6. Oktober 2020

Irmchen erinnert sich – Ein Flugplatz mit Fliegeratrappen

Evakuierung nach dem Angriff auf Wuppertal-Barmen. Drehen wir die Zeit ein wenig zurück auf das Jahr 1943. Irmchen alias Lore Duwe erinnert sich.

Lore Duwe mit der von Ulle Hees geschaffenen Figur Mina Knallenfalls – Paul Coon

Um nicht in Gefahr zu geraten, in Elberfeld durch Fliegerbomben getötet zu werden, wurden Mütter mit Kindern in sichere Gegenden evakuiert. Evakuieren- was bedeutet dieses Wort?

Zunächst verstand ich nur „Eva“ kurieren. Wenig später begriff ich dann den wahren Sinn des Wortes. Evakuieren ist aus dem Lateinischen „evacuare“ abgeleitet und bedeutet „ausleeren“. Oder frei übersetzt: „Räumung eines Gebietes von Menschen“. Ich glaube, man nannte es auch „Kinderlandverschickung von Müttern und Kindern“.

Nun waren meine Mutter, meine beiden Brüder und ich auf dem Lande bei einem Bauern, genauer gesagt in Boilstädt/Thüringen. Eine große Schar Hühner pickte Essbares vom Misthaufen, der sich in der Mitte des großen Hofes befand. Zwölf Kühe wedelten mit dem Schwanz, als ich den Stall betrat. Zwei Pferde wieherten nebenan. Obstbäume, nichts als Obstbäume umgrenzten das Riesen-Areal des zweitgrößten Bauernhofes der Region. Stroh war in der Scheune, soviel Stroh auf einmal hatte ich noch nie gesehen.

Mit dem Elan eines zwölfjährigen Jungen sprang mein Bruder von einem fünf Meter hohen Balken in die Tiefe. Das Stroh gab federnd nach. Auch ich versuchte es. Ich nahm jedoch den Balken, der nur zwei Meter hoch war. Der kleine Bruder krabbelte auf allen Vieren herum. Lustig war es. Der Staub kribbelte in der Nase. Eine laute Glocke unterbrach das Kinderlachen. Ein wichtiger Mann stand in der Mitte des Dorfes und rief:“ Bekanntmachung! Am nächsten Dienstag hat jeder Dorfbewohner in der Dorfschänke zu erscheinen!“

Die Kinder des Dorfes kannten diese Glocke, jedoch hatten sie zu meinem Erstaunen noch nie eine Sirene gehört, die uns Stadtkinder immer wieder aufschreckte. Auf einem Spaziergang im nahen Thüringer Wald pflückten wir Kinder leckere „Wald-Erdbeeren“. In unseren heimischen Wäldern waren die Beeren von „Hungermäulern“ immer ganz schnell geplündert.

Wir erreichten ein Ausflugslokal, in dem Tante Auguste, Ursel und unsere Mutter die einzigen Gäste waren. „Was ist das?“ fragte ich meine Mutter, „hier ist ja ein Flugplatz, hier stehen ja ganz viele Flugzeuge.“ – Meine Mutter legte einen Finger auf ihre Lippen: „Pst“….leise! Das ist ein imitierter Flugplatz. Die Flugzeuge sind nur aus Pappe. Sie sollen den feindlichen Flugzeugen als Angriffsziel dienen. Wenn sie die Bomben abgeworfen haben, schaltet sich ein Lichtermeer ein, das dann den Anblick eines brennenden Infernos vermittelt.“

„Früher“, verriet mir Mutter, „früher war dies hier eine bekannte Pferde-Rennbahn.“ Ich dachte: ‚Schade um die Pferde, aber auch schade um die schönen Flugzeuge…‘

Nach 57 Jahren frischte ich meine Erinnerungen bei einem Besuch in Boilstädt wieder auf. Die sogenannte Rennbahn-Gaststätte gibt es immer noch, ebenso die große Tribüne. Plötzlich fiel mir der Name des Geländes wieder ein. Es war und ist der Boxberg…

Bis dann

Irmchen

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