18. Dezember 2025Peter Pionke
Kreuzworträsel: Der mentale Tapetenwechsel
Dr. Katarina Colomo, Sprachwissenschaftlerin an der Bergischen Universität – © UniService Third MissionFachleute sagen, diese sprachbasierten Rätsel festigen den Wortschatz. Stimmt das?
Katarina Colomo: „Jede aktive Auseinandersetzung mit neuen Wörtern hilft, wenn man die Wörter festigen möchte. Beim Lösen von Kreuzworträtseln muss das Wort aktiv aus dem Wortschatz abgerufen werden, es genügt also nicht, es nur wiederzuerkennen. Deshalb können Kreuzworträtsel tatsächlich zum Wortschatztraining eingesetzt werden, ja.“
Es gibt einfache, aber auch schwierige Rätsel, die höhere Ansprüche an die Allgemeinbildung stellen. Ein Beispiel dafür wäre das Zeit-Rätsel, welches unter dem Titel ‚Um die Ecke gedacht‘ in Deutschland sehr populär ist. Wie funktioniert das denn?
Katarina Colomo: „Um die Ecke gedacht“ ist vor allem deshalb so schwer, weil die Lösungshinweise so schwer zu deuten sind. Sie können nicht wörtlich interpretiert werden. Man muss sehr flexibel sein, viele Assoziationen abrufen, auf mehreren Ebenen denken und kreativ sein – eben „um die Ecke denken“. Die Hinweise enthalten relevante Mehrdeutigkeiten, sekundäre Bedeutungen, spielen mit Redewendungen oder der sprachlichen Form. Der Lösungsspielraum scheint zunächst riesig zu sein und man weiß gar nicht, in welche Richtung man denken soll. Im Nachhinein ist die richtige Antwort dann nicht unbedingt schwer.
© Bergische UniversitätDie Bedeutung von Wörtern und deren Beziehungen zueinander ist entscheidend für das Lösen von Kreuzworträtseln. Spieler müssen oft Synonyme, Antonyme oder verwandte Begriffe finden. Kann man Kreuzworträtsel eigentlich auch in der Lehre einsetzen?
Katarina Colomo: „Na klar! Rätsel können eingesetzt werden, um das Fachvokabular spielerisch zu festigen. Es gibt auch einige Studien, die das belegen. Beim Lesen genügt es oft, wenn das Fachvokabular passiv vorhanden ist. Um ein Kreuzworträtsel lösen zu können, genügt das schon nicht mehr: Die Begriffe müssen nicht nur aktiv abgerufen werden, sondern sie werden zugleich auch vernetzt. Im klassischen Kreuzworträtsel ist der Hinweis üblicherweise ein Synonym, eine Definition oder manchmal auch ein Antonym (also ein gegensätzliches Wort). Die Wörter werden also auch semantisch vernetzt, es wird Bezug auf schon vorhandenes Wissen genommen, und das ist didaktisch sinnvoll. Wir nutzen hier ja die E-Learning-Plattform Moodle. In Moodle kann man relativ leicht mit Hilfe von H5P Kreuzworträtsel einbinden.“
Sogar das Erlernen einer Sprache kann durch Kreuzworträtsel unterstützt werden, oder?
Katarina Colomo: „Ja! Es spielt eigentlich keine Rolle, ob fachspezifisches Vokabular eingeübt werden soll oder Vokabeln aus einer Fremdsprache. Neben den eben schon genannten Effekten spielt dabei übrigens auch die richtige Schreibung eine wichtige Rolle. Im Kreuzworträtsel geht es nämlich nicht nur um die Bedeutung, sondern auch um die richtige Form. Neben dem beschreibenden Hinweis gibt es auch formale Hinweise, nämlich die Wortlänge, die über die Zahl der Kästchen vorgegeben ist, und die schon gefundenen Buchstaben. Erstens muss man genau das richtige Wort finden, ein Synonym genügt nicht: DENTIST oder ZAHNARZT? APFELSINE oder ORANGE? FAHRSTUHL, LIFT oder AUFZUG?
Einfaches Kreuzworträtsel mit schwarzen Bildern – © gemeinfreiAm Ende passt immer nur eins in das Gitter. Außerdem muss die Schreibweise stimmen; mit einem Rechtschreibfehler passt das Wort nicht mehr. Die Aufmerksamkeit wird also auch auf die richtige Schreibung gelenkt. Kreuzworträtsel haben deshalb durchaus auch einen Platz im Orthographieerwerb, nicht nur in Fremdsprachen.
Apropos Orthographie: Man darf ORTHOGRAPHIE mit <ph> oder mit <f> schreiben, im Kreuzworträtsel passt aber immer nur eine der beiden Varianten. Formale Variation gibt es im Kreuzworträtsel generell nicht.“
Ursprünglich wurden Kreuzworträtsel per Hand erstellt, wobei man zunächst das Gitter entwarf. Heute nutzt man Software. Das statista-Portal sagt nach einer Umfrage 2024: „2024 gab es in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre rund 8,95 Millionen Personen, die in ihrer Freizeit häufig Rätsel lösten.“ Was reizt die Menschen an diesen Knobelaufgaben?
Katarina Colomo: „Ich glaube, dass da mehrere Aspekte zusammenkommen. Erstens müssen wir uns konzentrieren, um ein Rätsel zu lösen. Das lenkt uns vom Alltag ab – und so ein mentaler Tapetenwechsel tut gut. Zweitens sind sie grundsätzlich lösbar! Es fühlt sich einfach gut an, eine Herausforderung zu meistern. Dazu dürfen die Rätsel aber weder zu schwer noch zu leicht sein. Zum Glück ist das Angebot so groß, dass sich jeder das passende Niveau heraussuchen kann. Das war auch vor dem Internet schon so: Kreuzworträtsel-Konstrukteure entwerfen Rätsel, die zu unterschiedlichen Zielgruppen passen. In Kinderzeitschriften wird ein anderer Wortschatz und andere Lösungsstrategien vorausgesetzt als in Illustrierten, das Rätsel in der Tageszeitung ist meist leichter als das in der ZEIT.
Schön an Rätseln ist außerdem, dass man sie alleine oder gemeinsam lösen kann. Sie können also auch eine soziale Komponente haben – aber man ist eben nicht darauf angewiesen, dass jemand mitspielt.“
Es gibt sogar mittlerweile Kreuzworträtsel-Lexika mit mehr als 300.000 Fragen und Antworten. Wissen Sie denn den jugendsprachlichen Begriff für ‚großartig‘ mit vier Buchstaben?
Katarina Colomo: „Da fallen mir gleich drei ein. Wenn das heute irgendwo gefragt wird, ist wahrscheinlich MEGA gesucht. Es könnte auch GEIL oder COOL sein. Das würde meine Tochter heute eher sagen. Komischerweise sind das auch die Wörter, die wir in den 80ern/90ern als Teenager verwendet haben. MEGA ist wohl eigentlich schon wieder veraltet. Jugendsprache hat eine kurze Halbwertszeit! Bis ein jugendsprachlicher Begriff bekannt genug ist, um in einem Kreuzworträtsel vorzukommen, ist er normalerweise schon wieder out. Aber wir wissen und berücksichtigen das, wenn wir Kreuzworträtsel lösen.“
Charles Cilard stellte 1985 nach vierjähriger Vorarbeit das bislang größte Kreuzworträtsel der Welt vor. Es war 870 m lang, 30 cm breit und hatte 2.610.000 Kästchen. Wann haben Sie Ihr letztes Kreuzworträtsel gelöst?
Katarina Colomo: „Im Sommer, als unsere Nachbarn ihr Zeitungsabo an uns umgelenkt haben – allerdings nur ein- oder zweimal. Ich suche zwar gern nach passenden Wörtern, aber in den üblichen Kreuzworträtseln wird auch viel an Wissen vorausgesetzt, das mich nicht sonderlich interessiert, zum Beispiel über berühmte Personen oder Geographie. Das wird mir dann schnell zu langweilig. Ich löse lieber Sudokus.“
Uwe Blass
Dr. Katarina Colomo – © UniService Third MissionÜber Dr. Katarina Colomo
Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Katarina Colomo arbeitet als akademische Oberrätin im Fach Germanistik in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität.
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