24. Mai 2025Peter Pionke
Weltliteratur feiert mit ‚Absurdem Theater‘ gelungene Premiere

Im Theater am Engelsgarten wurde die Inszenierung überwiegend als Bestandteil des „absurden Theaters“ wahrgenommen und mit Beifall bedacht. Keine Selbstverständlichkeit, denn das 1948 in der Nachkriegszeit entstandene Anti-Stück, so sein Untertitel in Frankreich, wollte nach Aussage des Autors die „Katastrophe der Sprache“ deutlich machen, die er als Verkennung, eine Art Verrenkung der Welt nannte.
Eugène Ionescos Stück dreht sich um die Sprache des Alltags. Sie sei völlig aussagelos geworden, gehe ins Leere und bewege nichts mehr. Es geht ihm um die Unfähigkeit zu echter Kommunikation.
Radikalen Bruch mit dem modernen Theater
Der französisch-rumänische Autor Eugène Ionesco (*26.11.1909 – +28.03.1994) gilt inzwischen als Mitbegründer des absurden Theaters, der ganz gezielt den radikalen Bruch des modernen Theaters mit seiner aristotelischen Vergangenheit suchte und einer der bedeutendsten französischen Dramatiker der Nachkriegszeit wurde. Seine Werke gehören heute zur Weltliteratur.

Das „absurde Theater“ versteht sich als eine eigenständige Richtung des Theaters im 20. Jahrhundert, die die Sinnfreiheit der Welt und den darin orientierungslosen Menschen darstellen will.
Entstehung von Intoleranz und totalitärem Denken
Ionesco Denkrichtung fand sich auch in seinem Theaterstück „Die Nashörner“ wieder, die Amos Gitai in seinem 2024 geschaffenem israelische Filmdrama „Shikun“ inspirierte. In einer Reihe von Episoden erzählt der Film die Geschichte der Entstehung von Intoleranz und totalitärem Denken, hier in einer Gruppe von Menschen unterschiedlicher Herkunft.
Im Vorfeld der Wuppertaler Premiere lief der Streifen im hiesigen Rex-Theater. Schauspielintendant Thomas Braus hatte hier eine kleine Einführung geben und damit schon eine gute Vorfeldarbeit zum Verstehen des Theaterstücks „Die Kahle Sängerin“ geleistet, das sich um die Sprache des Alltags dreht. Der Name des Schauspieles entstand beim Englisch-Unterricht von Ionesco, der hier Sprache auch in Zusammenhang mit Nonsens erlebte.

„Der Hahn wollte mal einen Hund spielen, doch er hatte Pech, er wurde sofort erkannt“.
Zum Inhalt: Mr. und Mrs. Smith (Alexander Peiler und Konstantin Rickert) sitzen abends in ihrem Wohnraum und unterhalten sich über alltäglich-banale Dinge, sofern sie sich überhaupt unterhalten. Schließlich kommen Mr. und Mrs. Martin (Kevin Wilke und Julia Wolff) zu Besuch, und zwar mit einer Verspätung, die heftig getadelt wird. Beide scheinen sich nicht zu kennen und stellen erst nach einer umständlichen Beweisführung fest, dass sie Mann und Frau sind.
Die Gespräche der beiden Paare werden dann immer absurder. Dazu kommt das Dienstmädchen Mary (Luise Kinner), das glaubt, Sherlock Holmes zu sein und ein Feuerwehrmann, der in aller Höflichkeit nach einem zu löschenden Brand sucht.
Immer mehr geraten die Figuren in einen Sprach-Strudel aus bizarren Dialogen und Nonsens-Sätzen, bis sie schließlich nur noch einzelne Vokale und Konsonanten hervorbringen. Exemplarisch stehen hier Sätze wie „Lieber ein Ei brüten als einen Brei hüten“ oder „Der Hahn wollte mal einen Hund spielen, doch er hatte Pech, er wurde sofort erkannt“.

Mit dem Einakter gab der 33jährige Tiroler Joachim Gottfried Goller sein Regiedebüt am Schauspiel Wuppertal. In einem Interview mit „Engels-Kultur Kino“ erklärt er seinen Zugang zur einem eigentlich „verstaubten“ Stück mit den Worten: „Die Ausgangsfrage ist, wie man das Thema heute denkt. Eltern sprechen anders als wir und doch meinen wir das gleiche und können uns verstehen“.
„Niemand benennt, was eigentlich los ist“
Heute agiere man mehr als zuvor mit kurzen Informationsbröckchen, sagte er, so wie bei einer SMS häppchenweise. Es kommt nichts hinterher, außer dem Häkchen. Und zwei Stunden später kommt wieder was hinterher, wo man nochmal ausholt. Da liege für ihn die Hauptarbeit als Regisseur.
Die Frage sei, welchen Umgang wir mit Stilen und eine Form dafür zu finden, als gäbe es etwas zu benennen, aber niemand benennt, was eigentlich los ist. Gleichzeitig gelte es auch einen Umgang mit der Dynamik dieses Auflösens der Absurditäten zu suchen.
Die Wuppertaler Inszenierung lebte einmal mehr von den großen schauspielerischen Leistungen seines Ensembles. Hier gilt es besonders die Darstellung von Luise Kinner in den Rollen des Dienstmädchens Mary und des Feuerwehrhauptmannes hervorzuheben, die dem Geschehen mit Sprachwitz und tänzerischen Einlagen eine erfrischende Note gab. Die „Kahle Sängerin“ selbst wird von Stefan Walz dargestellt, der es quasi aus dem Hintergrund verstand, dem Schauspiel auch noch eine ernsthafte Seite zu verleihen.

In Paris weltweite Rekorde mit 20.000 Aufführungen
„Die kahle Sängerin“ und „La Leçon“ von Eugène Ionesco werden seit 1957 täglich im Théâtre de la Huchette in Paris aufgeführt und stellen mit 20.000 Aufführungen weltweite Rekorde auf. In Wuppertal dürfte das Stück freilich diese Halbwertzeit nicht erreichen. Es ist am Theater am Engelsgarten noch dreimal, und zwar am 10., 12. und 13. Juli 2025 zu sehen.
Text: Siegfried Jähne
BESETZUNG
JOACHIM GOTTFRIED GOLLER
Inszenierung
JENNY SCHLEIF
Bühne & Kostüme
IMRE LICHTENBERGER BOZOKI
Musik
MARIE-PHILINE PIPPERT
Dramaturgie
TOM DOCKAL
Regieassistenz
ANNA JURCZAK
Ausstattungsassistenz
ILJA BETSER
Inspizienz
ALEXANDER PEILER
Mr. Smith
KONSTANTIN RICKERT
Mr. Smith
KEVIN WILKE
Mr. Martin
JULIA WOLFF
Mrs. Martin
LUISE KINNER
Mary / Der Feuerwehrhauptmann
STEFAN WALZ
Die kahle Sängerin
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