Wolfgang Niedecken: Jedes Konzert ist eine Zugabe

Für Wolfgang Niedecken ist jedes Konzert nach seinem Schlaganfall eine Zugabe. Der wieder genesene BAP-Chef hat noch viele Pläne. Dieses und vieles mehr verrät er im großen "Hand aufs Herz"-Interview.

Dieses Foto von Wolfgang Niedecken schmückt das Cover der Niedecken-CD „Reinrassije Strooßekööter – Das Familien-Album“

„Verdamp lang her“! Er steht seit über 40 Jahren im Rampenlicht. Andere hätten da längst abgehoben, den Blick für die Realität verloren. Doch Wolfgang Niedecken (68), Kopf und Stimme der erfolgreichen Kölsch-Rock-Band BAP, blieb mit beiden Füßen auf dem Boden. Rückhalt gab ihm seine Familie. Die half dem Musiker und Maler auch dabei, einen schweren gesundheitlichen Niederschlag zu verarbeiten, einen Schlaganfall.

Wolfgang Niedecken rappelte sich mit Hilfe seiner Ehefrau Tina wieder hoch und steht wieder auf der Bühne. Noch bewusster als früher. Er selbst sieht seine Rückkehr ans Mikrofon als „Zugabe“. So heißt auch sein Buch, in dem er sich mit seiner Krankheit auseinandersetzt. Der Bandleader, Sänger und Songwriter hat musikalisch noch viel zu sagen. Im Herbst 2018 kommt er mit seiner Band wieder einmal nach Wuppertal. Peter Pionke unterhielt sich mit dem Rock-Poeten aus der Domstadt.

DS: Sie sind seit über 30 Jahren im Musik-Geschäft, was treibt Sie noch an?

Wolfgang Niedecken: „Genau genommen bin ich seit 41 Jahren dabei. Wir haben ja eher zufällig mit der Musik begonnen, das ist wohl auch der Grund, warum es BAP immer noch gibt. Wir haben die ganze Sache flexibel gehandhabt, nie mit einem Brecheisen. Dadurch war da von Anfang an eine unglaubliche Gelassenheit am Start. Irgendwie haben wir immer zum richtigen Zeitpunkt den nächsten Schritt gemacht. Aber eine regelrechte Karriereplanung gab es nie. Vierjahrespläne haben schon im Sozialismus nicht geklappt, warum sollten sie in der Musik funktionieren?

DS: Ihr Erfolgs-Rezept klingt so furchtbar simpel…

Wolfgang Niedecken: „So ist es aber. Bei mir kommt immer ein Schritt nach dem anderen. Wer das Tempo mitgehen möchte, ist bei mir an der richtigen Adresse. Man musste uns ja damals regelrecht überreden, überhaupt einmal aufzutreten. Wir waren eine Band, die im Proberaum ein paar Songs der Rolling Stones covern und einmal in der Woche einen Kasten Bier leerproben wollte. Dann habe ich irgendwann den ersten Song auf Kölsch geschrieben und die anderen haben begeistert gesagt: Mach doch mehr davon. Ich habe mich immer dafür stark gemacht, dass wie das Flexible und das Bodenständige nicht vernachlässigen.“

DS: Warum gibt es jetzt den Solo-Musiker Wolfgang Niedecken und die Band „Wolfgang Niedeckens BAP“ eigentlich nebeneinander?

Wolfgang Niedecken: „Das hat gar nicht soviel zu bedeuten. Es gab vor dem „Zosamme alt“-Album, das ich in Woodstock aufgenommen habe, die Idee von meinem Freund Julian Dawson, in den USA ein Album mit amerikanischen Musikern einzuspielen, die songdienlicher arbeiten als unsere eigenen. Ich habe immer gesagt, dass ich die Kreise von BAP nicht stören wollte. Aber nach meinem Schlaganfall hatte ich dann das dringende Bedürfnis, mich mit einem Album bei meiner Frau zu bedanken, die mir letztendlich das Leben gerettet und die harte Phase danach mit mir durchgestanden hat.“

DS: Ein sehr ausgefallenes, emotionales Geschenk…

Wolfgang Niedecken: „Das kann man so sehen. Als Studio-Musiker waren u.a. neben Julian Dawson der Gitarrist Spider Smith („The Eagles“) und der Bassist Roscoe Beck (u.a. 30 Jahre der Musical Director bei Leonard Cohen) dabei. Musiker, die wirklich nichts mehr beweisen müssen. Am Mischpult saß Stuart Lerman, mein Lieblings-Toningenieur. Bei diesem Album war meine Stimme endlich mal mehr als ‚nur‘ ein Instrument. Eine neue Erfahrung, von der auch BAP profitiert hat. Irgendwie hat jedes meiner bislang fünf Solo-Alben auch BAP ein Stück weitergebracht. In Anführungsstrichen: Außereheliche Erfahrungen können auch der Ehe nützen.“

DS: Sie umgibt die Aura eines Intellektuellen, dabei besitzen Sie gar kein Abitur. Haben Sie das jemals bereut?

Wolfgang Niedecken: „Um ein Intellektueller zu sein, braucht man nicht notgedrungen ein Abitur. Aber ich habe es trotzdem in einer Hinsicht bereut: Weil ich meinem Vater gern eine Schmach erspart hätte. Auf der anderen Seite konnte ich dadurch, dass ich von der Schule geflogen bin, das studieren, was ich studieren wollte. Ich habe Gott sei Dank die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule Köln geschafft. Ansonsten hätte mich mein Vater vielleicht ja doch noch irgendwann weichgeknetet, dass ich Jura oder so etwas studiert hätte, mit dem ich unglücklich geworden wäre. Ich habe meinen Vater sehr ungern enttäuscht.“

DS: Also hatten Sie ein schlechtes Gewissen?

Wolfgang Niedecken: „Ja, vielleicht habe ich mir deshalb bei meinem Kunststudium auch so viel Mühe gegeben und dafür sogar aufgehört, in einer Band zu spielen. Ich war ein fleißiger Student, nicht so eine Boheme-Figur, die nur in den Kneipen herum hing. Ich habe deshalb auch ein sehr gutes Examen gemacht. Dann kam der Zivildienst. Ich musste Essen auf Rädern herumfahren und nachmittags in einer Altentagesstätte arbeiten. Das war sensationell und hat mich aus meinem Elfenbeinturm wieder zurück ins Leben geholt.“

DS: Aber dann hat die Musik Sie doch wieder eingeholt. Wie kam das?

Wolfgang Niedecken: „Ich habe in der Altentagesstätte mit den Omis Musik gemacht, gemalt, ihnen vorgelesen oder mir ihre Geschichten angehört. Geschichten haben mich immer interessiert. In dieser Zeit habe ich auch viele Musiker getroffen und wir haben uns zu Sessions verabredet. Ein purer Zufall. Ansonsten wäre ich heute Maler. Damals habe ich nicht im Traum gedacht, dass meine Musikkarriere mal über 40 Jahre gehen würde, sondern eher, in ein oder zwei Jahren wieder als Maler im Atelier zu stehen.“

DS: Sie sind in einem Internat aufgewachsen. Hat die Disziplin, die man Ihnen dort beigebogen hat, Ihnen in Ihrem Leben als Musiker geholfen?

Wolfgang Niedecken: „Das ist eine Frage, die mir noch nie gestellt worden ist. Aber das Internat hat mich schon diszipliniert. Ich wundere mich manchmal selbst, wie diszipliniert ich bin. Ich würde beispielsweise nie mit ungeputzten Schuhen aus dem Haus gehen. Ich würde mir nie mehr auf meinen Teller laden, als ich essen kann. Das habe ich meinen Kindern auch beigebracht. Als sie noch klein waren und doch einmal zu viel auf dem Teller hatten, war ich derjenige, der den ganzen Kram dann aufgegessen hat. Instinktiv. Das bezeichne ich als rest-katholisch, das steckt einfach tief in mir drin.“

DS: Andere Rock-Stars erwecken den Eindruck, sie seien noch zu haben. Sie dagegen bringen ein ganzes Album mit Liebesliedern für Ihre Frau heraus. Ein Zeichen von Reife oder besonderem Respekt Ihrer Frau Tina gegenüber?

Wolfgang Niedecken: „Sowohl als auch! Ich bin mit meiner Familie insgesamt sehr glücklich. Und das ist jetzt keine Vorzeige-Familie. Aber ich weiß, wo ich herkomme und in welchen Traditionen ich mich bewege. Ich stamme aus einem Familienbetrieb, meine Eltern hatten ein Lebensmittelgeschäft. Meine Kindheit war wunderbar. Dann habe ich selbst eine Familie gegründet. Mittlerweile sind die Kinder aus dem Haus. Ich werde doch den Teufel tun und jetzt den Berufs-Jugendlichen geben.“

DS: Wie viel Anteil hat Ihre Frau Tina an Ihrem Erfolg?

Wolfgang Niedecken: „Ganz großen Anteil. Tina hält mir den Rücken frei und hat mittlerweile das Kitchen-Table-Management übernommen. Nicht nur für mich, sondern auch für unsere Töchter, die inzwischen in Berlin leben. Meine Frau ist das gefühlte Oberhaupt der Familie und das ist gut so.“

DS: Laden Sie eigentlich selbst auch Songs in den Download-Shops herunter?

Wolfgang Niedecken: „Nee, das tue ich nicht. Man nennt mich intern ja den „Analog-Man“. Ich kann gerade mal mein iPad bedienen. Ich brauche eine physische CD mit Booklet und dem ganzen Kram. Ich muss sie in der Hand halten, muss in dem Booklet blättern können. Mich interessieren keine Single-Hits.“

DS: Sie haben ja schon jede Menge Klassiker im Repertoire. Nach welchen Kriterien stellen Sie denn Ihr Tournee-Programm zusammen?

Wolfgang Niedecken: „Das ist eine Wissenschaft für sich. Wir haben ja auch Fans, die uns schon seit vier Jahrzehnten begleiten. Die wollen natürlich in erster Linie die alten Songs hören aus der Zeit, als sie noch jung waren. Das ist manchmal ganz schön frustrierend. Da bringst Du ein großartiges, neues Album heraus, aber die Leute wollen am liebsten nur den Soundtrack ihrer Jugend hören. Und als Künstler willst aber natürlich auch ein paar neue Lieder präsentieren. Da braucht man Fingerspitzengefühl. Eines kannst Du auf jeden Fall total vergessen: Nämlich ein Programm nur aus deinen eigenen Lieblingsstücken zusammenzustellen. Das funktioniert nicht!“

DS: Der Schlaganfall war ein Wendepunkt in Ihrem Leben. Welche Gefühle überwiegen: Das der Erleichterung, die Krankheit besiegt zu haben oder die Angst vor einem Rückfall?

Wolfgang Niedecken: „Eindeutig das Gefühl, die Krankheit besiegt zu haben. Den Wendepunkt kann ich bildhaft darstellen. Man steht irgendwo am Strand und schaut auf den Horizont. Man denkt nicht darüber nach, weil völlig klar ist, dass es hinter dem Horizont weiter geht. Nach dem Schlaganfall steht man da und denkt, mal gucken, ob ich noch bis zum Horizont komme. Das ist der Unterschied.“

Wolfgang Niedecken mit Ehefrau Tina – das erste Foto nach dem Schlaganfall – Foto: privat

DS: Nach solchen Schicksalsschlägen sagen viele: Ab jetzt geniesse ich jede Minute viel bewusster. Ist das wirklich so?

Wolfgang Niedecken: „Das ist so. Ich habe das gar nicht mal selbst so sehr an mir wahrgenommen. Aber meine Töchter haben mir gesagt, dass ich viel aufmerksamer geworden sei. Und auch viel entschiedener. Wenn Du irgendwann merkst, dass die Zeit knapp wird, dann hast Du keinen Bock mehr darauf, Zeit zu verplempern. Wenn ich mich nur auf das Materialistische beschränken würde, könnte ich sagen: Eigentlich habe ich genug gearbeitet, genug Geld ist auch da, die Kinder sind versorgt, ich ziehe auf ’ne Insel. Aber das macht auf Dauer keinen Spaß.“

DS: Aber wie haben Sie jetzt Ihr Leben verändert?

Wolfgang Niedecken: „Ich mache nur noch das, was ich gerne tue. Wenn es dann ein bisschen stressig wird, passe ich auf, dass ich das nächste Jahr nicht allzu sehr auf Kante nähe. Ich habe in diesem spielfreien Jahr unglaublich viel erlebt, was mir Spaß gemacht hat. Ich habe ein Buch gemacht, eine Ausstellung zusammen mit Schmal Boecker und Rainer Gross in Bergisch Gladbach und dann habe ich eine fünfteilige TV-Serie über Bob Dylan in Amerika gedreht. Titel: ‚Auf den Spuren von Bob Dylan’.“

DS: Und dann haben Sie auch noch in USA das Familien-Album aufgenommen…

Wolfgang Niedecken: „Richtig! Ich bin übrigens unheimlich happy, dass die Leute das Album-Konzept verstanden haben. Es ist ja auf Platz zwei in die Charts gegangen. Die Leute hätten ja auch sagen können, jetzt nimmt er in Zweitverwertung noch einmal irgendetwas auf, um Kohle zu machen. Da trägt man auch ein Stück weit Verantwortung. Man muß die Leute mitnehmen. Deswegen war ein aufwendiges Booklet auch notwendig. Das Ding ist sehr liebevoll gestaltet. Und da kann man ruhig auch mal die Frage stellen: Wer macht das heute noch?“

DS: Sie sind ein politischer Mensch. Wie sehen Sie vor dem Hintergrund das Gerangel um eine neue Bundesregierung?

Wolfgang Niedecken: „Wo es nur ein parteipolitisches Gerangel ist, finde ich es unappetitlich. Wo sich Menschen aber wirklich Mühe geben, zu einer Lösung zu kommen, die Verantwortung in Europa wahrzunehmen, da muss man auch Geduld haben. Es gibt in allen Parteien – da lasse ich mal die ganz rechten und die ganz linken außen vor – Leute, die ich schätze, weil sie sich realistisch mit Politik beschäftigen und sich die große Weltrevolution abgeschminkt haben. Das hat leider nur zu großen Ungerechtigkeiten geführt. Aber es gibt solche verantwortungsbewussten Politiker in fast allen Parteien. Ich stehe nicht auf Politiker-Bashing.“

DS: Nennen Sie doch einmal Ross und Reiter…

Wolfgang Niedecken: „Kein Problem. Ich habe nach wie vor große Achtung vor einem Mann wie Norbert Blüm, ebenso vor vielen großen Sozialdemokraten, vor dem FDP-Granden Gerhard Baum oder auch vor Katrin Göring-Eckardt, die glaubhaft versucht, irgendwie was hinzukriegen. Und maßlos enttäuscht bin ich von denjenigen, die aus rein parteipolitischen Erwägungen kurz vor der Einigung auf eine Jamaika-Koalition den Stecker gezogen haben.“

DS: Im Herbst 2018 treten Sie mit BAP in Wuppertal auf. Für Sie ein Heimspiel?

Wolfgang Niedecken: „Ja klar, wir haben schließlich 1980 unser erstes Konzert außerhalb der Stadtgrenzen von Köln in Wuppertal gespielt. In irgend so einem Jugendzentrum. Major Heuser war damals ganz neu dabei. Unser erstes Album „Wolfgang Niedecken‘s BAP rockt andere kölsche Leeder“ war gerade veröffentlicht und die rund 150 Zuhörer sangen schon jeden Song mit. Wir kamen uns vor, als ob wir uns auf einer Welttournee befinden würden.“

Wolfgang Niedecken während der Aufnahmen für das „Familien-Album“ in Amerika – Foto: privat

Wolfgang Niedecken: Vom CD-Verkauf

kann man heute nicht mehr leben

DS: Von den BAP-Gründungsmitgliedern sind Sie nur noch Du dabei. Gehen solche Trennungen emotionsloser ab, als die von einem Lebenspartner?

Wolfgang Niedecken: „Das ist immer schwer. Aber die Gründe waren völlig unterschiedlich. Da gab es ganz einfache Trennungen, Bandmitglieder, die gesagt haben, ich muss mich mehr um meinen Beruf und meine Familie kümmern. Dann gab es Leute, die einen anderen Weg einschlagen wollten. Oder auch Gruppen-Entscheidungen, weil ein Bandmitglied einfach nicht mehr gut genug war. Leicht ist das nie. Beispiel Effendi Büchel, der bei uns ewig Keyboard gespielt hat. Als Major Heuser ausgestiegen war, kam er zu mir und sagte: ’Ich habe in den Spiegel geguckt und festgestellt, der Rock’n’Roll ist einfach nicht mehr da.’ Wörtliches Zitat: ‚Wenn der Zug jetzt noch einmal anhält, dann steige ich auch aus‘. So war es dann auch. Das war auf der einen Seite toll, dass er so offen damit umgegangen ist. Auf der anderen Seite denke ich immer wieder: Wäre doch schön, wenn er noch dabei wäre.“

DS: Welcher Ausstieg ist Ihnen denn noch besonders nahe gegangen?

Wolfgang Niedecken: „Der von meinem Freund Schmal Boecker. Er war ja eigentlich weniger ein Musiker, als viel mehr mein Kumpel, mit dem ich zusammen Malerei studiert habe und der den gleichen Humor-Level hatte. Er wollte irgendwann diese Kasperrolle nicht mehr spielen und ist ausgestiegen. Viele verwechseln übrigens die Urbesetzung, mit der Besetzung, die wir zu Zeiten des Albums „Vun drinne noh drusse“ hatten. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass ich das jemals vernünftig erklären kann. Der Letzte aus der Besetzung danach war Schlagzeuger Jürgen Zöller, er ist mittlerweile 70 und Rock-Rentner. Er hat sogar seinen eigenen Nachfolger noch bestimmt. Das gibt es auch.“

DS: In Wuppertal gibt es den Künstler Christian von Grumbkow, der ist auch Maler und Musiker. Er hat die Band Hoelderlin mitbegründet, malt aber heute nur noch. Wäre das bei Ihnen denkbar?

Wolfgang Niedecken: „Hoelderlin kenne ich natürlich. Aber wie Christian nur noch zu malen, kann ich mir für mich noch nicht vorstellen. Weiß der Teufel, was passiert. Kann natürlich sein, dass ich irgendwann keine Lust mehr auf die Bühne habe. Noch ist das nicht der Fall. Ich werde aber niemals eine Abschiedstour ankündigen. Das finde ich zweifelhaft. Das ist ein ganz primitives Marketing-Tool. Leute, die Abschiedstouren ankündigen, verlieren in meiner Achtung, vor allem,n wenn es dann später heißt: Die Fans haben mich überredet weiterzumachen. Sowas gehört sich nicht. “

DS: Ihre Musik ist nicht mehr so mainstreammässig wie zu Zeiten „Fortsetzung folgt“ oder „Alles em Lot“. Warum ist das so?

Wolfgang Niedecken: „Das war ja die Musik-Richtung, in die Major Heuser wollte. Da hat er sich ja auch an mir die Zähne ausgebissen. Er hätte am Liebsten gehabt, wenn ich auch noch Englisch gesungen hätte, um damit international mehr Chancen zu haben. Dann wären wir in so eine kommerzielle Bon Jovi- oder Phil Collins-Ecke abgedriftet, aber das wäre überhaupt nicht mein Ding gewesen. Dann hätte ich lieber wieder mit dem Malen angefangen. Da hat der Major schließlich gesagt: ‚Okay, das ist mit Dir nicht zu machen, dann spiele ich die Tour noch zu ende und steige dann aus‘. Es war noch eine sehr schöne Tour und der Major ist danach gegangen. Das ist mittlerweile 19 Jahre her.“

DS: Welche Rolle spielt der kölsche Dialekt bei Ihrem Erfolg?

Wolfgang Niedecken: „Es hat schon eine Zeit gedauert, bis die Leute gemerkt haben, dass BAP nichts mit Karneval zu tun hat, sondern Kölsch zufällig die Muttersprache des Sängers war. Das haben die Leute irgendwann akzeptiert. Wir haben von Anfang an großen Wert auf ordentliche Booklets gelegt, damit die Leute die Texte – wenn sie wollen -nachlesen konnten. Aber das ist auch immer ein Balance-Akt, man darf den Leuten nämlich nicht zu sehr mit seiner Message auf den Wecker gehen.“

DS: Das ist Ihnen ja wohl gelungen…

Wolfgang Niedecken: „Es ist jedenfalls ein Riesenkompliment für uns. Wir verkaufen unsere Alben im kompletten deutschsprachigen Raum und überall setzen sich die Fans mit unseren kölschen Texten auseinander. In dem Stück ‚Absurdistan’ habe ich ausnahmsweise die komplette erste Strophe auf Hochdeutsch gesungen, weil der kölsche Text, den ich geschrieben hatte, dem Ernst des Themas einfach nicht gerecht wurde. Wenn es um ernste Dinge geht, rede ich meistens hochdeutsch.“

DS: Hätten Sie auch mit hochdeutschen oder englischen Texten Erfolg gehabt?

Wolfgang Niedecken: „Englisch wäre für uns keine Alternative gewesen. Das machen ja die meisten deutschen Bands. Den Durchbruch schaffen aber nur ganz wenige. Da fallen mir eigentlich nur Songs wie ‚Lemon Tree‘ oder ‚99 Luftballons‘ auf Englisch ein – oder die Scorpions mit ihrem putzigen Hannoveraner Schul-Englisch. Für mich ist Authentizität ganz wichtig. Ich spreche ganz gut und akzentfrei Englisch. Aber warum soll ich anfangen, auf Englisch meine Gefühle auszudrücken. Das wäre doch unauthentisch.“

DS: Viele Bands haben ja das Problem, dass Sie die jungen Leute nicht mehr erreichen. Auch Ihr Problem?

Wolfgang Niedecken: „Ich sehe das nicht so dramatisch. Es gibt auch genug deutsche Künstler, die auf Deutsch singen und auch ihr junges Publikum mitnehmen wie Thees Uhlmann, Clueso oder Max Prosa. Mich interessieren junge Künstler, die beweisen, dass es in der Musikentwicklung weitergeht. Die Medienlandschaft hat sich mittlerweile komplett verändert. Bei allen Sendern gibt es Format-Bestimmungen, ab wann der Refrain zu kommen hat und dass die Gitarren nicht zu laut sein dürfen. Wenn Du mit Deinen Songs in die Playlist reinkommen willst, dann musst Du Dich an die Format-Gesetze halten. Mir sind die ziemlich egal. Aber wenn einer unserer Songs im Radio gespielt wird, dann freue ich mich natürlich. Doch ich gehe jetzt nicht mit einem Rechenschieber an unsere Songs.“

DS: Früher waren Album-Veröffentlichung ein echtes Event. Heute kann man sich die Songs schon wochenlang vorher in den Online-Shops anhören, geht dadurch nicht Reiz und Kultur verloren?

Wolfgang Niedecken: „Wir haben jetzt andere Zeiten. Es gibt Vorteile und Nachteile. Die Boxer sagen ja immer ‚Roll With The Punches“ (Nimm die Dinge wie sie kommen). Es macht keinen Sinn, gegen Windmühlen zu kämpfen. Wir setzen auch da auf Flexibilität. Was wir so treiben, ist sehr individuell. Dafür gibt es keine Formel, aus der Nachwuchskünstler ein Erfolgsrezept ableiten könnten. Wir haben eine ganz individuelle Art, wie wir mit BAP und den Musikern der Band umgehen. Das ist viel Arbeit. Aber wie hat Karl Valentin schon gesagt: „Kunst ist schön, macht aber sehr viel Arbeit‘.“

DS: In welche Richtung entwickelt sich das Musikbusiness in den nächsten 10 Jahren?

Wolfgang Niedecken: „Irgendwann gehen die Plattenfirmen alle in die Knie. Wir kommen auch heute noch gut klar, weil wir eine gute Live-Band sind und die Leute wissen, dass es sich lohnt in ein BAP-Konzert zu gehen. Sie bekommen Qualität vorgesetzt und werden nicht abgezockt. Allein vom CD-Verkauf könnten wir die Band nicht mehr betreiben. Das war einmal. Wenn wir in den 90er Jahren ein Album herausgebracht haben und das ging auf Platz 1, wurde es zwischen 500.000 und 1 Millionen Mal verkauft. Damals mussten wir eigentlich gar nicht auf Tour gehen, sondern hätten allein vom Plattenverkauf leben können.“

DS: Und wie hoch sind heutzutage die Verkaufszahlen?

Wolfgang Niedecken: „Du kannst heute froh sein, wenn Du auf „1“ einsteigst, dass du zwischen 50.000 und 100.000 Alben verkaufst. Deshalb bin unheimlich happy, dass unsere Tourneen so gut funktionieren. Das bedeutet natürlich auch Verantwortung. Du darfst einfach keinen Müll abliefern. Auf jede Tour muß man sich akribisch vorbereiten, muß den Leuten immer wieder etwas Besonderes bieten. Diesmal haben wir deshalb zum ersten Mal Bläser dabei. Darauf freue ich mich sehr.“

DS: Kurt Cobain, Chris Cornell, Chester Bennington etc. – Warum scheiden gerade so viele Frontmen, die erfolgreich sind, freiwillig aus dem Leben?

Wolfgang Niedecken: „Die Umstände waren ja in all diesen Fällen unterschiedlich. Aber alle haben eines gemeinsam. Sie waren noch sehr jung, als sie vom Erfolg überflutet wurden. Mit mehr Lebenserfahrung wären sie wahrscheinlich gelassener mit dem Ruhm und dessen Auswirkungen umgegangen. Allen war wohl eines gemeinsam, nämlich dass sie mit dem Bild, dass das Publikum, das ihnen zu Füßen lag, von ihnen hatte, nichts anfangen konnten und sich gesagt haben: ‚Das bin ich doch gar nicht‘. Ich habe 1982 den Song „Nemm mich mit“ geschrieben, der sich genau mit dieser Thematik beschäftigt. Das Gefühl kenne ich auch.“

DS: Sie waren immer der etwas andere Rock-Star: Mit beiden Beinen auf dem Boden, sozial engagiert, politisch klar Stellung beziehend. Wie schwer ist es heutzutage authentisch zu sein?

Wolfgang Niedecken: „Das ist gar nicht so schwer. Ich kann nicht anders, als authentisch zu sein. Bei den Sachen, mit denen ich mich befasse, bin ich quasi an einen Lügendetektor angeschlossen. Da kommen auch wieder meine Nackenhaare ins Spiel. Solange die sich nicht aufrichten, ist alles in Ordnung. Ich muss auch nicht Everybodys Darling sein. Da gilt der alte Satz meiner Mutter: ‚Wer es allen recht machen will, wird beliebig‘. Und ich will nicht beliebig sein!“

DS: Vielen Dank für das spannende, offene Gespräch

 

Wolfgang Niedecken schaut in die Zukunft – © privat

Vita

Wolfgang Niedecken wurde am 30. 03.1951 als Sohn von Josef und Hubertine Niedecken in Köln geboren. Seine Eltern betrieben im Severinsviertel ein Lebensmittelgeschäft. 1962 bis 1970 verbrachte Niedecken im Pallotiner-Internat Konvikt St. Albert in Rheinbach, besuchte dort das Städtische Gymnasium. Im Internat ging er auch seine ersten musikalischen Schritte mit der Schülerband „The Convicts“.

Noch vor dem Abitur flog Wolfgang Niedecken von der Schule. Er bestand aber die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule „Kölner Werkschule“ und studierte dort Kunstgeschichte und freie Malerei. 1974 machte er sein Examen. Anschließend leistete Niedecken seinen Ersatzdienst ab. Er fuhr morgens Essen auf Rädern aus, nachmittags arbeitete er in einer Altentagesstätte. In der Phase lernte er eine Reihe von Musikern kennen. 1976 verabredeten sich Niedecken und andere Musiker zu einer Session im Wiegehäuschen des Herseler Kalksandsteinwerks. Von da an traf man sich regelmässig zum Jammen. Mehr oder weniger die Wiege von BAP.

1977 schrieb Wolfgang Niedecken seinen ersten kölschen Song: „Helfe kann Dir keiner“. Es folgte im Nippeser Mariensaal der erste Auftritt als Trio unter dem Bandnamen „BAP“ – eine Abwandlung von Niedeckens Spitznamen „dä Bapp“. 1979 kam das erste BAP-Album heraus: „Wolfgang Niedecken’s BAP rockt andere Kölsche Leeder“. Ein Achtungs-Erfolg, der eine Zäsur nach sich zieht. Die Hälfte der Band scheidet aus: Aus Zeit- oder Qualitäts-Gründen.

Beim 2. Album „Affjetaut“ ist schon Gitarrist Klaus Major Heuser dabei. BAP auf der Überholspur. 1998 erhielt Niedecken für sein soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande. Die CD „Comics & Pin Ups“ kam 1998 heraus. Am Ende der Tour zum Album stieg Major Heuser aus. Der Erfolg blieb. Regisseur Wim Wenders widmete BAP den Film „Viel passiert“ (Premiere 2002). Am 02.11.2011 erlitt Wolfgang Niedecken einen Schlaganfall. Diesen verarbeitete er in seinem Buch „Zugabe – Die Geschichte einer Rückkehr“.

2017 erschien Niedeckens 5. Solo-Album „Reinrassije Strooßekööter – das Familien-Album. Wolfgang Niedecken hat mit seiner ersten Ehefrau Carmen, mit er der von 1983 – 1992 verheiratet war, zwei Söhne (Severin – Robin) und mit Tina (verheiratet seit 1994) die Töchter Joana-Josephine und Isis Maria.

Das Interview führte Peter Pionke

 

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