28. Mai 2025Peter Pionke
Sigmar Gabriel: Mein Kipp-Punkt bei Wladimir Putin

Der ehemalige Bundesaußenminister und Vizekanzler war Impulsgast der renommierten Netzwerk-Veranstaltung STADTGESPÄCHE.ruhr. Dr. Richard Kiessler, Initiator des hochkarätigen Meetings für Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur, begrüßte den prominenten Gast herzlich, der ihm als Journalist und Ex-Chefredakteur (NRZ) schon häufig über den Weg gelaufen war.
Zunächst bestaunte Sigmar Gabriel das Werk, das Künstler Sharyar Azhdari als Collage aus mehreren seiner Portrait-Fotos eigens für den Abend geschaffen hatte. Ein kurzer Plausch hier, ein kurzer Plausch da. Auch für das eine oder andere Selfie stellte sich der volksnahe Politiker gern zur Verfügung. Für hochkarätige musikalische Unterhaltung sorgten derweil Sängerin Shiela Tan und Keyboarder Peter Köcke.
Sorge um Frieden und Freiheit
Doch dann kam der ernstere Teil der ansonsten lockeren Veranstaltung: Der spannende Talk des Rundfunk- und Fernseh-Moderator Jürgen Zurheide mit dem Polit-Profi. Jetzt konnte man eine Stecknadel fallen hören und die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer erlebten einen nachdenklichen Sigmar Gabriel, einen Spitzenpolitiker, der sich Sorgen um Frieden und Freiheit in Europa macht.

Zunächst drehte sich das Gespräch um Donald Trump. Kernfrage: Wie soll man mit einem US-Präsidenten umgehen, der täglich seine Meinung ändert? Sigmar Gabriel wies darauf hin: „Trump ist von den Amerikanern gewählt und der politisch mächtigste Mann der Welt. Was auch immer wir von ihm halten, die USA sind unser wichtigster Bündnispartner und für uns auch in wirtschaftlicher Beziehung von wesentlicher Bedeutung. Deshalb finde ich es absolut richtig, dass unser neuer Bundeskanzler, bevor er Donald Trump beim G7-Treffen oder beim NATO-Treffen begegnet, mit ihm direkt in Washington ins Gespräch kommen will. Ich finde überhaupt, dass Merz, was die außenpolitische Seite angeht, bislang viel Geschick bewiesen hat.“ Ein bemerkenswertes Lob aus dem Mund eines Ur-Sozialdemokraten
Gnadenloser Krieg gegen Zivilbevölkerung
Es ist bekannt, dass Sigmar Gabriel als Bundesaußenminister lange versucht hatte, mit Wladimir Putin im Gespräch zu bleiben. Auf die Frage von Jürgen Zurheide, wo der Kipppunkt gekommen sei, der Punkt, an dem er das wahre Gesicht des russischen Präsidenten erkannt habe, antwortete Gabriel unmissverständlich: „Bei einem Gespräch über den Syrien-Krieg. In Idlib waren gerade viele Frauen und Kinder eingeschlossen. Ich habe Putin darauf aufmerksam gemacht, dass dringend ein Korridor geschaffen werden müsse, um die Menschen dort sicher heraus zu holen. Und ich habe ihn auch gefragt, wie er mit so einem Verbrecher wie Assad gemeinsame Sache machen könne, der sein eigenes Volk bombardiere. Seine Antwort darauf: ‚Wenn man Krieg führt, muss man ihn auch gewinnen wollen‘. Das hieß nichts anderes als: der Zweck heiligt die Mittel. Da habe ich gespürt, dass uns Welten trennen.“

Zu seinem Putin-Bild passe auch die Gegenwart, wo er tagtäglich die Ukraine bombardiere und gnadenlos Krieg gegen die Zivilbevölkerung führe. Klare Einschätzungen eines Experten in Sachen Außenpolitik: „Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne Putin mit Verhandlungen davon abhalten, den Krieg weiter zuführen. Er ist nur zu stoppen, wenn man die Ukraine so unterstützt, dass sie den Russen stand halten kann und ihn danach auch noch davon abhält, uns an anderer Stelle zu bedrohen.“
Sigmar Gabriel warnt ausdrücklich vor einem sogenannten Diktatfrieden: „Trump ist Putin bei dessen Forderungen schon sehr weit entgegen gekommen und dennoch bombardiert er die Ukraine weiter. Aus der Erfahrung wissen wir, dass Diktatfrieden keinen wirklichen Frieden bringen, sondern der Konflikt im Untergrund weiter schwelt.“

Wie Umgehen mit Donald Trump?
Jürgen Zurheide wollte wissen: „Wenn sich Donald Trump als Unterstützer der Ukraine zurück zieht, wie muss die Antwort Europas darauf sein?“ Sigmar Gabriel hatte auch hier ein klare Meinung: „Putin führt nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch gegen den Westen und die Demokratie. Wenn er den Krieg gegen die Ukraine gewinnt, auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch, ist das eine Einladung für ihn, so wie für Hitler 1938 die Übergabe des Sudetenlandes. Damals hoffte man auch vergeblich, Hitler so besänftigen zu können. Und wenn der US-Präsident weiter Zweifel an der NATO sät, ist das für Putin ebenso eine Einladung, das einmal auszutesten.“
Sigmar Gabriel verfolgt auch mit großem Interesse die Diskussionen in der deutschen Öffentlichkeit und zieht daraus seine Schlüsse: „Wir sind in unserer Gesellschaft noch nicht so weit, dass eine breitere Mehrheit wirklich verstanden hat: Die Zeit relativer Sicherheit nach1945 ist vorbei! Und dass wir, wenn wir diese Sicherheit wieder gewinnen wollen, leider zu dem alten Spruch zurückkehren müssen: ‚Wenn Du den Krieg vermeiden willst, musst Du Dich auf ihn vorbereiten‘. Damit derjenige, der Dich angreifen will, erst gar nicht auf die Idee kommt, das zu tun.“ Sätze wie in Stein gemeißelt und die so manchen nachdenklich zurück ließen.

Selten zuvor hat ein Impulsgast derart Klartext geredet – und für Diskussionen der Gäste untereinander auf dem Weg zum köstlichen Buffet gesorgt, das Hausherrin Azadeh Azhdari eigenhändig zubereitet hatte.
Auch danach wurde in kleineren Runden bei kühlen Getränken und in Salon-Atmosphäre weiter über den hochinteressanten Talk von Jürgen Zurheide mit dem charismatischen Politiker gefachsimpelt. Ein hochinteressanter Abend, der noch lange nachhallen wird.
Text: Peter Pionke

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