12. September 2025Peter Pionke
Hannelore Kraft: Ein „Kraft-Akt“ für unsere Demokratie
Hannelore Kraft im Gespräch mit Moderator Jürgen Zurheide – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernBevor Hannelore Kraft (64) als Impulsgast der 34. Auflage der renommierten Netzwerk-Veranstaltung „STADTGESPRÄCHE.ruhr“ zum Kernthema „Wie gefährdet ist die Demokratie“ von Moderator Jürgen Zurheide Interviewt wurde, gönnte sie den über 200 Zuhörerinnen und Zuhörern im Essener Sparkassen-Hochhaus noch einen Blick hinter die Kulissen des Profifußballs.
„Ich schaue Fußball heute ganz anders als ich das früher als einfacher Fan tat. Damals habe ich mich nach schlechten Spielen geärgert und wusste alles besser. Heute sitze ich zwischen Leuten, die viel mehr Ahnung vom Fußball haben als ich. Ich lerne ständig dazu und habe als Funktionsträgerin einen ganz anderen Blick. Wenn beispielsweide vor dem Spiel von den Fans im Stadion Pyros abgebrannt werden, zähle ich immer mit. Denn jeder Feuerwerkskörper kostet den Verein Strafe. Wir haben in dieser Saison noch keinen Punkt geholt und noch kein Tor geschossen – und trotzdem ist alles easy. Vizepräsidentin von Borussia Mönchengladbach zu sein, bedeutet für mich Freizeit, Ehrenamt und viel Aufwand, aber das macht mir wahnsinnig viel Spaß.“
Begeistert von dem Interview mit Hannelore Kraft: Eva-Maria Kiessler, 2. Vorsitzende des Vereins STRADTGESRÄCHE.ruhr e.V. und der Chirurg Dr. Claudio Schlegtendal – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernAuch Hannelore Kraft verfolgt mit einer gewissen Skepsis die Explosion der Spielergehälter im Profifußball. Sie sieht aber auch eine positive Entwicklung und eine angestiegene Professionalität: „Unsere Spieler sind alle sehr höflich und gut erzogen. Außerdem sind sie sehr professionell. Geschichten, die Günter Netzer (80) aus seiner aktiven Zeit erzählt, dass er mit dem Privatwagen zu Auswärtsspielen gefahren ist, weil er nicht mit im Mannschaftsbus sitzen wollte, sind heute undenkbar.“
Radiohören am Morgen
Dann arbeitete sich TV- und Rundfunk-Moderator Jürgen Zurheide, ein Meister am Mikrofon, langsam aber sicher an das Hauptthema heran: „Was schalten Sie morgens als Erstes ein – Fernsehen oder Radio?“. Die Antwort der gebürtigen Mülheimerin kam prompt; „Das Radio! Als Ministerpräsidentin war ich ein wahrer Nachrichten-Junkie. Schon auf dem Weg zum Landtag habe ich acht Zeitungen gelesen. Das ist heute anders, da versuche ich bewusst, mich ein Stück weit zurück zu nehmen. Viele Menschen schauen zu oft auf ihr Handy und lassen davon ihr Leben beeinflussen.“
Der Journalist Dr. Richard Kiessler, Initiator und 1. Vorsitzender des Vereins STADTGESPÄCHE.ruhr e.V., im Gespräch mit Impulsgast Hannelore Kraft – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernGleich nach ihrem Ausstieg aus der Politik hatte sich Hannelore Kraft auch von allen Sozial-Medien-Kanälen verabschiedet. Über die aktuelle Politik und die Arbeit der Koalition wollte sie sich nicht äußern. Ihre Begründung: Sie sei nicht im Thema und kenne auch keine Hintergründe.
Ständige News über Trump
Als politischen Menschen sieht sich Hannelore Kraft aber immer noch, auch wenn sie jetzt nur handverlesen Nachrichten inhaliert: „Ich ärgere mich ständig darüber, worüber heute verstärkt berichtet wird. Ich möchte nicht jeden Morgen hören, dass Herr Trump wieder einmal gepupst hat. So etwas befeuert unsere Gesellschaft, was aus meiner Perspektive nicht gesund ist.“
Hannelore Kraft sieht die Demokratie in Deutschland durchaus durch Parteien am rechten und linken Rand in Gefahr, beispielsweise durch ständige Verächtlichmachung von Politik und Politikern.
Das Ehepaar Sepi und Dr. Oliver Klöck (M.) u.a. mit dem Künstler Sharyar Azhdari (l.) – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernUnd daran tragen aus ihrem Blickwinkel auch die Medien eine Mitschuld: „Erst wurde die Ampel verunglimpft, jetzt ist es die neue Koalition. Es wird ständig über Unstimmigkeiten in der Regierung berichtet. Dabei gehört Streit doch zur Demokratie dazu. Ich möchte, dass sich Politiker über Positionen und Werte miteinander auseinandersetzen, für ihre Überzeugungen streiten. Wir haben nun einmal eine parlamentarische Demokratie mit unterschiedlichen Parteien: Es heißt dann aber immer in den Medien lapidar: Die Parteien konnten sich im Koalitionsvertrag mit ihrer Position nicht durchsetzen. Wichtig ist doch, dass am Ende etwas Gutes dabei herauskommt. Es ist doch ganz einfach: Wer sich zu 100 Prozent durchsetzen will, muss 100 Prozent der Stimmen erringen. Und das ist in der heutigen Zeit fast unmöglich.“
Kompromiss beinahe ein Schimpfwort
Auf die Frage, ob der Begriff Kompromiss mittlerweile nicht schon fast zu einem Schimpfwort verkommen sei, hatte Hannelore Kraft auch eine klare Antwort parat: „Ein Kompromiss in der Sache muss auch positiv in die Gesellschaft transportiert werden. Aber heute sind leider Klick- oder Zuschauerzahlen die entscheidende Währung und Garanten für den wirtschaftlichen Erfolg. Mit Übertreibungen, Zuspitzungen und zwei Politikern, die sich streiten, wie die Kesselflicker, werden eben mehr Klicks generiert als mit zwei Parteivertretern, die einen Kompromiss verkünden. Fakt ist: Demokratie braucht Demokraten.“
Rüdiger Konetschny (l.), Beisitzer im Verein STADTGESPRÄCHE.ruhr e.V., mit Sängerin Mirjam von Eigen – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernJürgen Zurheide warf ein, dass die Partien vom rechten und linken Rand die etablierte Konkurrenz in Sachen Präsenz in den Sozialen Medien längst weit überholt hätten. Wurde der Trend von CDU, SPD, FDP oder Grünen verschlafen? Auch hier blieb Hannelore Kraft keine Antwort schuldig: „Das kann man so sehen. Das hat aber auch damit zu tun, wie viel Geld man für die Online-Präsens in die Hand nehmen kann. Man weiß heute, dass diese Parteien große Finanziers haben, zum Teil aus dem Ausland. Von hier aus werden über sogenannte Bots ganz bestimmte Nachrichten ins Internet gespült. So wird manipoliert der Eindruck erweckt, dass es sich dabei um Mehrheits-Meinungen handelt.“
Lösungsansätze für das Renten-Problem
Für Hannelore Kraft ist unmissverständlich klar, dass die großen Probleme der heutige Zeit gelöst werden müssen. Kernsatz aus ihrer aktiven Zeit als engagierte Sozialpolitikerin „Wir lassen kein Kind zurück“, ein Versprechen wie in Stein gemeißelt, ein Versprechen, dass sie aufgrund leerer Kassen nicht einhalten konnte. Die Probleme seien in der Zwischenzeit – so Moderator Jürgen Zurheide – eher größer als kleiner geworden. Doch Hannelore Kraft hatte persönliche Lösungsansätze im Gepäck.
Der Unternehmer Dirk Eckrath (r.) mit dem Zahnarzt Dr. Detlef Schulz – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernBeispielsweise beim Thema Rente: „Man kann sagen: Oje, jetzt gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente und in den Sozialkassen reicht das Geld hinten und vorne nicht. Oder man greift das Problem von der anderen Seite an: Wie bekomme ich die Frauenerwerbstätigkeit nach oben, wie schaffe ich es, mehr Frauen, die in Teilzeit arbeiten, in einen Vollzeit-Job zu bekommen? Wie steigere ich die Zahl der Kitas? Es gibt in unserer Gesellschaft rund fünf Prozent sogenannter Lauschepper und Totalverweigerer, die unser Sozialsystem ausnutzen. Da muss man ansetzen, aber auf der anderen Seite ist es dringend nötig, auch die Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe massiv zu bekämpfen.“
Demos verbreiteten Hoffnung
Trotz aller Probleme, trotz des starken Zuwachses bei den Parteien an den Rändern, glaubt Hannelore Kraft an die Zukunft der Demokratie in Deutschland: „Die Väter unserer Verfassung haben gute Arbeit geleistet und unser System vor Missbrauch ein Stück weit gesichert. Außerdem macht mir Hoffnung, dass so viele Menschen bei den großen Demonstrationen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind und damit eindeutig gezeigt haben: Wir wollen in einer Demokratie leben!“
Dr. Rainald Heinisch (l.) und Pascal Nameh (STADTGESRPRÄCHE.ruhr e.V.) – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernEin starker Auftritt, sozusagen der „Kraft-Akt“ einer Frau, die ihr Leben als Politikerin ganz bewusst hinter sich gelassen und neue Wege beschritten hat. Dr. Richard Kiessler, Initiator und Vorsitzender des Vereins „STADTGESPRÄCHE.ruhr e.V.“, dankte Hannelore Kraft und Jürgen Zurheide für das tiefgründige und offene Gespräch. Vor der Ex-Ministerpräsidentin hatte schon die Sängerin Mirjam von Eigen eindrucksvoll auf einen denkwürdigen Abend eingestimmt, der noch lange nachhallen wird.
Text Peter Pionke
Betty Stellmacher (STADTGESPRÄCHE.ruhr e.V.) im Gespräch mit dem Fotografen Hennes Multhaupt – © Fotostudio Essen / Dr. Claudia PosernLink zur Webseite der STADTGESPRÄCHE.ruhr e.V.
http://www.stadtgespräche.ruhr
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