzeit mit der Ukraine der Fall ist. Da ich beruflich und künstlerisch einen Beitrag leisten darf und kann, den Freunden aus der Ukraine, den Widerständlerinnen aus dem Iran und den vor den Taliban geflüchteten Menschen aus Afghanistan helfen zu können, einen kleinen Beitrag leisten darf, dass der Geist der Hoffnung, des Friedens und des Lichts diejenigen erreicht, die in unsere Stadt geflüchtet sind, um Krieg, Unterdrückung und Folter zu entkommen, fällt es mir umso schwerer, zu akzeptieren, zu welch barbarischen Mitteln Menschen greifen, um ihren vermeintlichen Willen durchzusetzen.“

Musiker & Komponist Charles Petersohn – © Bettina Osswald

DS: Was ist aus Ihrer Sicht positiv gelaufen?

Charles Petersohn: „Großer Sprung – dass bürgerschaftliches Engagement in Wuppertal zu großen Erfolgen führen kann! Nach der Nordbahntrasse, Utopiastadt, dem Wuppertaler Hilfsfonds „Eintopf“ und anderen herausragenden Beispielen, ist nach mehr als zehnjähriger, größtenteils selbstloser ehrenamtlicher Arbeit, gelungen, dass Mittel des Bundes den Betreiber*innen des Freibad Mirke zur Verfügung gestellt werden, damit aus dem leeren Becken wieder ein Freibad, sogar ein Naturbad, eine urbane Begegnungsstätte und ein Ort für Kunst und Kultur werden kann. 

Teil dieses Projektes zu sein und zu erleben, dass aus diesem möglicherweise utopischen Traum Wirklichkeit wird, macht mich enorm glücklich. Das Scheitern können stand immer im Raum. Dennoch haben die guten Männer und Frauen des Vereins nicht lockergelassen, mit Geduld und intelligenten Maßnahmen dafür gesorgt, dass wir diesen Traum mit leben, mutig bleiben und nicht aufgeben. Das ist durchaus überwältigend. Ich bin dankbar, dass ich daran teilhaben darf.“

DS: Wie interpretieren Sie für sich das „Wort des Jahres“ Zeitenwende?

Charles Petersohn: „Eigentlich gar nicht. Es ist mir viel zu ikonisch, gleichzeitig zu abstrakt und viel zu groß. Offensichtlich brauchen Kanzlerinnen oder Kanzler solche Kraftausdrücke, um in einem Wort etwas zu beschreiben, das man nicht überschauen, nicht greifen kann.“   

DS: Haben die aktuellen Ereignisse sogar dazu geführt, dass Sie alte Überzeugungen über Bord geworfen und Ihre Meinung geändert haben ?

Charles Petersohn: „Ich bin Pazifist. Und musste überrascht feststellen, dass ich die Wehrhaftigkeit der Ukrainer, ihren Kampf „David gegen Goliath“ voll und ganz unterstütze. Parallel nach wie vor auf der Seite derer stehe, die mit diplomatischen Mitteln dafür kämpfen, dass die Armee und die Regierung in Russland diesen Krieg beenden werden. Dass Kompromisse den Menschen in der Ukraine dienen, nicht dem Aggressor.“

Im Vok Dams ATELIERHAUS: (v.l.) Hausherr Vok Dams, Musiker Charles Petersohn, Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Ebert, Unternehmensberater Klaus Pöhls, Foto-Künstler Rupert Warren – © Vok Dams iNotes

DS: Löst Putins Krieg in der Ukraine sogar Zukunftsängste bei Ihnen aus? Falls ja, was sind Ihre größten Sorgen?

„Jein. Ich bin glücklicher Weise kein ängstlicher Mensch. Ich arrangiere mich so gut es geht mit dem jeweiligen Istzustand und versuche, das Leben in ruhigen wie in stürmischen Zeiten aktiv zu gestalten. Da ich auf den Ausgang vieler Ereignisse keinen wirklichen Einfluss habe, bleibe ich entspannt und passe mich den Gegebenheiten an, suche und finde allerdings auch Freiräume. „Angst essen Seele auf“.“ 

DS: Was macht Ihnen Hoffnung?

Charles Petersohn: „Z.B. dass die geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die mir und dem Team des Fachdienstes für Integration und Migration in Wuppertal und Solingen fast täglich begegnen, trotz der fürchterlichen Umstände, die sie hierher geführt haben, uns so unerschütterlich und mutig, dabei freundlich und hilfsbereit begegnen. Sie leben uns vor, mit dieser grausamen Situation würdevoll umzugehen. Ich habe allergrößten Respekt vor diesen Menschen. Jeder hilft jedem, so gut es geht. Anknüpfend an meine vorherigen Worte finde ich es geradezu übermenschlich, wie diese Menschen ihr Schicksal tragen. 

Vor einigen Tagen sind zwei junge ukrainische Frauen zurück nach Kiew gefahren. Sie schrieben mir, dass die Fahrt lang, voller Ungewissheiten und anstrengend war, dass es überall an allem mangelt, was Menschen zum Überleben dringend benötigen. Dass es ihnen jedoch gut geht und sie sich auf ein Wiedersehen in Wuppertal freuen.“

DS: Welcher war für Sie der rührendste, emotionalste Moment im angelaufenen Jahr?

Charles Petersohn: „Anfang des Monats hatte ich die Aufgabe, zusammen mit der aus Polen stammenden Künstlerin Alicja Darski, das polnische Weihnachtskonzert „hej koleda koleda“ in der Historischen Stadthalle zu moderieren. Unter den knapp 700 Gästen waren neben einigen Hundert polnischen Mitbürgern aus ganz NRW, unserem multikulturellen Team auch ca. 100 ukrainische Gäste, die meist in der von uns betreuten Flüchtlingsunterkunft wohnen und teilweise seit Jahren hier leben. Es ist nicht leicht, in dieser respekteinflößenden Halle als Nicht-Profi vor so vielen Leuten zu sprechen. Doch es ist recht gut gelungen.

Nach der Begrüßung und der Vorstellung des Programms richtete ich mich an das ukrainische Publikum. „Liebe ukrainische Freunde“. Den nächsten Satz konnte ich nicht mehr aussprechen, weil das gesamte Publikum applaudierte. Gefühlt für mindestens zwei Minuten. Danach weiterzusprechen, war nicht leicht. Das war ein sehr emotionaler Moment. Diesen Klang, das hallende Klatschen aus Solidarität und Dankbarkeit werde ich wohl nie vergessen.“

Charles Petersohn mit Musiker- & DJ-Kollegin Miss Ingwer Rogers – © Privat

DS: Mit welchen Vorsätzen gehen Sie ins neue Jahr?

Charles Petersohn: „Ich habe solche Vorsätze nicht. Erst einmal freue ich mich auf die Feiertage und meine Lieblingszeit, zwischen den Jahren, wenn sich alles für einige Tage beruhigt und ich Zeit finden werde, mit der Familie zusammen zu sein und auch mal wieder Musik zu machen, die seit Monaten auf mich wartet.“ 

DS: Welche Wünsche haben Sie für 2023?

Frieden für die Ukraine. Freiheit für die Menschen im Iran, in Afghanistan und endlich eine friedliche Lösung für den Israel/Palästina Konflikt. Obendrein hege ich großen Respekt für die Menschen, die mit konsequenten, teils drastischen Mitteln versuchen, die Klimapolitik zu beeinflussen, damit „wir“ endlich begreifen, dass Pseudoverbesserungen die „apokalyptische“ Entwicklung nicht aufhalten werden.“

DS: Was können die Wuppertalerin und Wuppertaler von Ihnen im nächsten Jahr als Künstler und Kulturschaffenden erwarten?

Charles Petersohn: „Dass ich nicht von der Bildfläche verschwinde und weiterhin mein Wesen und Unwesen treiben werde. Wenn alles gut geht, werde ich im Januar neue Musik veröffentlichen. Zwischen den Jahren ein Mixtape. 

Im Januar > 

Am 19. Januar um 18 Uhr sind Mark Tykwer und ich im JFC Medienzentrum in Köln zu Gast. Mark Tykwer referiert über Musik im Film. Ich gestalte live einen Soundtrack zum legendären Stummfilm „Der Mann mit der Kamera“.

Link

Am 29. Januar um 15 Uhr findet im KuKuNa Atelier in Wuppertal Unterbarmen die nächste Ausgabe des Künstlertreffs UNTERDINGS statt. Zu Gast sind die Musikerin und Dichterin Nina Bausch und der Multiinstrumentalist Karlo Wentzel. Wir unterhalten uns über Zufälle und Fehler, die zu besonderen Ergebnissen geführt haben. Des Weiteren philosophieren wir über Dilettanten und Amateure. Zum Schluss werden wir gemeinsam Musik machen. Das Publikum ist eingeladen, sich an den Gedanken und Gesprächen zu beteiligen.“

Details demnächst

Das Interview führte Peter Pionke

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