3. November 2025Peter Pionke
Zungenbrecher: Ein beliebtes Spiel mit der Sprache
Dr. Katarina Colomo, Sprachwissenschaftlerin an der Bergischen Universität – © UniService Third MissionGrund genug für Autor Uwe Blass, sich mit der Sprachwissenschaftlerin Dr. Katarina Colomo von der Bergischen Universität über die schwierige Silbenfolge des berühmten Zungenbrechers und über weitere Beipiele im Rahmen der lehrreichen Uni-Reihe „Transfergeschichten“ zu unterhalten.
An der Bergischen Universität hat sich die Linguistin Dr. Katarina Colomo damit auseinandergesetzt und sagt: „Es ist unmöglich zu sagen, wann der erste Zungenbrecher entstanden ist. Zungenbrecher gibt es ja wahrscheinlich nicht erst, seit wir schreiben – unsere orale Kultur ist viel älter als unsere schriftliche Kultur. Sie gehört zu unserem kulturellen Gedächtnis. Wenn man Wissen mündlich weitergeben möchte, ist es hilfreich, Gedichte oder Lieder zu verwenden. Sprachliche Mittel wie Alliterationen (sprachliches Stilmittel, bei dem zwei oder mehr aufeinanderfolgende Wörter den gleichen Anfangsbuchstaben oder den gleichen Anfangslaut haben, Anm. d. Red.) oder Reime sind wichtig, weil wir uns Texte dann besser merken können.“
© Bergische UniversitätLeider würde heute nicht mehr viel auswendig gelernt, obwohl das viele Kompetenzen fördere, erklärt Colomo. Nur bei Liedern passiere das noch häufig. „Die meisten Menschen können einige Lieder mitsingen, aber sehr wenige Leute können heute noch Gedichte aufsagen.“
Form vor Bedeutung
Zungenbrecher sind kurze Sätze oder Wortfolgen, die aufgrund ihrer Lautkombinationen schwer auszusprechen sind, insbesondere, wenn man sie schnell hintereinander wiederholt. Ihre Bedeutung sei vollkommen egal, sagt die Fachfrau, und erklärt: „Es geht nur um die Form. Es muss zwar ein grammatikalisch korrekter Satz sein, und man kann ihn in der Regel auch verstehen, aber die Bedeutung ist total egal.“
Colomo macht das an einem weiteren bekannten Beispiel deutlich: „Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid: Das sind zwei tautologische Sätze. Da sehe ich auch keinen Hintersinn, es geht nur um die Form. Tautologische Sätze können durchaus eine Bedeutung haben. Nehmen wir als Beispiel ‚Krieg ist Krieg‘. Oberflächlich betrachtet ist dieser Satz genauso uninformativ, aber er hat einen Hintersinn: Im Krieg sind bestimmte Dinge typisch, es wird nur nicht verraten, was genau gemeint ist. Oder ‚Liebe ist Liebe‘, da läuft das genauso. Aber bei ‚Blaukraut bleibt Blaukraut‘ geht es wohl eher nicht um die Eigenschaften von Blaukraut.“
Zungenakrobatik im Mund
Im Englischen heißen Zungenbrecher ‚Tongue Twister‘ – also Zungen-Wirbelwind. Beim Sprechen passiere erstaunlich viel im Mund, sagt die Linguistin. „Als erstes erzeugen wir einen Stimmton, d.h. wir pressen mit dem richtigen Druck Luft durch unsere Stimmbänder und erzeugen damit einen Stimmton. Und dann kommt es darauf an, was wir im Mund damit machen. Das ist die Artikulation. Wir artikulieren mit der Zunge, dem Kiefer, dem Gaumensegel und den Lippen.“
In der Phonetik unterscheide man zwischen Konsonanten und Vokalen zwei wesentlich verschiedene Lauttypen. „Vokale sind artikulatorisch relativ einfach. Da geht es darum: Wie hoch ist die Zunge, wie weit vorne liegt sie, runden wir die Lippen? Das ist fast schon alles. Wenn wir [i] sagen, ist die Zunge sehr weit vorne und oben. Wenn wir die Zunge dort lassen und die Lippen runden, wird der Laut automatisch zu einem [y] („üh“). Alles, was wir geändert haben, ist, die Lippen zu runden.“
Ein echter Zungenbrecher auf einer alten Postkarte: „Der Cottbuser Postkutschkutscher putzt den Cottbuser Postkutschlasten“ – © CC BY-SA 3.0Ganz anders sehe es aber bei den Konsonanten aus. „Bei den Konsonanten erzeugen wir eine Art von Behinderung für den Luftstrom. Damit unterscheiden sie sich deutlich von den Vokalen. Das machen wir an verschiedenen Orten und auf verschiedene Arten, oft mit der Zunge, aber auch mit den Lippen. Die Kombination aus Ort und Art ist elementar dafür, welcher Konsonant produziert wird.
Der Zungenmuskel kann trainiert werden
In der Sprachtherapie werden Zungenbrecher auch eingesetzt. Die Zunge ist ein komplizierter Muskel, den man trainieren könne. „Beim Sport geht es um Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer und Koordination“, erklärt Colomo, „und das gleiche gilt auch für die Artikulation. Sprechübungen sind Artikulationsübungen. Zungenbrecher sind besonders schwierige Übungen, in denen ganz komplexe Bewegungsabläufe geübt werden.“
Das seien dann schwierige Kombinationen von Konsonanten in schneller Folge mit ähnlichen, aber dennoch verschiedenen Kombinationen. „Bei ‚Blaukraut‘ beginnen beide Silben ganz ähnlich: Zuerst kommt ein Verschlusslaut, dann ein relativ sonorer Konsonant. Aber die Artikulation findet an ganz unterschiedlichen Orten statt: Der erste Silbenanlaut [bl] wird weit vorn produziert, mit den Lippen und dann der Zungenspitze. Beim zweiten Silbenanlaut [kʀ] starten wir wieder mit einem Verschlusslaut, dem [k], aber der wird diesmal weit hinten mit dem Zungenrücken produziert. Beim [ʀ] lassen wir die Zunge noch weiter hinten vibrieren. Wenn wir in schneller Folge zwischen diesen Kombinationen wechseln müssen, dann ist das schwierig. In ‚Brautkleid‘ bestehen die Silbenanlaute aus denselben Konsonanten, nur vertauscht: Jetzt müssen wir innerhalb des Anlauts von vorn nach hinten springen [bʀ] oder umgekehrt [kl]. Und dann das Ganze noch schnell hintereinander im Wechsel – das ist wirklich schwierig!“
Konstruktives Training für Schauspieler
Schauspieler setzen oft noch einen drauf und sprechen solche Zungenbrecher mit einem Korken im Mund. Das löse die artikulatorische Muskulatur, fördere die Durchblutung und funktioniere genau wie beim Aufwärmen im Sport.
Zungenbrecher gibt es auch in anderen Sprachen. Ein schönes Beispiel aus der Schweiz lautet: S‘ Christchindli und dä Samichlaus ässäd zum Z’Nüni Guetzli und Chäschüechli usem Chuchichäschtli. (Das Christkind und der Nikolaus essen als Pausenbrot Kekse und Käsekuchen aus dem Küchenkasten.) Kompliziert? „Das ist das Wesen aller Zungenbrecher“, lacht die Linguistin, „Wir spielen einfach gerne mit Sprache. Es ist eine Herausforderung und man kann immer mitmachen. Es macht Spaß und es übt.“
Der schwierigste Zungenbrecher
Laut dem Guinnessbuch der Rekorde lautet der schwierigste Zungenbrecher im englischen Sprachraum „The sixth sick sheikh’s sixth sheep’s sick“. Was so viel heißt wie: Das sechste Schaf des sechsten kranken Scheichs ist krank. Zungenbrecher sind also eine internationale Erscheinung. „Zungenbrecher gibt es, glaube ich, wirklich in allen Sprachen. Man könnte sie auf jeden Fall in allen Sprachen bauen. Eine Besonderheit des Deutschen ist, dass wir sehr komplizierte Konsonantenverbindungen haben. Nicht nur am Anfang der Silbe, aber ich glaube, dass die Konsonantenverbindungen am Anfang der Silbe für Zungenbrecher besonders wichtig sind.“
Das könne aber in anderen Sprachen auch anders sein, erklärt die Wissenschaftlerin. Die chinesische Sprache z. B. sei eine Tonsprache. „Auf der lautlichen Ebene sind die Silben ganz einfach. Sie bestehen meistens nur aus einem Konsonanten und einen nachfolgenden Vokal. Aber dafür spielt es eine Rolle, ob die Stimme in der Silbe fällt, steigt, erst fällt und dann steigt oder gleich bleibt. Im Chinesischen sind das dann verschiedene Silben.“ Im Deutschen sei das egal. „Das bedeutet, dass ein chinesischer Zungenbrecher aus komplizierten Tonabfolgen bestehen kann. Das ist ein anderes Sprachsystem.“
Barbaras Rhabarberbar
Der aktuellste und viralste Zungenbrecher lautet ‚Barbaras Rhabarberbar‘, stammt von Bodo Wartke und erlangte 2024 große Bekanntheit. Er wurde auf Social Media Plattformen wie YouTube und TikTok millionenfach geklickt und sogar von der New York Times erwähnt. Könnte der Erfolgsschlager ‚Zungenbrecher‘ denn auch in der Lehre eingesetzt werden?
„Ich habe sie noch nie bewusst eingesetzt“, resümiert Colomo, „aber, wenn ich Phonetik unterrichte, möchte ich auch, dass die Studierenden ihre Artikulationsbewegungen bewusst wahrnehmen. Zungenbrecher lenken die Aufmerksamkeit auf die Artikulation, das könnte schon helfen. Und wenn die Studierenden verstehen, warum sie schwer auszusprechen sind, haben sie auf jeden Fall schon viel gelernt.“
Uwe Blass
Dr. Katarina Colomo – © UniService Third MissionÜber Dr. Katarina Colomo
Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Katarina Colomo arbeitet als akademische Oberrätin im Fach Germanistik in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität.
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