21. September 2025

„Das Fest“ – welches das Schweigen brechen sollte

Mit der Theaterfassung von „Das Fest“, nach Thomas Vinterbergs gleichnamigem, legendärem Dogma-Film aus dem Jahr 1998, feierte das Schauspiel Wuppertal im Opernhaus und eröffnet damit gleichzeitig die Spielzeit 25/26. Es geht darin inhaltlich um schockierende Details eines viele Jahre zurückliegenden doppelten Kindesmissbrauchs durch den Patriarchen, über den die Familie aus Scham und Gründen der Reputation lange geschwiegen hatte.

Thomas Braus (l.) als Toastmaster Helmut mit dem Ensemble des Stückes „Das Fest“ – © Björn Hickmann

„Mit 60 hat man keine Ziele mehr, zum Umsatteln ist es zu spät, Im Rückblick gibt es frohe und traurige Zeiten. Wichtig ist, dass die Kinder zurechtkommen…“ Hotelier Helge lädt zur Feier seines 60. Geburtstags ein. Mit einer Art Prolog führt Vater Helge (Stefan Walz) in das Geschehen ein und erwartet zur Feier seines Geburtstags geladene Gäste, insbesondere seine drei Kinder.

Toastmaster Helmut (Thomas Braus) bringt die Erwartung des Gastgebers auf ein fröhliches Fest bei seinem ersten Toast zum Ausdruck, doch unter der festlichen Oberfläche brechen verdrängte Wahrheiten hervor. Das Fest wird zu  einem Abend über Wahrheit, Schuld und die desaströse Kraft des Schweigens – und darüber, was geschieht, wenn es endlich gebrochen wird. Was als große Geburtstagsfeier beginnt, entwickelt sich zu einem schonungslosen Familiendrama.

Losentscheid: Wer war dran, Junge oder Mädchen?

Zum thematischen Ablauf: Als ältester Sohn soll Christian (Alexander Peiler) eine Rede halten. Er lässt seinen Vater vor versammeltem Publikum einen der zwei vorbereiteten, verdeckten Redezettel wählen. Der Vater wählt unwissend den Bogen, auf dem die „Wahrheitsrede“ steht.

Distanziert und fast analytisch beschreibt Christian, wie er und seine verstorbene Schwester Linda regelmäßig von ihrem Vater sexuell missbraucht wurden. Der hatte  stets das Bad gewählt, die Rollos runtergelassen, eine Kerze angezündet und gelost, wer diesmal als erstes dran war, der Junge oder das Mädchen? An der Festtafel herrscht ob dieser Offenbarung betretenes Schweigen.

Mutter Else ergreift das Wort und betont Christians seelisch labilen Zustand, den er schon als Jugendlicher hatte und fordert ihn auf, sich bei seinem Vater zu entschuldigen. Hierauf offenbart Christian, dass seine Mutter von dem Missbrauch wusste und nichts unternahm.

Vater Helge (Stefan Walz) als Gastgeber des Famileinfestes, das ganz anders als geplant verläuft – © Björn Hickmann

Darauf  wird Christian von einigen Männern der Feier aus dem Haus gezerrt. Statt sich zu entschuldigen, kehrt Christian an den Tisch zurück, ergreift das Wort und gibt seinem Vater offen die Schuld am Selbstmord seiner Schwester. Ungeachtet dessen geht das Fest weiter, der Alkohol fließt mittlerweile in Strömen.

Die Bedienstete Pia (Paula Schäfer) findet einen Brief und bringt ihn Christian, der dem Toastmaster einen anonymen Zettel an den Platz legt, auf welchem nach Festtradition der Name der Person steht, die nun eine Rede halten muss. So ist es jetzt an der  jüngsten Tochter Helene (Julia Meier), die wie auch ihr jüngerer Bruder Michael (Konstantin Rückert) bisher alle Vorwürfe abstritt, gezwungen, den Brief vorzulesen.

Die verstorbene Linda schrieb darin, dass sie sich, traumatisiert durch die Angst vor erneutem Missbrauch durch ihren Vater, das Leben nahm. Wieder kehrt Stille ein. Erst jetzt beginnt die Aufarbeitung des Familiendramas. Wird die Sprachlosigkeit aufgelöst? Können die vielschichtigen Einschüchterungsversuche Erfolg haben, werden am Ende die Opfer zu Tätern? Kann die schützende Hand der Familie weiter Wirkung entfalten?

Brillante Inszenierung bringt die Darsteller in Höchstform

Die Theaterfassung von Thomas Vinterberg & Moran Rukov feierte 2000 in Dresden Premiere. Seitdem entstanden zahlreiche Inszenierungen, u.a. in London und am Broadway. Die Wuppertaler Inszenierung von Jenke Nordalm, die Vinterbergs kompromisslose Vorlage in eine intensive Theatererfahrung überführt.

Jenke Nordalm studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Berlin und London, Ihr Hauptinteresse wird mit der Erzählweise aus einem weiblichen Blickwinkel und in der Fokussierung auf die Antihelden beschrieben.

Szenen von der Familienfeier, auf der traurige, dramatische Wahrheiten ans Licht kommen – © Björn Hickmann

Bei der Inszenierung in Wuppertal wurde der Fokus auf die unmittelbare  Wucht des Stoffes, ohne psychologische Beschönigung gelegt. So entstand eine Mischung aus Drama und feinsinnigem Humor. Die brillante Inszenierung bringt die Darsteller zur Höchstform und hält das Publikum in einer ergreifenden Balance zwischen Mitgefühl und Entsetzen.

Dazu kommt eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz und die sorgfältig gestaltete Kulisse im Opernhaus Wuppertal, die eine Atmosphäre schafft, welche dem Zuschauern das Gefühl gibt, Teil des Geschehens zu sein. Hier wird nicht nur Theater gespielt, sondern werden auch dank der überragenden Interpreten, Emotionen greifbar gemacht.

Das Premierenpublikum reagierte  mit „Standing Ovations“.

Text: Siegfried Jähne

 

DAS FEST

nach dem Originaldrehbuch „Das Fest“

von Thomas Vinterberg & Mogens Rukov

für die Bühne bearbeitet von Bo hr. Hansen

in der Übersetzung von Renate Bleibtreu

Im Theatertück „Das Fest“ tun sich während einer Familienfeier wahre Abgründe auf – © Bjön Hickmann

 

HELGE, Vater – STEFAN WALZ

ELSE, Mutter – JULIA WOLFF

CHRISTIAN, ältester Sohn – ALEXANDER PEILER

MICHAEL, jüngster Sohn – KONSTANTIN RICKERT

HELENE, jüngere Tochter – JULIA MEIER

PIA, Bedienstete / LINDA, tote Schwester – PAULA SCHÄFER

METTE, Michaels Frau – SILVIA MUNZÓN LÓPEZ

MARIJOH, Helenes Geliebte – CELINE HAMBACH

HELMUT, Toastmaster – THOMAS BRAUS

KIM, Hausvorstand – KEVIN WILKE

INSZENIERUNG – JENKE NORDALM

BÜHNE & KOSTÜME – VESNA HILTMANN

MUSIK  – ULF STEINHAUER

DRAMATURGIE  – ELISABETH HUMMERICH

REGIEASSISTENZ – TOM DOCKAL

KOSTÜMASSISTENZ  – ANNA JURCZAK

INSPIZIENZ – ILJA BETSER

Dauer: ca. 2 Stunden inkl. einer Pause

Weitere Vorstellungen im Opernhaus:

4. Oktober – 1. November – 14. Dezember 2025 – 4.Januar – 19. April – 2. Mai 2026.

(Es wird bei diesen Vorstellungen besonders auf die sensiblen Inhalte aufmerksam gemacht)

 

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