26. November 2025Peter Pionke
Westfalenhalle: Ein technisches Meisterwerk seiner Zeit
Westfalenhalle Dortmund 2008 mit dem „U“ für Union-Brauerei auf dem Dach – © CC BY-SA 3.0Die Westfalenhalle war zeitweilig die größte Halle Europas. Woran machte man das fest?
Kirsten Stopp: „Die Dortmunder Westfalenhalle galt zur Zeit ihrer Entstehung als technisches Meisterwerk. Ihre patentierte Holzkonstruktion der Firma Carl Tuchscherer ermöglichte eine Spannweite von rund 76 Metern – in Kombination mit der großen nutzbaren Fläche setzte sie damit neue Maßstäbe im Holzhallenbau. Der Begriff „Spannweite“ beschreibt den Raum, der ohne stützende Elemente überbrückt werden kann.
Die freitragende Konstruktion basierte auf vier mächtigen Holzbinderbögen, die im Abstand von jeweils 20 Metern in Querrichtung angeordnet waren. Eine weitere architektonische und technische Besonderheit war der elliptische Grundriss der Halle: Er ermöglichte die Integration einer Radrennbahn mit einer Wegelänge von 200 m. Diese Bahn war zudem so konzipiert, dass sie leicht auf- und abgebaut werden konnte. Gleichzeitig bot die elliptische Form rund 12.000 Zuschauern von jedem Platz aus eine gute Sicht auf das Geschehen.
© Bergische UniversitätDas wirklich Außergewöhnliche an der vom Breslauer Architekten Ludwig Hermann Moshamer und dem Dortmunder Stadtbaurat Dr. Wilhelm Delfs entworfenen Halle war jedoch die Kombination aus technischer Spitzenleistung und funktionaler Vielseitigkeit: Schon allein durch Spannweite und Fläche setzte die Halle Maßstäbe – dass sie darüber hinaus von Anfang an für eine multifunktionale Nutzung geplant war, machte sie zu einer baulichen Innovation ihrer Zeit.“
Am 28. November 1925 wurde sie offiziell eröffnet. Wie wurde denn die Halle damals genutzt?
Kirsten Stopp: „Die Westfalenhalle war von Anfang an ein multifunktionaler Veranstaltungsort, der für eine Vielzahl von Großveranstaltungen genutzt wurde: Auf der einen Seite für mannigfaltige Sportveranstaltungen: bekannt war sie damals vor allem für die legendären Sechs-Tage-Rennen im Radsport. Darüber hinaus fanden hier aber auch Reitturniere, Leichtathletik- und jegliche Hallensportwettkämpfe statt. Und natürlich nicht zu vergessen der Boxkampf von Max Schmeling im Jahr 1927, bei dem er den Europameistertitel errang.
Auf der anderen Seite war sie ein großes Veranstaltungszentrum: kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Theateraufführungen, Zirkusvorstellungen und Volksfeste fanden hier ebenso statt wie gesellschaftliche Ereignisse und Messen sowie Ausstellungen. In den ersten Jahren nach ihrer Eröffnung war die Halle vor allem regional genutzt, doch mit der Zeit zog sie auch internationales Publikum an. Die Westfalenhalle war aber auch Austragungsort politischer und gesellschaftlicher Versammlungen, darunter auch von Parteitagen der nationalsozialistischen Bewegung in den 1930er Jahren.“
Die Bauingenieurin Dr.-Ing. Kirsten Stopp – © connectINGs GmbHDie Nazis beschlagnahmten die Halle bei Kriegseintritt und nutzten sie als Gefangenenlager. Als am 23. Mai 1944 die Halle durch einen Bombenangriff zerstört wurde, starben tausende Kriegsgefangene, da sie keinen Schutz hatten. Nach dem Krieg begann der Wiederaufbau der Halle mit Stahl und Beton und einer ganz besonderen Dachkonstruktion. Was war daran so besonders?
Kirsten Stopp: „Bei ihrer Eröffnung war die Dachkonstruktion der Westfalenhalle eine der größten freitragenden Kuppeln Europas und stellte ein herausragendes Beispiel moderner Architektur dar. Der Entwurf von Walter Höltje, der zusammen mit Horst Retzki an dem Projekt arbeitete, bestand für die damalige Zeit aus einer innovativen Dach- und Wandkonstruktion: eine Stahlkonstruktion mit einem freitragenden Kuppeldach und einem verglasten Stahlskelett, dass die Außenwand umschließt. Die Konstruktion ermöglichte es, auf störende Stützpfeiler im Innenraum zu verzichten – immer noch ein technischer Fortschritt für die damalige Zeit – und dadurch die Halle zu einem flexiblen Raum für verschiedene Veranstaltungen zu machen. Der Grundriss war erneut elliptisch entsprechend den Bedürfnissen einer Radrennbahn konzipiert. Diese innovative Konstruktion erregte weltweit architektonisches Aufsehen und trug maßgeblich zur Funktionalität sowie zur Ästhetik der Halle bei.
Konkret setzt sich die tragende Dachkonstruktion aus einem Kranz von 20 gebogenen Stahlträgern zusammen, die unten auf den Stahlbeton-Tribünen aufliegen und oben in einen zentralen Ovalring münden. In diesen Ring werden aber keine Kräfte abgeleitet. Stattdessen werden die Stahlträger über Zuganker gehalten, die außen an der Fassade entlang bis in das Betonfundament führen. Diese Technik ermöglichte es, unter dem Ovalring eine Arbeitsbühne anzubringen. Die Fassade besteht aus einer großen, feingliedrigen Glaswand, die das Gebäude umhüllt und eine transparente, leichte Wirkung erzielt, obwohl das Innere eine massive Betonkonstruktion ist. Die Westfalenhalle steht deshalb folgerichtig seit 1996 auf der Denkmal-Liste der Stadt Dortmund – aufgrund ihrer Bedeutung als Symbol des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg sowie als technisches und architektonisches Meisterwerk ihrer Zeit.“
Das Dach wog damals 1300 Tonnen. Das war schon eine bauliche Meisterleistung, oder?
Kirsten Stopp: „Ja, besonders, wenn man bedenkt, wie viel Handarbeit damals noch im Spiel war. Für die Montage der Baukräne sind die Bauarbeiter ohne jegliche Sicherungsvorkehrung in luftige Höhen geklettert, teilweise über nicht einmal hüftbreite, glatte, steile Flächen. Auch der Transport der Stahlträgerteile durch die Stadt zur Baustelle per LKW mit einer Höhe von 4 Metern gestaltete sich schwierig. Dort angekommen, mussten die Stahlträgerteile zunächst mit einer Seilwinde händisch ins Innere der Halle gezogen werden. Dann half der Kran zwar, das Trägerteil hochzuheben – zur Ausrichtung der Träger standen die Arbeiter während des Schwenkens aber auf diesen drauf, nach heutigen Sicherheitsstandards unvorstellbar.
So sah die Dortmunder Westfalenhalle im Jahr 1927 aus – © dl-de/by-2-0Ähnlich verhielt es sich mit dem Anschrauben der Stahlverbindungsstücke, auf denen die spätere Dacheindeckung auflagerte – hier bewegten sie sich auf dünnen Trägern und das in einer Höhe von 20-25 Metern über dem Boden. Neben der sicherlich körperlich schweren Arbeit kam der Zeitdruck zum Schluss hinzu: Die Halle sollte nach dem Krieg schnell als Symbol des Wiederaufbaus und für Veranstaltungen bereitstehen. Die erste Veranstaltung war bereits für den 02. Februar 1952 angesetzt – nach 1,5 Jahren Bauzeit. Der Termin wurde eingehalten und es fand eine große Eröffnungsveranstaltung statt. Damit hatte Dortmund erneut eine beeindruckende freitragende Dachkonstruktion realisiert: technisch innovativ, architektonisch elegant und ein Symbol für den Fortschritt im Nachkriegsdeutschland. Oberbürgermeister Fritz Henßler nannte es damals zu Recht „eine Repräsentation der Leistungsfähigkeit der Dortmunder industriellen und gewerblichen Wirtschaft“.“
Holz ist ja unser einheimischer Rohstoff. Und mit der heute zur Verfügung stehenden Holzbautechnik kann Holz problemlos auch bei den strengsten Baumaßstäben von Tragwerken mit großen Spannweiten mithalten. Die größte moderne Halle in Holzkonstruktion in Europa ist eine Logistikhalle im Hafen Straubing-Sand mit einer Fläche von 27.000 Quadratmetern. Findet da unter ökologischen Aspekten heute auch wieder ein Umdenken statt?
Kirsten Stopp: „Dank der Nachhaltigkeits-Debatte erlebt Holz gerade eine Renaissance. Holz als einheimischer und nachwachsender Rohstoff schont Ressourcen und verursacht eine deutlich geringere CO2-Bilanz als herkömmliche Baustoffe. Zudem ist er recyclebar. Es gibt immer noch viel Misstrauen gegen Holz als Baustoff – von daher sind solche Leuchtturmprojekte wie in Straubing-Sand immens wichtig. Da es noch keine vergleichbaren Hallen in Holzbauweise gibt, musste hierfür erst ein neues Brandschutzkonzept entwickelt werden. Dieses ist aufwändiger als bei Hallen aus herkömmlichen Baustoffen, erfüllt dann aber die gleichen Anforderungen in vollem Umfang. Anders als bei der Westfalenhalle spielt allerdings bei der Logistikhalle die Spannweite keine Rolle, hier steht die große Fläche der reinen Holzkonstruktion und der Nachhaltigkeitsaspekt im Vordergrund.“
Weltberühmte Künstler wie Bob Marley, Prince, Madonna oder Pink Floyd, die bei ihrer Welttournee zu
‚The Wall‘ aufgrund der aufwändigen Bühnenkonstruktion nur vier Konzerthallen weltweit nutzten, kamen nach Dortmund. Auch der optimale Standort des Gebäudes spielt da eine Rolle, oder?
Kirsten Stopp: „Ja, schon damals war Dortmund eine industriell und kulturell bedeutende Stadt im Westen Deutschlands, die zudem über eine ausgezeichnete Verkehrsanbindung verfügte. Diese Faktoren erleichterten die Logistik für Bands, Technik und Publikum erheblich. Darüber hinaus ist die Rhein-Ruhr-Region die Region mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Deutschland. Die Westfalenhalle profitierte somit nicht nur von ihrer architektonischen Flexibilität und technischen Ausstattung, sondern auch von ihrem Standort, der sie zu einem zukunftsfähigen Veranstaltungsort macht.“
Andere Hallen orientieren sich an der Dortmunder Westfalenhalle vor allem wegen ihrer Fassade und Dachkonstruktion. Ist sie sozusagen ein Referenzobjekt für Hallenbauprojekte geworden?
Kirsten Stopp: „Sie hat sicherlich für zahlreiche Hallen in Europa und darüber hinaus als Vorbild gedient. Die Dortmunder Westfalenhalle steht architekturhistorisch wie ingenieurtechnisch für einen Hallenbau, bei dem neben dem rein funktionalen Zweckbau der moderne, transparente und technisch avancierte Veranstaltungsraum von zentraler Bedeutung ist. Und sie zeigt, dass sie auch heute umgehen kann mit den neuen Anforderungen an die Nachhaltigkeit und wappnet sich mit Umbaumaßnahmen für die Zukunft wie etwa dem Einbau einer neuen Heizungsanlage, die den CO2-Ausstoß deutlich senkt oder der Neueindeckung des Dachs mit einer nachhaltigen Lösung aus 98 Prozent recyceltem Aluminium.“
Uwe Blass
Dr.-Ing. Kirsten Stopp – © connectINGs GmbHÜber Dr.-Ing. Kirsten Stopp
Dr.-Ing. Kirsten Stopp ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bauen mit Bestand und Baukonstruktion an der Bergischen Universität Wuppertal.
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