30. Oktober 2025Peter Pionke
Die erste Leica-Kamera: Revolution in der Fotografie
Christoph Westermeier, Fotograf und Lehrbeauftragter Kunst an der Bergischen Universität – © WestermeierDie Leica-Kamera wurde sozusagen aus gesundheitlichen Gründen erfunden, oder?
Christoph Westermeier: „Oskar Barnack ist einer dieser genialen Tüftler des 19. Jahrhunderts, dessen Erfindung das fotografische Bild im 20. Jahrhundert maßgeblich prägte und dessen Bedeutung bis in die Gegenwart reicht. Er wurde 1879 in Brandenburg geboren, ging gegen Ende des Jahrhunderts auf die Walz und wurde 1911, also noch zu Kaiserzeiten, als Mechanikermeister bei der Firma, die heute Leica Camera AG heißt, angestellt.
© Bergische UniversitätIn seiner Freizeit war Barnack ein begeisterter Hobbyfotograf – und wenn wir über Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprechen, dann sprechen wir über Plattenkameras, schwere Gerätschaften und komplizierte technische Verfahren. Oskar Barnack hatte aber starkes Asthma und litt unter Lungen- und Bronchialproblemen. Dies schränkte ihn bei seinem liebsten Hobby, der Fotografie, ein. Da er die Fotografie aber nicht aufgeben wollte, suchte er nach einem Weg, ohne große körperliche Anstrengung fotografieren zu können und wurde zum Erfinder der „Ur-Leica“.“
Wo kommt denn der Name Leica her?
Christoph Westermeier: „Der Name hat nichts mit dem Weltallhund Laika zu tun, sondern setzt sich ganz profan aus den Wörtern „Lei“ – von Leitz (dem Nachnamen des Firmengründers Ernst Leitz) und „ca“ – von Camera zusammen.“
Leica I (A), Seriennummer 12711 (1928); Objektiv: Leitz Elmar 1 : 3,5 F = 50 mm – © CC BY 3.0Nach langen Diskussionen ging die Leica I 1925 in Serie. Diese Kleinbildkamera löste eine Revolution in der Fotografie aus. Warum?
Christoph Westermeier: „Die Fotografie war bis zu der Erfindung der Leica ein statisches Verfahren. Ein großer Apparat wurde aufgestellt, die Belichtungszeit dauerte lange, und das Verfahren war technisch kompliziert. Die frühen Fotografien sind daher in frontaler Perspektive aufgenommen, sie sind statisch und unbeweglich. Mit der Erfindung der Leica wurde das Fotografieren körperlicher, die Blickachsen änderten sich, und der Blick ging nach oben, nach unten und zur Seite. Mit der Verbreitung der Leica vor 100 Jahren wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen und die Fotografie änderte sich grundlegend.“
Aus dem Kinobild machte Barnack ein Fotobild. Was bedeutet das?
Christoph Westermeier: „Als Barnack bei der Firma Ernst Leitz anfing zu arbeiten, wurde Film hauptsächlich im Kino verwendet – also als Kinofilm mit 35 mm Breite, der horizontal durch den Projektor lief und auf dem jede Aufnahme etwa 18 × 24 mm groß war. Barnack drehte diesen Film jedoch quer in seiner Kamera und vergrößerte das Bildformat auf 24 mal 36 Millimeter. Dadurch konnte er denselben Film, der sonst für Kinofilme gedacht war, für Standbilder nutzen. Auf diese Weise machte Barnack also aus dem „Kinobild“ ein „Fotobild“. Interessant ist neben der technischen Tüftelei auch das Gehäuse, das entwickelt wurde, um diese neue Erfindung im Alltag zu benutzen.“
Die Leica-Kamera in Luxusausführung – © CC BY-SA 2.0 fr 3.Er ließ sich das Gehäuse aus Aluminium gießen. Die Kamera passte tatsächlich in eine Jackentasche. Aber die Patentanmeldung wurde damals abgewiesen. Warum?
Christoph Westermeier: „Oskar Barnack war nicht der einzige Tüftler, der an einer neuen Art des Fotoapparats forschte. Das Kaiserliche Patentamt, bei dem die Ur-Leica angemeldet werden sollte, sah ein Patent der Firma Carl Zeiss/Jena und ein französisches Patent berührt. Es wurde daher erst mal der kleine Bruder des Patents, der Gebrauchsmusterschutz, vergeben. Interessanterweise war Barnack vor seiner Anstellung in Wetzlar als Feinmechaniker und Justierer bei der Firma Carl Zeiss angestellt.“
Die Leica I wurde 1925 auf der Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt und beeindruckte durch ihre Kompaktheit, leichte Handhabung und Bildqualität. Das ermöglichte völlig neue Aufnahmearten für Fotojournalisten und Hobbyfotografen. Was wurde denn da auch einmal möglich?
Christoph Westermeier: „Das fotografische Bild, wie wir es heute kennen, wurde durch Barnacks Erfindung überhaupt erst ermöglicht. Fotojournalismus, der schnell und aktiv vor Ort agieren kann, gab es vorher nicht. Auch die Hobbyfotografie war bis dahin eine elitäre Beschäftigung und eher mit der Aquarellmalerei zu vergleichen. Vor 100 Jahren änderte sich das: Die Fotografie erfand sich neu. Die Demokratisierung des Bildes, der einfache Zugang und der inklusive Ansatz der Fotografie sind die Folgen von Barnacks bahnbrechender Erfindung. Seine Erfindung bestimmte das fotografische Bild bis zur Einführung der digitalen Kamera. Digitale Fotografie funktioniert jedoch ganz anders: Hier wird nicht ein Augenblick für die Ewigkeit auf ein Negativ gebannt, sondern eine Datei erstellt, die sich leicht bearbeiten lässt und zu KI-generierten Bildern führt.“
Die Leica IIIf (1954) mit Selbstauslöser – © CC BY-SA 4.0Die Leica wurde ein finanzieller Erfolgsschlager. Barnack entwickelte diese Kamera aber auch weiter, oder?
Christoph Westermeier: „Natürlich. Das Modell, das vor 100 Jahren präsentiert wurde, war schon ein anderes, als die Ur-Leica, und es versteht sich von selbst, dass an der Leica von Modell zu Modell justiert und optimiert wurde, auch über Barnacks Tod hinaus. Der technische Wandel hat vor dem Unternehmen und der Kamera nicht Halt gemacht und reicht bis in die Gegenwart.“
1936 starb der Leica-Erfinder. Aber seine Kamera ist ein Erfolgsrezept und wird bis heute hergestellt. Arbeiten Sie auch mit einer Leica?
Christoph Westermeier: „Ich arbeite mit vielen unterschiedlichen Kamers – und eine davon ist auch eine Leica. Der berühmte Schriftzug prägt bis heute die Fotoszene und eine lebende Legende, wie die Kollegin Katharina Sieverding, wäre ohne Leica überhaupt nicht denkbar.“
Uwe Blass
Christoph Westermeier – © WestermeierÜber Christoph Westermeier
Christoph Westermeier studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. Er ist Lehrbeauftragter für Fotografie in der Fakultät Design und Kunst an der Bergischen Universität.
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