1. Dezember 2025Peter Pionke
Uni-Professor Bilal Gökce: „Erfolg kennt keine Herkunft“
Der Wuppertaler Uni-Prof. Dr. Bilal Gökce hat ein Motiviations-Buch für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund geschrieben – © Gökce„Wir haben an Wuppertaler Schulen einen Migrationsanteil von fast 65 Prozent. Wir werden auch in Zukunft mehr und mehr Schülerinnen und Schüler haben, die aus bildungsfernen Haushalten kommen, das zeigt die Demographie“, sagt Professor Bilal Gökce von der Bergischen Universität. Zwar liegen die aktuellen Zahlen für 2025 noch nicht vor, aber der Trend deutet auf eine weitere Zunahme des Anteils an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte in ganz Nordrhein-Westfalen hin. Gökce kennt die Sorgen und Nöte von Kindern aus bildungsfernen Haushalten und hat nun das Buch „Erfolg kennt keine Herkunft“ geschrieben, das Schülern auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft motivieren soll.
Lehrstuhl für Werkstoffe und Additive Fertigung
Eigentlich beschäftigt sich Bilal Gökce an seinem Lehrstuhl für Werkstoffe und Additive Fertigung mit der Entwicklung und Erforschung neuer Materialien für den 3D-Druck. Dabei gehe es in erster Linie um technologische Anwendungen metallischer Werkstoffe und Kunststoffe. „Das geht bis in die Richtung der Kernfusion. Wir forschen u.a. an den Materialien für die Kernfusion, Materialien für die Elektromobilität oder an Implantaten, wo es darum geht, die Biokompatibilität zu erhöhen. Wir entwickeln dann Materialien, die auch vom Körper aufgenommen werden können, also biomedizinische Materialien.“
© Bergische UniversitätDer 41jährige Wissenschaftler engagiert sich aber auch in den Sozialen Medien, hält dort Vorträge und teilt mit den Usern seine Erfahrungen. „Ich bin als @profinsight (Profinsight ist der Social-Media-Auftritt von Prof. Dr. Bilal Gökce. Darin teilt er seine Erfahrungen und inspiriert junge Menschen, Anm. d. Red.) bei TikTok und Instagram aktiv“, erzählt er. „Nach meinen Live-Schaltungen, in denen es um Studium, Bildungsaufstieg und Motivation geht, kamen oft Fragen dazu, wie man trotz Hürden seinen eigenen Weg gehen kann und die Bitte, all das einmal aufzuschreiben.“
Das war dann die Initialzündung zum Verfassen des Buches. „Der Titel ‚Erfolg kennt keine Herkunft‘ bedeutet, dass jede(r) die Chance hat, es zu schaffen. Natürlich gibt es dabei Barrieren, auf die ich auch eingehe, aber das Buch ist ein Motivationsbuch“, erklärt er. Es solle Personen aus Nichtakademikerhaushalten und Migranten, Kinder und Erwachsene, motivieren, es weit zu schaffen. „Das Buch ist so aufgebaut, dass ich Leute anleite und das jeweils mit Anekdoten aus meinem eigenen Leben unterfüttere. Das macht das Ganze auch authentischer. Ich bin selbst diesen Weg gegangen und kenne die Problematiken. Ich weiß, was gerade für diese Zielgruppe wichtig ist, und darauf gehe ich in diesem Buch ein.“
Vom Arbeiterkind zum Hochschulprofessor
Gökce weiß, wovon er redet und nennt gerne Beispiele aus seiner Vergangenheit, die zeigen, mit welchen Selbstzweifeln und Schwierigkeiten er selbst zu kämpfen hatte. „Das ist bei mir ein Balanceakt gewesen zwischen finanziellen Problemen, Selbstzweifeln und dem ständigen Gefühl, nicht dazu zu gehören.“
Dazu komme natürlich auch immer vielerorts der Alltagsrassismus und man müsse sich eines klar vor Augen führen: „Für ein Kind aus einem Nichtakademikerhaushalt oder für ein Migrantenkind ist der Schritt an die Universität ein Schritt in eine komplett neue Welt. Für mich war der Besuch der Eröffnungswoche damals das erste Mal, dass ich überhaupt an einer Universität war. D.h., davor hatte ich keine Berührung und das akademische System kannte ich überhaupt nicht, denn ich hatte keine akademischen Vorbilder. Ich war der Erste, der in meiner Familie zu Ende studiert hat. Ich musste mich alleine zurechtfinden und das war ein großer Akt. Uni ist Selbststudium, da gibt es ja keine Anleitung mehr wie in der Schule. Heute sehe ich das auch von der Professorenseite. Und wenn man da keine Vorbilder oder Mentoren hat, dann ist das sehr schwer.“
Der Naturwissenschaftler biss sich aber durch, auch mit Unterstützung der Familie. „Ich hatte wirklich den Glauben daran, dass Erfolg, und damit verbunden sozialer Aufstieg, mich meinen Zielen näherbringt, denn ich bin ein sehr zielstrebiger Mensch. Der andere Punkt ist ganz klar, ich hatte Freunde, Mentoren und meine Familie, die mich unterstützt haben.“ Vor allem die Worte seines Vaters, eines Gastarbeiters der ersten Generation in den 1960er Jahren, haben ihn stets motiviert. „´Bilal, mach was aus dir, damit du nicht diese Knochenarbeit verrichten muss, die ich verrichte, ` sagte er. Er war immer stolz auf mich und hat meinen Werdegang voll unterstützt.“
Selbstzweifel, obwohl Migrantenkinder doch Deutsche sind
Migrantenkinder haben häufig Selbstzweifel und das habe zwei Gründe, sagt Gökce. „Wir, als Migrantenkinder, spüren zum einen den gesellschaftlichen Druck, gerade auch jetzt in dem aktuellen gesellschaftlichen Klima. Ich meine, ich bin Deutscher, viele dieser Kinder mit Migrationshintergrund sind Deutsche, oft schon in der zweiten und dritten Generation. Und trotzdem kriegt man zu hören: ‚Ihr seid willkommen, wenn ihr arbeitet, wenn ihr etwas leistet.‘ Aber daran sollte das nicht geknüpft sein, wenn wir Deutsche sind. Das sagt man bei Deutschen ohne Migrationshintergrund auch nicht. Da hat man dann wieder dieses Gefühl, dass man nicht dazugehört. Und darauf gehe ich auch oft in meinem Buch und auch in meinen Vorträgen ein.“
Selbst innerfamiliär stellt Gökce schon bei seinem minderjährigen Sohn diesen gesellschaftlichen Druck fest und das führe zu Selbstzweifeln. Hinzu komme, dass die Kinder der Gastarbeiter natürlich auch ihren Eltern zeigen wollen, dass es sich gelohnt habe, hierher zu kommen, damit sie stolz auf ihren Nachwuchs sind. „Aber das baut auch wieder enormen Druck auf. Das kann auf die Dauer auch ungesund sein“, sagt Gökce, „das merke ich auch in meinen Gesprächen mit jungen Menschen. Und wenn nun jemand studiert und die ersten schlechten Noten schreibt, ploppt dieses Gefühl des nicht Dazugehörens sofort wieder auf und sie denken: ‚Vielleicht ist das doch nicht mein Weg, vielleicht gehöre ich doch nicht hier hin‘. Zweifel sind verständlich, aber damit muss man umgehen lernen und es als Kraft nutzen, um seinen Weg weiterzugehen.“
Kleine Schritte zum Selbstbewusstsein
Gökces Buch bietet Hilfestellungen und Übungen an, mit denen Hindernisse überwunden werden können, denn, so hat er erfahren, „man sieht bei Migrantenkindern und Kindern aus Nichtakademikerhaushalten oft bestimmte psychologische Effekte, die ausgeprägter sind. Sie sind dann zaghafter und unsicherer und kommen ungern aus der Komfortzone heraus. Das ist ein ganzes Kapitel in meinem Buch. In der Psychologie gibt es die sogenannte Exposure-Therapie (Die Exposure-Therapie, auch als Expositionstherapie oder Konfrontationstherapie bekannt, ist eine Methode der Verhaltenstherapie, bei der Patienten gezielt angstauslösenden Reizen ausgesetzt werden, um Ängste abzubauen, Anm. d. Red.), wo es darum geht, in kleinen Schritten sich aus der Komfortzone herauszutrauen.“
„Erfolg kennt keine Herkunft – Wie du deinen Weg gehst, auch wenn die Welt dagegen ist“ – Prof. Dr. Bilal Gökce – GABAL-Verlag 2025 – Das Buch ist als Taschenbuch und als E-Book erhältlich – ISBN-10: 396739249X – ISBN-13: 978-3967392494Das könne beispielsweise das Ansprechen einer fremden Person sein, was für einen introvertierten Menschen schon eine Hürde sein kann, oder die Tasse Kaffee in einem anderen Lokal. „Man muss erst merken, dass es nicht so schwierig ist, dann überwindet man langsam seine Angst. Da spreche ich auch immer von mir selber, denn ich bin auch ein eher introvertierter Mensch. Als ich vor einem Jahr das erste Mal auf TikTok live gesprochen habe, hat mich das eine enorme Überwindung gekostet. Man hat dann auf der anderen Seite viele Menschen, die einem zuhören, und das ist auch immer eine Verantwortung. Und dann habe ich aber gemerkt, dass es mir Spaß macht. Darum muss man Dinge ausprobieren.“
Ziele haben und verfolgen
Disziplin und Durchhaltevermögen müssen langsam aufgebaut werden, daher ist ein zielgerichtetes Arbeiten sehr wichtig. „Man muss Ziele vor Augen haben“, sagt der Wissenschaftler, aber gerade das hätten viele junge Menschen noch nicht. „Ich sehe das bei vielen Leuten, die Abitur machen, aber nicht wissen, was sie arbeiten oder studieren möchten. Sie haben keinen Plan, und das ist nicht schön.“
Zwar müssten Pläne nicht in Stein gemeißelt sein, aber Pläne zu haben, das motiviere und es führe zu Disziplin. „Wenn man etwas erreichen möchte, überlegt man zwei oder drei Mal, ob man an dem Tag doch nicht arbeitet oder lernt für die Prüfung, weil man weiß, dieses Lernen, was ich aktuell tue, führt dazu, dass ich dieses Semester erfolgreich abschließe, dass ich das Studium erfolgreich abschließe und danach meinen Traumjob kriege und vielleicht sogar meine Erfüllung darin finde.“
Und auch Rückschläge müsse man einkalkulieren. „Ich selber habe in den ersten beiden Semestern von zehn Klausuren acht nicht bestanden. Ich hätte aufgeben können, aber ich bin am Ball geblieben, bin meinen Weg gegangen, und habe sogar in der Regelstudienzeit abgeschlossen. Rückschläge sind Lernerfahrungen.“
Talente finden
Gökce sagt: „Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels braucht das Land junge Talente.“ Und diese Talente seien vorhanden, ist er sich sicher, sie müssten nur entdeckt werden. „Es gibt Statistiken, die zeigen, dass in jeder Bevölkerung viele begabte und talentierte Leute vorhanden sind. Und dann fragt man sich, wo sind denn all diese Menschen, die vielleicht sogar ein Potential wie Albert Einstein oder Marie Curie haben? Die sind einfach nicht entdeckt worden. Und das ist die Aufgabe für mich und für alle Lehrerinnen und Lehrer.“
Die Talente selber könnten sich auch helfen, indem sie sich ausprobierten, wirklich Praktika machten, als Studierende ins Ausland gingen oder ehrenamtlich tätig würden. „Ich kann nicht wissen, ob ich ein toller Hockeyspieler geworden wäre, wenn ich nie Hockey gespielt habe. Manche Dinge kann man nicht erfahren, ohne sie ausprobiert zu haben.“ Und manche Talente sind in unserem gesellschaftlichen Klima auch gar nicht so leicht zu finden.
Dazu nennt er ein Beispiel: „Ich habe potentielle Bewerber, wenn ich Stellenausschreibungen an der Uni für Doktoranden oder Postdoktoranden habe, also hochqualifizierte Leute, die mich anschreiben und fragen: Ist Deutschland ein sicheres Land für uns? Ich hätte mir nie vorstellen können, so etwas zu hören, dass also im Ausland Deutschland in manchen Regionen ein solches Image hat. Aber die politische Lage spricht sich im Ausland rum.“
Motivationsvorträge auch an Schulen möglich
Gökce hält regelmäßig einen Vortrag mit dem Titel „Ohne Vorbilder an die Spitze – wie Nichtakademiker-Kinder ihre Träume verwirklichen“. Der richtet sich insbesondere an Schüler: innen und Studierende, die sich in ähnlichen Lebenssituationen wiederfinden und soll sie ermutigen, an sich selbst zu glauben und den eigenen Weg entschlossen zu gehen. An ca.15 Hochschulen hat er damit schon mehr als 1300 Zuhörerinnen erreicht.
„Die Resonanz ist sehr positiv und ich mache das auch aus Eigennutz, denn ich liebe es, die Leute zu motivieren, weil das auch mich wieder motiviert. Als Reaktion kommt oft, dass sich die Menschen gesehen gefühlt haben, sie schreiben mir auch oft im Nachgang. Sie sagen dann so Dinge wie: ´Dank ihres Vortrages habe ich die Klausur bestanden`, oder ´Ich stand kurz dem Abbruch des Studiums, aber dank ihnen, habe ich weitergemacht und habe gemerkt, dass es doch klappt`. Und das ist sehr erfüllend. Das sehe ich als meine Aufgabe. Wenn es die Zeit erlaubt, halte ich meine Vorträge auch gerne an Schulen.“
Uwe Blass
Prof. Dr. Bilal Gökce – © GökceÜber Prof. Dr. Bilal Kökce
Bilal Gökce ist Professor für Werkstoffe und Additive Fertigung in der Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität.
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