8. Oktober 2022

Camilla Jacob: Vier Tal-Typen und eine Theaterfrau

Da sind diese Menschen, die zum großen und kleinen Weltgeschehen nie befragt werden. Die sich in ihre vermeintliche Bedeutungslosigkeit so sehr ergeben haben, dass sie von sich aus höchstens in sozialen Medien das Wort ergreifen, um ihre Sicht der Dinge in die Runde zu werfen.

Die Schauspielerin Camilla Jacob – © Manfred Görgens

Schließlich interessiert das Publikum doch weit mehr, was Experten mitzuteilen haben. Nur: Wie vollständig ist ein Meinungsspiegel, der einen großen Teil der Bevölkerung ausblendet?

In einem Theaterprojekt hat die Schauspielerin Camilla Jacob vier dieser Unbefragten aus dem Wuppertaler Stadtleben befragt. Keine realen Personen, sondern Prototypen, keine Männer, sondern ausschließlich Frauen: eine Jugendliche, eine Alleinerziehende, eine Arbeiterin, eine Frau aus dem öffentlichen Dienst.

Von MANFRED GÖRGENS

Figuren aus dem gewöhnlichen Leben, die überall im Stadtgeschehen vertreten sind, aber nicht adäquat wahrgenommen werden. Wobei der weibliche Blick ungleich weniger Beachtung findet als der männliche. Darum eben die Performance mit vier Frauen, eine jede von Camilla Jacob verkörpert.

Die Schauspielerin, die 1989 in Hannover als Camilla Nowogrodzki geboren wurde und im niederschlesischen Jelena Góra aufwuchs, lebt erst seit 2019 in Wuppertal. Ihr Einstieg in die Stadt gestaltete sich nachvollziehbar schwierig, denn kurz nach dem Umzug wurden Corona-Maßnahmen ergriffen, die eine Bühnenpräsenz nahezu unmöglich machten.

Ist in Wuppertal angekommen: Camilla Jacob © Manfred Görgens

Die Elberfelder Neubürgerin, die damals gerade erst Mutter geworden war, nahm die Widrigkeiten als Herausforderung und nicht als Last. „Mein Optimismus ist eine bewusste Entscheidung für einen konstruktiven Umgang mit den Dingen. Ich bin in einem sehr schönen Alter, die Zeiten von Sturm und Drang sind überstanden, ich fühle eine innere Klarheit“, sagte sie auf dem Höhepunkt der Pandemie.

Einen künstlerischen Anker fand sie damals im Bürgerbahnhof Vohwinkel, ein wertvoller Halt, der das Einfinden in die neue Rolle als Mutter und in die neue Umgebung erleichterte.

Wohnortwechsel sind für Camilla Jacob keine Seltenheit. Aus Niederschlesien zog sie mit den Eltern im Alter von zwölf Jahren nach Berlin, um nach dem Abitur ihr Schauspielstudium bei Professor Markus Wünsch an der Hochschule für Musik und Theater Rostock aufzunehmen.

Mit dem selbstinszenierten Projekt „Woyzeck“ nach Georg Büchner errang sie 2012 beim Hochschulwettbewerb HMT-Interdisziplinär den 1. Preis. Nach Abschluss des Studiums 2015 wechselte sie ans Vorarlberger Landestheater Bregenz und damit in „einen elitären Kreis, wo beste Rahmenbedingungen herrschten, aber doch die Brücke zu den Alltagsmenschen fehlte“.

Selbst Erfolge wie der STELLA.Jugendpreis 2016 für die beste Kinder- und Jugendtheaterproduktion in Österreich konnten am Ende nicht gegen das Heimweh nach Berlin ankommen. Sie zog wieder in die deutsche Hauptstadt und bekam, was zumindest Laien als Medaille einer Schauspielkarriere erscheinen will: ihr erstes Engagement für eine TV-Produktion. Es war die Rolle der Crystal in der Serie „Berlin Station“ unter Regisseur John David Coles („House of Cards“, „Law & Order“).

Camilla Jacob hat Bühnen- und Kamera-Erfahrung – © Manfred Görgens

Regisseurin Connie Walther leitete eine Phase ein, die bis heute Camillas beruflichen und persönlichen Werdegang ausmacht. Die soziale Arbeit im kulturellen Kontext verbunden mit Schauspiel erwies sich als richtungsgebend. Berliner Kinderhilfe Schutzengel und Jugendamt Treptow-Köpenick wurden ebenso Stationen der neuen Orientierung wie ein Theaterprojekt im Nachbarschaftsheim Neukölln mit Mädchen der Sinti und Roma.

Deutlich in diesen Zusammenhang gehört die Rolle in der „Tatort“-Folge „Leonessa“ (2020) mit Ulrike Folkerts und Lisa Bitter. Camilla spielt darin die überforderte Mutter einer 15-Jährigen, die sich prostituiert.

Wenig später kam der Umzug von Berlin nach Wuppertal. Im Unterschied zu vielen alteingesessenen Bürgern ist Camilla Jacob begeistert von dieser Stadt: „Wuppertal hat großes Potenzial, wird aber leider in der öffentlichen Wahrnehmung stark unterschätzt.“

Nachdem 2022 die zahlreichen Einschränkungen des Kulturlebens aufgehoben wurden, hat die Schauspielerin auch Wuppertals Kulturleben erfahren können und empfindet nun eine Aufbruchsstimmung, in der sie selbst zahlreiche neue Kontakte schließen und sich vernetzen konnte, etwa mit dem Café Ada. „Die Stadt ist noch ursprünglich und vor allem überschaubar. Wuppertal hat seinen eigenen Rhythmus, den es sich nicht nehmen lässt.“

Und nun sei es an der Zeit, die Kultur wieder hochzufahren. In diesen Kontext gehört die Performance, die Camilla Jacob erstmals am 16. Oktober in der Bahnhofshalle Vohwinkel aufführen wird. In Textfragmenten beschäftigt sie sich mit der Frage, was ihre vier Frauentypen denken könnten, was sie als das Lebenswerte in dieser Zeit betrachten, was sie zusammenhält.

Besitzt nicht nur großes Talent, sondern auch viel Humor: Camilla Jacob – © Manfred Görgens

Cello und Trompete, die akustisch besser in die Halle passen als etwa ein Klavier, liefern dazu musikalische Begleitung. Im Anschluss wird das Publikum zum Austausch in den Bürgerbahnhof eingeladen. Wie es nach der Premiere weitergeht, wird sich je nach Corona-Lage entscheiden.

Betrüblich wäre es, wenn es keine Fortführung gäbe, denn der Planungsaufwand war immens und höher, als Camilla Jacob erwartet hatte. Allein die Buchung der Bahnhofshalle kostete viel Zeit und Kraft, da hierüber mit der Deutschen Bahn zu verhandeln war. Am Rande aber ergaben sich bereits gute Kontakte zur Stadt Wuppertal und zu lokalen Unternehmen.

Link zur Webseite von Camilla Jacob

http://www.camilla-jacob.de

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