9. Dezember 2021

Wupper Theater: Integration spielt seit 30 Jahren die Hauptrolle

Integration und Inklusion spielen die Hauptrolle beim Wupper Theater. Und das seit 30 Jahren. Kinder unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen zusammen zu führen, sie dafür zu begeistern, gemeinsam auf der Bühne zu stehen, das steht seit der Gründung 1991 auf dem "Spielplan" der interkulturellen Einrichtung. 

(Hinten v.l.) Marcia Golgowsky, Perpetua Keller, Gabi Bölke, Lilay Huser, Heike Beutel. Vorne: Barbara Krott. Das Foto entstand bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Barbara Krott (Leiterin des Wupper Theaters von 1991 bis 2016) – © Antje Zeis-Loi

Seit der ersten Minute dabei ist die Wuppertaler Schauspielerin Lilay Huser („Almanya – Willkommen in Deutschland“), die selbst einen Migrationshintergrund hat. Und die „Mutter der Integration“ ist auch heute noch mit Leib und Seele dabei.

Marcia Golgowsky, ihre Kollegin und kongeniale Partnerin beim Comedy-Duo „Die Trockenblumen“, stieß erst später dazu, ist aber nicht weniger engagiert. 

Aus Anlass des 30. Geburtages des Wupper Theaters haben wir uns mit Lilay Huser, Marcia Golgowsky und mit Heike Beutel unterhalten. Sie ist als Nachfolgerin von Barbara Krott neue Leiterin des Wupper Theaters.

DS: Was war 1991 der Auslöser für die Gründung des Wuppertheaters?

Lilay Huser: „Wir waren vorher beim Arkadas-Theater in Köln. Hauptsächlich haben wir türkische Stücke gespielt. Unser Ziel war es aber zweisprachiges, deutsch-türkisches Theater für Kinder zu machen und interkulturelle Themen zu wählen die die Türkei und Mitteleuropa einbeziehen.“

DS: Wer war denn von der ersten Stunde an dabei?

Lilay Huser: „Barbara Krott (Bühnenbildnerin), Meray Ülgen (Regisseur), Vedat Erincin (Schauspieler) und ich.“

DS: Können Sie sich noch an die erste Prduktion erinnern?

Lilay Huser: „Unser erfolgreichstes Kinderstück. „Der Wolf, die Lämmer und Geißlein – Keciler, Kuzular ve Kurt“ von Meray Ülgen wurde von 1991 bis zum Jahr 1998 gespielt und dann wieder 2008 und wird in einer neuen Version seit 2014 bis heute gespielt. Es ist immer auch noch eine Vorlage für Workshops mit Kindern. Inzwischen in verschiedenen Sprachen.“

DS: Auch damals stand das Thema Integration von Jugendlichen unterschiedlichster Nationen und Kulturkreise bereits im Mittelpunkt. Was hat sich im Laufe der 30 Jahre in diesem Punkt verändert?

Lilay Huser: „Wir haben mit zweisprachigem, deutsch-türkischen Theater angefangen. Wir haben unser Programm erweitert, um künftige gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen. Es kommen Jugendliche aus anderen Kulturkreisen. Und wir arbeiten mit Themen des Bereichs Flucht und Inklusion. “

Heike Beutel: „Am Anfang bündelten sich die Themen in Theaterstücken. Heute sind sie Thema unserer zahlreichen Workshops mit Kindern und Jugendlichen.“

Foto: Antje Zeis LoiLilay Huser mit Kinder im Wupper Theater – © Antje Zeis Lob

DS: Inwieweit hat die große Flüchtlingskrise in den letzen Jahren Ihre Arbeit verändert oder sogar erschwert?

Marcia Golgowsky: „Wir bieten seit ein paar Jahren auch theaterpädagogische Projekte an, die wir ganz gezielt mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen und anderen Kindern durchführen. Wir legen Wert darauf, auch hier mit unserer Theaterarbeit einen Teil zur Integration zu leisten. Wir haben seit 2018 auch einen jungen Assistenten bei den Projekten dabei, der aus Syrien geflüchtet ist und uns als Dolmetscher bei Projekten mit geflüchteten Kindern unterstützt. Durch unsere Arbeit mit geflüchteten Jugendlichen ist ein Buch entstanden. Hierzu kann Heike Beutel mehr berichten.“

Heike Beutel: „Unsere Themen konzentrieren sich noch mehr auf Integration, Gleichheit zwischen den Geschlechtern und Fragen nach Demokratieverständnis. Außerdem haben wir ein Buch über geflüchtete Kinder und Jugendliche mit dem Emons Verlag in Köln gemacht und mit Unterstützung der Jackstädt Stiftung und der NRW Stiftung eine Wanderausstellung daraus gemacht, die im Februar 2022 in Wuppertal im katholischen Stadthaus zu sehen sein wird. Außerdem arbeitet ein ehemals Geflüchteter ständig als Dolmetscher oder Assistent bei unseren Workshops mit.“

DS: Unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Religionen – wie bekommen Sie das bei Ihrer täglichen Theaterarbeit unter einen Hut?

Marcia Golgowsky: „Das ist uns bisher nicht besonders schwer gefallen. Wir sehen unsere Vielfältigkeit als Stärke. Jeder bringt sich mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten und Sprachen mit ein. Diese Vielseitigkeit zeigt sich auch auf der Bühne und in unseren Projekten.“

Lilay Huser: „Wir wollten etwas zusammen schaffen, das Verschiedenartige soll für uns selbstverständlich sein.“

Heike Beutel: „Da das Wupper Theater von Anfang an interkulturell aufgestellt war und die Verschiedenheit der Religionen und Nationen in zahlreichen Projekten zum Thema hatte und hat, ist das für uns kein Thema, das besonders behandelt werden müsste.“

DS: Wäre ein weihnachtliches Krippenspiel oder Weihnachstück beim Wupper Theater überhaupt denkbar und möglich?

Marcia Golgowsky: „Wir hatten schon mal ein Projekt, bei dem wir Szenen und Lieder zu verschiedenen Festen der drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam auf der Bühne präsentiert haben. Wir führen gerne zusammen, verbinden und feiern gemeinsam.“

Heike Beutel: „Wir haben uns in vielen Projekten mit Festen der drei großen Religionen beschäftigt, eine einseitige Ausrichtung nur auf den christlichen Teil wäre nicht in unserem Sinn. Das tun ja andere.“

DS: Arbeiten Sie alle ehrenamtlich oder gibt es so etwas wie eine Aufwandsentschädigung für Ihren wertvollen, nachhaltigen Einsatz?

Marcia Golgowsky: „Wir arbeiten nicht ehrenamtlich beim Wupper Theater. Jede von uns arbeitet als Freiberuflerin für das Wupper Theater und hat projektgebundene Honorarverträge und wird angemessen für ihre Arbeit bezahlt. Das geht, weil wir von verschiedenen Förderstellen und Stiftungen Projektförderungen erhalten. Wir stellen regelmäßig Förderanträge und gehen Kooperationen mit Einrichtungen ein, die uns unterstützen. Aktuelle Projekte werden zum Beispiel von der Aktion Mensch oder dem LVR gefördert, oder von der Dr. Werner-Jackstädt-Stiftung und der NRW-Stiftung fianziell unterstützt. Auch arbeiten wir eng mit dem Kommunalen Integrationszentrum Wuppertal zusammen, das mit uns auch das ein oder andere Projekt realisiert.“

Heike Beutel: „Wir arbeiten nicht ehrenamtlich. Wir beantragen Projekte bei verschiedenen Institutionen wie Aktion Mensch, LVR, Jackstädt Stiftung oder NRW Stiftung, die entsprechend der üblichen Honorare für sozialpädagogische Arbeit abgegolten werden.Wir sind stolz darauf, dass wir als Wupper Theater von diesen Institutionen in unserer Arbeit bestärkt und unterstützt werden.“

Foto: Wupper TheaterLilay Huser (2. v.l.) und Marcia Golgowsky (ganz rechts) beim Auftritt des Wupper Theaters in Istanbul (Türkei) im Dezember 2015 – © Wupper Theater

DS: Gibt es eine feste Spielstätte oder eine ständige Location, an der Ihre Seminare und Workshops stattfinden?

Marcia Golgowsky: „Für unsere theaterpädagogischen Projekte arbeiten wir seit vielen Jahren mit festen Kooperationspartnern wie z.B. der Alten Feuerwache Wuppertal, der Diakonie Michaelshoven in Köln oder der Initiative „Offenes Ohr“ in Barmen zusammen. In deren Räumlichkeiten veranstalten wir unsere Workshops. Je nach Projekt finden unsere Wokshops auch an Schulen, Kindertagesstätten und ähnlichen Einrichtungen statt.“

Wie ist es um den Nachwuchs bestellt? Gibt es genug Kollegen, die Sie unterstützen oder auch einmal für Sie einspringen, wenn beispielsweise Lilay Huser und Sie als „Trockenblumen“ auf Tour sind oder für TV-Produktionen verpflichtet wurden?

Marcia Golgowsky: „Das Wupper Theater besteht aus einem festen Stamm von sechs freiberuflichen Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Choereografinnen. Insgesamt arbeiten an unserem Theater aber 14 PädagogInnen und TheatermacherInnen auch aus den Bereichen Bühnen- udn Kostümbild, Licht, Ton, Film, Fotografie und Design.“

Lilay Huser: „Es gibt genügend Künstler, die an unserer Arbeit interessiert sind und mitmachen wollen.“

DS: Wie integrieren Sie die Eltern, die zum Teil aus ganz anderen Kulturkreisen stammen. Denn deren Okay benötigen Sie ja unbedingt, damit die Kinder überhaupt an Ihren Workshops teilnehmen dürfen?

Marcua Golgowsky: „Wenn wir in Schulen und Kindergärten sind, arbeiten wir ja mit bereits bestehenden Gruppen oder Klassen. Die Teilnahme wird dann im Vorfeld von der Klassen- bzw. Kitaleitung geklärt. Die Eltern werden über mehrsprachige Flyer informiert. In den anderen Einrichtungen werden die Kids und auch die Eltern meist über die örtlichen Pädagogen angesprochen. Unsere Informationen zu unserem Projekten werden immer in verschiedenen Sprachen verfasst, sodass die Eltern immer im Bilde sind und ihre Kinder auch teilweise selbst anmelden.“

DS: Wenn Sie zurückblicken: Welche Ziele haben Sie in den vergangenen 30 Jahren erreicht?

Marcia Golgowsky: „Eine kontinuierliche und nachhaltige interkulturelle Arbeit, vor allem mit Kindern und Jugendlichen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen.“

Lilay Huser: „In Kinder-, und Jugendbereich haben wir vielmehr erreicht, als wir gedacht haben.“

Heike Beutel: „Wir haben erreicht, dass ein zuverlässiger Pool von ständigen Mitarbeitern konstant im Wupper Theater arbeitet. Dass es allen ein Herzensangelegenheit ist, dabei zu sein. Und wir können Kindern und Jugendlichen, die von zuhause aus nicht finanziell unterstützt werden können, mit unseren kostenlosen Workshops ein Ferienangebot mit Catering bieten, das diese auch sehr gern annehmen. Wir waren und sind immer an an den wichtigen gesellschaftlichen Problemen dran und nehmen sie in unsere Projekte auf.“

Foto: WuppertheaterLilay Huser (l.) und Marcia Golgowsky als „Die Trockenblumen“ in ihrem Element – © Antje Zeis Loi

DS: Und welche Ziele Sie noch nicht erreicht?

Marcia Golgowsky: „In den Jahren 2015 und 2016 begannen wir eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut Istanbul. Wir sind ein paar Mal dorthin gereist und haben unsere mehrsprachigen Märchen-Workshops an verschiedenen internationalen Schulen in Istanbul veranstaltet. Eigentlich waren eine langfristige Zusammenarbeit und viele weitere Workshops geplant, aber die politische Situation in der Türkei machten eine Weiterführung unserer Abreit dort leider unmöglich.“

Heike Beutel: „Die Ziele, die wir uns gesteckt haben, haben wir erreicht. Leider können wir durch die gegenwärtige politische Situation unsere Zusammenarbeit mit Theatern und Institutionen in der Türkei nicht fortführen. Das bedauern wir sehr.“

Lilay Huser: „Wir würden gerne mehr für die Abendprogramme erreichen. Das müsste sich verbessern.“

DS: Wo steht das Wupper Theater in 30 Jahren?

Marcia Golgowsky: „Im Jahr 2051 wird es bestimmt immer noch viele gesellschaftliche Themen geben, denen sich das Wupper Theater in seiner Arbeit widmen kann.“ 

Heike Beutel: „Es wird interkulturell geführt. Menschen aus verschiedenen Ländern decken die Projekte und Angebote für Kinder und Jugendliche ab. Wir haben ein interkulturelles Begegnungszentrum und arbeiten eng mit dem Vielrespektzentrum Essen zusammen. Wir bieten Workshops auf der ganzen Welt an und haben Ableger in vielen Länder, ein großes Netzwerk, wo sich alle gegenseitig unterstützen.“

DS: Was wünschen Sie sich für das Jahr 2022?

Marcia Golgowsky: „Dass wir und unsere Lieben gesund bleiben und dass wir trotz der Pandemie unsere Projekte weiterführen können. Und natürlich, dass wir in diesem Jahr dann endlich die mehrfach verschobene Premiere unseres neuen Trockenblumen-Programms „Alman an Bord?“ feiern können.“

Heike Beutel: „Wir wünschen uns, dass wir trotz der Pandemie unsere Projekte und Workshops durchführen und dass keiner von uns ernsthaft erkrankt.“

Lilay Huser: „Wir wissen nicht, wie das weitergeht. Wir versuchen auf neue gesellschaftliche Situationen einzugehen.“

Das Interview führte Peter Pionke

 

Link zur Webseite des Wupper Theaters

http://www.wuppertheater.de

 

 

 

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