15. September 2022

Schauspiel: Die Sache mit der Wahrheit

An dem dem Thema „Wahrheit“ haben sich bereits Philosophen und Autoren abgearbeitet. Jetzt kommen „Die Wahrheiten“ in Gestalt eines Dramas ins Wuppertaler Theater am Engelsgarten. Es kreist um Freundschaft, Vertrauen, Verrat, Liebe, Lüge, um Geschlechterkampf, um Vergewaltigung und um Missbrauch. 

Schauspielintendant & Schauspieler Thomas Braus – © Wuppertaler Bühnen / Uwe Schinkel

Geschrieben wurde es von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, die zu den meist gespielten zeitgenössischen Dramatikern auf deutschen Bühnen zählen. Premiere ist am Samstag (24.09.).

Machtstrukturen in Beziehungen

Das Erfolgsduo Hübner / Nemitz ist ein Garant für spannende Plots mit gesellschaftlicher Brisanz. Mehrmals wechselt das Stück die Perspektive, lässt in atemberaubender Geschwindigkeit überwunden geglaubte Geschlechterstereotype durchbrechen und zeigt, wie missverständnisvoll unsere ach so achtsame Zeit ist.

Da geht es um Machtstrukturen in Beziehungen und zwischen den Geschlechtern. Für Intendant Thomas Braus ist es ein Stück am Puls der Zeit, ein Hallraum. Es gehe um Empfindlichkeiten und Resilienz (psychische Widerstandskraft), ohne Absolutheitsanspruch zur Frage von Recht, will keine Antworten geben, es soll vielmehr zum Nachdenken anregen. 

Jana und Erik beenden ihre 17jährige Freundschaft zu Sonja und Bruno per SMS und mit sofortiger Wirkung. Es möge bitte keine Nachfragen geben, man wolle die Entscheidung nicht weiter diskutieren. Nach den ersten Momenten der Fassungslosigkeit, Ungläubigkeit und Wut, beginnen Sonja und Bruno nach den möglichen Gründen für diesen zunächst unverständlichem Akt zu suchen. 

Demaskierung von Freundschaften

Das setzt eine Dynamik in Gang, die unangenehme Wahrheiten freilegt und eine gut funktionierende Paarfreundschaft gründlich demaskiert. Die Geschichte, die alle kennen, ist nur die halbe Wahrheit. Und einmal in Gang gesetzt, kommen bei der Suche immer neue, weitere Wahrheiten ans Licht …

Hat Jana bei dem von Bruno vermittelten Coaching krachend versagt oder wurde sie Opfer sexueller Belästigung? Ist finanzielle Hilfe das Erkaufen von Abhängigkeit? Ist Verschweigen gleich Lügen? Wie schwer wiegt ein anvertrautes Familiengeheimnis und steht Loyalität über allem?

Die Uraufführung „Die Wahrheiten“ in Stuttgart vor knapp zwei Jahren enttäuschte wegen der Überfrachtung mit dem Mee-too-Gedanken, der auf das Ausmaß sexueller Belastung aufmerksam mache wollte. In Wuppertal  wird man daraus gelernt haben. Hier führt Johanna Landsberg (24) Regie, die vor einem Jahr als Regie-Assistentin bei den Wuppertaler Bühnen begann. 

Regisseurin: Erfahrungen bei „All das Schöne“

Johanna Landsberg hob hervor, dass es ihr darum gehe, seltene Themen aufzuarbeiten, über die man in der Familie nicht spricht. ‚Wann hat jemand die Deutungshoheit, wann hat jemand die Macht über den anderen?, fragt sie. Dabei gehe es auch um Machtmechanismen. Macht wird schon ausgeübt, wenn ich etwas über den anderen weiß, erklärt Thomas Braus. 

Johanna Landsberg (l. – Regie) und Johanna Rehm (Bühne & Kostüme) – © Siegfried Jähne

Erfahrungen hat Johanna Landsberg zuletzt in Ingolstadt sammeln können, wo sie als Regisseurin in dem Stück „All das Schöne“ wirkte. Hier hat sie auch mit Johanna Rehm gearbeitet, die diesmal für Bühne Bühne & Kostüme verantwortlich zeichnet. Dass Bühnenbild am Engelsgarten bezeichnete Rehm als schlicht, um die Akteure in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Macht der Stille

Dramaturg ist Peter Wallgram, der mit dem Thema Wahrheit bei den Bühnen in dem Stück „Ex. Mögen die Mitspieler platzen“ von Gabriel Calderón. („Es gibt soviel Wahrheiten wie Menschen“) erst in letzten April präsent war. Er hob den Realismus des Stückes hervor, welcher auch mit den Botschaften zwischen den Zeilen Nachwirkungen auf den Zuhörer haben sollen. Thomas Braus sprach in diesem Zusammenhang von der „Macht der Stille“.

Wahrheiten sind Illusionen

Hier geht es letztlich um festgewachsene Geschlechterstereotypen und zwischenmenschliche Kommunikationsdefizite. Sie erzählen aus mehreren Perspektiven und legen so den Blick frei auf „unverantwortliche Wahrheiten“, die man dem anderen lieber verschweigt und die mit Wucht dazu führen, dass sich alles grundlegend ändert. Wahrheit ist vielschichtig.

„Die Wahrheiten sind Illusionen, über die man vergessen hat, dass sie welche sind“, schrieb der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche (15.10.1844 – 25.08.1900).

Das Stück im Engelsgarten dauert 105 Minuten und wird ohne Pause aufgeführt. 

Nach den Premieren am 24. und 25. September sind noch fünf weitere Veranstaltungen geplant, und zwar am 16. und 22. Oktober, 18. und 26 November sowie am 09. Dezember.

Text: SIEGFRIED JÄHNE

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