17. Juli 2019

‚Mama, ich kann das nicht schreiben‘

„Mama, ich kann das nicht schreiben“ - Lese-Rechtschreib-Störungen sind auch heute noch großes Problem. Die Wuppertaler Dipl.-Psychologin Barbara Knoblauch gibt Ratschläge, wie Eltern ihren Kindern helfen können.

Diplom-Psychologin Barbara Knoblauch – © Dirk Sengotta

Die Lese-Rechtschreibstörung (abgekürzt LRS) wurde früher als Legasthenie bezeichnet. Es zeigen sich deutliche Störungen in der Rechtschreibung und im Lesen. Das Kind zeigt beispielsweise eine auffällig hohe Fehlerzahl bei Diktaten aber auch bei abgeschriebenen Worten, liest nur stockend und kann das Gelesene nicht wiedergeben. Viele Kinder lernen Texte auswendig und versuchen ihre Umgebung so zu täuschen.

International finden Sie in der Fachliteratur den Begriff der ‚Dyslexie‘. Die Störung wird im Schulalter diagnostiziert und zwar überall auf der Welt. Immer wieder hört man z.B. von der Betroffenheit dreier Mitglieder aus dem schwedischen Königshaus. Jungen sind wesentlich häufiger von der Störung betroffen als Mädchen.

Es gibt viele Erklärungsansätze und es herrscht noch immer Uneinigkeit über die Ursachen. Eine Hypothese geht von einer Schwäche in der Lautdifferenzierung aus, insbesondere Schwierigkeiten beim Zusammenziehen der Laute. Eine andere Hypothese sieht eher die Schwierigkeiten in einer verringerten visuellen Wahrnehmungssensibilität als Grundlage für die Störung.

Die familiäre Häufung und neuere Forschungsergebnisse lassen zumindest auf eine genetische Beteiligung, d.h. erbliche Faktoren, schließen. Forschung in diesem Bereich bleibt von großer Bedeutung, damit die Störung früher erkannt und mit Förderprogrammen angegangen werden kann.

Meist kann man die Kinder schon im ersten Schuljahr durch Schwierigkeiten im Lese- und Schreibprozess erkennen. Da aber je nach pädagogischem Ansatz des Schriftspracherwerbs noch eine große Toleranzbreite herrscht, fallen die Kinder meist erst wirklich Ende des 2. Schuljahres, manchmal noch viel später auf.

Dann haben sich natürlich längst sekundäre Probleme ergeben. Die Kinder leiden meist stark unter ihren Schwierigkeiten. Sie vergleichen sich mit ihren Klassenkameraden und sehen die eigenen Defizite.

Prinz Carl Philip (40), Sohn des schwedischen Königs Carl XVI Gustaf und Königin Silvia, der sein Problem nicht verheimlicht und sich auch öffentlich dazu stellt, berichtete kürzlich in einem Fernsehinterview von seiner schwierigen Schulzeit. Während die anderen Kinder schon mehrere Seiten ihrer Aufgaben erledigt hatten, saß er immer noch an der ersten Seite und fühlte sich minderwertig.

Obwohl sich die Schwierigkeiten nur auf das Lesen und Schreiben beziehen, die Kinder ansonsten ja normal intelligent sind, übertragen sich die Schwierigkeiten auch auf die anderen Fächer. Sie können nicht oder nur mit Schwierigkeiten lesen, z.B. was die Lehrerin an die Tafel schreibt, was im Mathematikbuch steht etc..

Die Kinder hassen allmählich das Lesen und das Schreiben, verweigern sich, wol- len nicht mehr in die Schule gehen, zeigen psychosomatische Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, möglicherweise Schlafstörungen.

Sowohl Schulverweigerung als auch andere Verhaltensweisen drohen. Einige Kinder lernen den Clown zu spielen, um von ihren Problemen abzulenken, andere werden immer depressiver. Die Schulkarriere droht den Bach herunter zu gehen.

Bei einer Vorstellung beim Schulpsychologischen Dienst, in einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Praxis oder im Sozialpädiatrischem Zentrum wird die Störung diagnostiziert: Es erfolgt ein Test der Intelligenz und die Erfassung und Messung der Schwierigkeiten. Nur wenn die Intelligenz im Normalbereich liegt und die Schwierigkeiten signifikant (das heißt statistisch bedeutsam) davon abweichen, wird eine LRS diagnostiziert.

Mit der Diagnose und der Bestätigung der emotionalen Schwierigkeiten und deren Folgen kann die Fi- nanzierung einer Therapie beim Jugendamt beantragt werden. Die schulischen Mittel müssen ausgeschöpft sein.

Das Jugendamt ist originär nicht zuständig für die Gewährung und Finanzierung von Therapien, muss aber helfen und finanzieren, wenn seelische Behinderung droht oder besteht. Das Jugendamt prüft den Antrag und verweist, bei Bestätigung der Ordnungsmäßigkeit, an die anerkannten Institute und Praxen. Hier findet die eigentliche Therapie statt, die sich meist über Jahre erstreckt.

Speziell ausgebildete Pädagogen führen Lernprogramme und Therapien mit Ihrem Kind durch, wobei eine enge Zusammenarbeit mit der Schule und den Eltern stattfinden muss.

Der Verlauf der Störung ist eher ungünstig. Kinder mit einer LRS sind häufig von begleitenden psychischen Schwierigkeiten bedroht. Hinter den statistischen Durchschnittszahlen verbergen sich aber auch Entwicklungen, die sich vollständig ausgeheilt ohne Restsymptome darstellen.

In jedem Fall bleibt eine frühe Diagnostik mit Therapie- und Förderung auf mehreren Ebenen und guter Zusammenarbeit von entscheidender Wichtigkeit. Im häus- lichen Bereich nehmen Sie bitte den Druck raus und versuchen Sie, Ihr Kind spielerisch zu fördern.

Lesen bleibt vorrangig, da es alle Fächer betrifft und ein Aufgabenverständnis vor jedem Schreiben entwickelt werden muss.

Ihre Barbara Knoblauch
Dipl. Psych./Psychotherapeutin

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