Christian Hampe: „Utopiastadt produziert innovative Ideen“

Im Mirker Bahnhof wird über den Tellerrand hinaus gedacht. Chef-Denker Christian Hampe beschreibt die Philosophie so: „Utopiastadt ist ein Experimentier-Labor für innovative Ideen.“ Lesen Sie das umfassende Interview mit dem Utopisten in unserer Reihe "Hand aufs Herz".

Christian Hampe – © Utopiastadt / Sven Pacher

Utopiastadt im Mirker Bahnhof hat sich in den letzten Jahren zu einer Keimzelle innovativer Ideen entwickelt. Immer mehr kreative Wuppertaler springen auf den Zug auf, arbeiten ehrenamtlich mit an Visionen für die Zukunft. „Normale“ Bürger nutzen die zahlreichen Angebote von Utopiastadt, die offenen Werkstätten, die Büro-Arbeitsplätze (Coworking Space) oder besuchen die breit gefächerten Kultur-Veranstaltungen im „Café Hutmacher“. Peter Pionke unterhielt sich mit „Chef-Denker“ Christian Hampe.

DS: Wenn man in intellektuellen Kreisen von Utopiastadt spricht, bekommen Alle leuchtende Augen, doch so richtig erklären kann das Phänomen niemand. Ist Utopiastadt ein Phantom?

Christian Hampe: „Utopiastadt ist kein Phantom. Utopiastadt ist da, ist real! Aber Utopiastadt ist nicht Utopia. Wir sind auch noch nicht am Ziel angekommen, sondern noch auf dem Weg. Wir sehen uns als Experimentier-Labor, in dem man sich mit Utopie, mit Stadt und Gesellschaft auseinandersetzt. Auf eine andere Art und Weise als es z.B. die Stadtentwicklung oder ein Fachbereich an der Uni tun können. Wir wollen Mut machen und Wege aufzeigen, wie man verkrustete Strukturen aufbrechen und Dinge verändern kann.“

DS: Warum braucht Wuppertal Utopiastadt?

Christian Hampe: „Wuppertal braucht Utopiastadt als einen Baustein von vielen, die dazu beitragen, dass wir die drohende Insolvenz dieser Erde ein Stück weit in den Griff kriegen. Wir nennen das große Transformation. Es gab in der Menschheitsgeschichte schon zwei große Transformationen. Die eine war die Sesshaftwerdung, sozusagen das Format Stadt, die zweite war die Industrialisierung. Und jetzt stehen wir an einem Punkt, an dem wir erstmals global erfassen können, dass unsere Ressourcen schneller verbraucht werden als sie nachwachsen. Das Problem ist der Kontext von ökonomischen und sozialen Zusammenhängen.“

DS: Jetzt bitte einmal etwas konkreter…

Christian Hampe: „Es geht jetzt beispielsweise darum, wie geht man mit der sehr starken Urbanisierung um. Rund 70 Prozent der Deutschen leben in Städten. Wie funktioniert dort das soziale und ökonomische Zusammenleben? Hier können wir mit Utopiastadt und unseren vielen kleinen Projekten einen Beitrag leisten. So bauen wir u.a. mit Jugendlichen Pflanzkisten. Sie kommen damit nicht nur in Kontakt mit der Natur, sondern werden damit möglicherweise auch auf einen Handwerksberuf vorbereitet. Oder wir versuchen zu erklären, wie Kommunikation zwischen Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft funktionieren müsste. In diesen Fragen arbeiten wir u.a. mit dem Wuppertal-Institut, der Montag-Stiftung für Urbane Räume oder auch mit der Humboldt-Universität zu Berlin zusammen.“

DS: Utopia steht für Wunschtraum oder für eine fiktive Gesellschaftsordnung. Warum haben Sie Ihr Projekt Utopiastadt getauft?

Christian Hampe: „2008 und 2009 haben wir uns sehr viel mit dem Thema Schöpfung befasst. Da ging es noch gar nicht um Utopie, sondern darum, was wollen wir schaffen. Ist es ein Schaffen oder eher ein Umwandeln, also ein Transformieren. Da sind viele Leute zusammengekommen, die eine Idee davon hatten, wie Stadt und Gesellschaft besser funktionieren könnten, auch im Kontext von globalen Themen. Und dann wollten wir diesen vielen Utopien und Ideen, die oft noch sehr abstrakt waren, eine Plattform geben und eine Werkstatt für Utopien schaffen, so ist der Name letztlich entstanden.“

DS: Nicht alle Wuppertaler sprühen vor Ideen, was tun Sie, um auch den Otto-Normal-Wuppertaler abzuholen und mit auf Ihre kreative Reise zu nehmen?

Christian Hampe: „Indem wir unsere Angebote möglichst physisch, sozial und finanziell barrierefrei gestalten, damit möglichst viele Wuppertaler mitmachen können. Dabei gibt es aktive und passive Teilhabe. Passive Teilhabe im Sinne von – ich kann dahin kommen, kann an der Kultur – sprich Konzerte, Lesungen oder Vorträge teilhaben. Bei der aktiven Teilhabe kann ich beispielsweise an der Planung einer offenen Werkstatt oder an der urbanen Landwirtschaft aktiv mitarbeiten. Wir haben es geschafft, die Öffentlichkeit immer wieder für Themen zu sensibilisieren, für Open Data, Urban Gardening oder auch für die ganzen Mobilitäts-Themen.“

DS: Ist Ihnen das Lob, das von der Stadt auf Sie einprasselt, nicht manchmal suspekt, immerhin nehmen Sie der Verwaltung ein Stück weit die Stadtentwicklung weg oder ab, die ja Geld kosten würde, was nicht vorhanden ist?

Christian Hampe: „Unser Projekt ist eigentlich von Anfang an bei der Stadtverwaltung und der Wirtschaftsförderung auf fruchtbaren Boden gefallen. Da wurde uns zwar kein Geld zur Verfügung gestellt, aber beratende Unterstützung. Wir freuen uns natürlich über die Anerkennung. Das bestätigt uns in unserer Arbeit.“

DS: Sie werden als zentrale Anlaufstelle für kreative Stadtentwicklung bezeichnet, wie verstehen Sie diese Berufung?

Christian Hampe: „Wir stellen in erster Linie Raum, Infrastruktur und ein Netzwerk zur Verfügung, versuchen Verknüpfungen herzustellen, Menschen zusammenzubringen – organisieren sozusagen ein informelles Wissensmanagement.“

DS: Inwieweit hilft Ihnen der Wuppertal-Marketing-Wirtschaftspreis, den Sie in diesem Jahr erhalten haben, bei Ihrer kreativen Arbeit weiter?

Christian Hampe: „Wir haben hier rund 200 kreative Köpfe, die sich für Projekte ehrenamtlich engagieren. Für einige von ihnen war der Preis eine wertvolle Bestätigung. Ich kann mir auch vorstellen, dass der eine oder andere Wuppertaler Unternehmer, für den Utopiastadt bislang ein heruntergekommener, alter Bahnhof und so ein paar kreative Freaks waren, die Kultur machen, jetzt registrieren, dass wir uns wirklich um Stadtentwicklung kümmern. Und vielleicht wird so auch klarer, was die „Welt am Sonntag“ meinte, als sie schrieb : »Lasst uns einfach mehr Wuppertal wagen«.“

DS: Was muss man mitbringen, um „Utopist“ werden zu können?

Christian Hampe: „Mut und Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit, Beharrlichkeit, um über die ersten Hindernisse springen zu können.“

DS: Stadtlabor für Utopien – Ingenieure ohne Grenzen. Das sind schöne Schlagworte mit innovativem Touch. Wie schlägt sich das in der täglichen Arbeit nieder?

Christian Hampe: „Ein Stück weit Innovation besteht auch darin, über die eigenen Grenzen hinaus zu schauen und zu agieren. Wenn man immer in seinem eigenen, kleinen Universum bleibt, wird es schwierig, über den Tellerrand hinaus zu blicken, neue Aspekte in die eigene Arbeit aufzunehmen und daraus einen Mehrwert zu entwickeln – ob nun im ökonomischen oder im sozialen Bereich.“

DS: Inwieweit trägt Ihre Initiative vom „Urban Gardening“ und der „Essbaren Stadt“ schon an anderen Stellen Wuppertals Früchte?

Christian Hampe: „Urban Gardening ist ja nicht unsere Erfindung. Wir haben aber schon Anfang 2012 einen offenen Thementag veranstaltet, wo es um Urban Gardening und urbane Landwirtschaft ging. Da haben wir die Akteure aus Wuppertal zusammengeholt. Damals gab es gerade den ‚Wandelgarten‘ im Luisenviertel. Heute haben wir über zehn Urban Gardening Projekte in der Stadt, die natürlich aber nicht alle auf unserem Mist gewachsen sind.“

DS: Das ‚Café Hutmacher‘ im alten Mirker Bahnhof ist Treffpunkt und Event-Location, in der oberen Etage befinden sich Ideenschmieden. Vergangenheit und Zukunft gehen eine erfolgreiche Symbiose ein. Macht das stolz?

Christian Hampe: „Wir sind sehr froh, dass sich unsere Ideen so positiv entwickelt haben. Teilweise sogar besser, als wir uns das je erträumt haben. Wir haben damals nicht damit gerechnet, dass einmal bei uns im Mirker Bahnhof jemand sitzen würde, der eine App entwickelt, mit der man sehen kann, wann welche Busse wo und wie fahren. Mittlerweile werden Projektideen auch von außen herangetragen und mit Hilfe der Möglichkeiten in Utopiastadt umgesetzt. Darauf sind wir durchaus stolz.“

DS: Tolle, innovative Ideen zu haben, ist die eine Sache, davon leben zu können, ist die andere Seite. Wie ist es darum bestellt?

Christian Hampe: „Wir haben ein Stück weit Unternehmergeist und unheimlich viel ehrenamtliche Zeit investiert. 150 bis 200 Ehrenamtler investieren hier rund 1.500 Stunden im Monat. Beate Blaschczok und ich beziehen inzwischen als Geschäftsführer der Utopiastadt GmbH ein Gehalt und können davon leben. Wir haben hier inzwischen mehrere Arbeitsplätze geschaffen. Aber Utopiastadt ist ein Projekt, das nie ohne ehrenamtliches Engagement auskommen wird. Die Leute, die bei uns mitmachen, haben ja auch Spaß an der Arbeit. Insofern ergänzen sich eigenes Interesse und Gemeinwohl sehr gut.“

DS: Sie leben ja von Sponsoren – wie groß ist die Gefahr, von ihnen vereinnahmt zu werden?

Christian Hampe: „Das ist immer wieder mal ein Thema. Nach dem Motto: ‚Bei Euch ist doch immer so viel los, können wir da nicht einen Info-Stand von uns aufstellen?‘ Da wägen wir jedes Mal ab, ob das mit unseren Interessen in Einklang zu bringen ist. Ich muss aber schon sagen, dass uns die Sponsoren noch nicht die Bude einrennen. Die Unternehmen, die uns regelmäßig unterstützen, sind sehr stark in der Stadt Wuppertal verankert.“

DS: Was versprechen sich Sponsoren von einer Kooperation mit „Utopiastadt“?

Christian Hampe: „Natürlich verspricht sich ein Sponsor immer auch einen Werbe-Effekt. Wir sind immer wieder mal in der Presse, wir sprechen alle Altersschichten und somit eine breite Zielgruppe an. Der Mirker Bahnhof direkt an der Nordbahntrasse ist schon ein Ort mit viel Traffic. Und diesen kann man natürlich im Marketing nutzen. Andere sind an unserem Know How interessiert und wollen auch inhaltlich daran partizipieren.“

DS: Wie viel Ihres Weges haben Sie nach eigener Einschätzung bereits zurückgelegt?

Christian Hampe: „Es gibt ja für uns keinen Endpunkt. Wir sind einfach losgegangen. Ein Meilenstein war aber sicherlich, dass es uns gelungen ist, am Mirker Bahnhof einen Ort zu schaffen, der akzeptiert und ernst genommen wird.“

DS: Gibt es eine Vision, wie Utopiastadt am Ende aussehen soll?

Christian Hampe: „Ziel ist es natürlich, unser Projekt hier am Ort langfristig auf sichere Füße zu stellen. Die Rahmenbedingung dafür sind gegeben. Wir haben die ersten 50 Prozent geschafft, nicht zuletzt dadurch, dass wir eine Förderung akquiriert haben und dass wir das Bahnhofsgebäude von der Sparkasse gespendet bekamen. Der Komplex muß aber nun unbedingt saniert werden, sonst bricht er irgendwann zusammen.“

DS: Was kann die Politik von Utopiastadt lernen?

Christian Hampe: „Wir sehen uns nicht als Lehrmeister, sondern versuchen, verschiedene, gesellschaftliche Dimension zusammen zu denken: Soziales, Kulturelles, Wirtschaft, Ökonomie, Wissenschaft. So komplex zu arbeiten, ist in manchen Strukturen heute schwierig. Wir freuen uns, mit Anderen in die Weite blicken zu können. Zum Beispiel darauf zu schauen, dass sich die Mobilität in den nächsten Jahren rasant verändern wird. Da macht es keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen, weil hier in Wuppertal viele Unternehmen der Automobil-Zuliefer-Industrie ihren Firmensitz haben. Die Frage ist, wie nutzen wir als Region das als Möglichkeit, und wie gehen wir mit diesen Unternehmen und deren Potential gemeinsam in eine nachhaltige, ökonomisch, ökologisch und sozial sinnvolle Zukunft?“

DS: Welches Projekt im Rahmen von Utopiastadt gehen Sie als nächstes an?

Christian Hampe: „Wir gehen mit Nachdruck die Sanierung des Gebäudes an, wir ziehen mit den offenen Werkstätten in die frühere Gepäckabfertigung nebenan um, und wir richten den ausrangierten Schwebebahnwagen, den wir bekommen, als Info-Zentrum an der Trasse ein.“

DS: Gibt es irgendwo in Deutschland oder sonst wo schon eine Kopie Ihrer „Stadt der kreativen Träume“?

Christian Hampe: „Es gibt keine Kopie, aber es gibt vergleichbare Projekte, die sich alle von unserem unterscheiden. Dennoch kommen immer wieder Leute auf uns zu, fragen uns, wie wir Utopiastadt auf die Beine gestellt haben und bitten uns um Ratschläge – sie kommen aus Berlin, den Niederlanden, Kirgigistan oder Südamerika.“

DS: Vielen Dank für das interessante Gespräch

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