28. Juni 2025Peter Pionke
Offener Brief! Freie Kultur-Szene wehrt sich gegen Kürzungen

Denn hauptsächlich betroffen von drohenden Etat-Kürzungen ist ausgerechnet die Freie Kultur-Szene. Doch diese wendet sich jetzt mit einem offenen Brief und klaren Forderungen an Oberbürgermeister, Stadtrat und Kulturausschuss.
Über 320 Wuppertalerinnen und Wuppertaler erklären sich mit der Freien Kultur-Szene solidarisch und haben den „Offenen Brief“ unterzeichnet, darunter auch bekannte Künstler und Persönlichkeiten wie Charles Petersohn (Musiker), Luise Kinner (Schauspielerin), Ute Völker (Akkordeonistin), Ralf Silberkuhl (Foto-Künstler), Armin Alic (Bassist), Ann-Kathrin Kramer (Schauspielerin), Andreas M. Wiese (Maler), JProf. Dr. Christoph Rodatz (Theaterwissenschaftler) Björn Krüger (Kinderlieder-Komponist), Gunda Gottschalk (Violinistin), Mark Tykwer (Veranstalter „Talflimmern“), Birgit Pardun (Künstlerin), Christian Hampe (Utopia-Stadt), Ulrich Rasch (Musiker), Julia Wolff (Schauspielerin), Uta Atzpodien (Autorin), Frank N (Künstler), Marcia Golgowsky (Schauspielerin) und viele mehr. Die komplette Liste finden Sie unten.
Hier der „Offene Brief“ der Freien Kultur-Szene Wuppertal im Wortlaut:
OFFENER BRIEF DER FREIEN KULTUR WUPPERTALS
An den Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, den Stadtrat, die Kulturverwaltung und die Fraktionen im Kulturausschuss
BURNOUT STATT BUDGET – DAUERKRISE STATT PERSPEKTIVE
Offener Brief zur strukturellen Notlage der Freien Kultur in Wuppertal
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Mitglieder des Rates, sehr geehrte Mitglieder des Kulturausschusses,
„Wir“, ein Zusammenschluss verschiedener Akteurinnen und Akteure aus der Freien Kulturszene Wuppertals, wenden uns mit großer Sorge an Sie. Die Freie Szene steht aktuell unter erheblichem Druck. Ausschlaggebend hierfür sind insbesondere die absehbaren Kürzungen von Förderprogrammen auf Bundes- und Landesebene – bei gleichzeitig nicht gedeckten kommunalen Haushalten.
Daraus entstehen gravierende Förderlücken, die auf kommunaler Ebene kompensiert werden müssen. Der Bedarf an lokaler Unterstützung steigt erheblich, da Projekte, Einrichtungen und insbesondere einzelne Akteurinnen und Akteure andernfalls an ihre existenziellen Grenzen geraten. Zugleich verschärft sich der Wettbewerb um die verbleibenden Mittel innerhalb der Freien Szene deutlich.
Besonders besorgniserregend ist darüber hinaus die wiederkehrend verspätete Verabschiedung öffentlicher Haushalte auf allen politischen Ebenen – so auch in der Stadt Wuppertal. Diese Verzögerungen behindern die rechtzeitige Freigabe von Fördermitteln, verhindern Planungssicherheit und setzen bestehende Strukturen zusätzlich unter Druck.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Einführung verbindlicher Honoraruntergrenzen auf Landesebene ab 2026. Diese Maßnahme begrüßen wir grundsätzlich im Sinne fairer Arbeitsbedingungen. Allerdings fehlt derzeit eine entsprechende finanzielle Kompensation innerhalb der bestehenden Förderinstrumente. Ohne Anpassung der Fördersummen ist die Einhaltung der Honoraruntergrenzen in der Praxis nicht realisierbar.
Die Folge: weniger Veranstaltungen, gestrichene Formate – und damit auch weniger Auftrittsmöglichkeiten für die Freie Kultur. Dies wirkt sich erheblich auf die kulturelle Vielfalt der Stadt aus. Diese Herausforderungen treffen insbesondere die Freie Szene – unabhängig davon, ob Einzelperson oder Institution –, da sie auf flexiblen und niedrigschwelligen Strukturen basiert und zugleich in besonderem Maße auf öffentliche Förderung angewiesen ist. Es fehlt bislang an einer klaren politischen Rückendeckung, die notwendig wäre, um diesen strukturellen Belastungen wirkungsvoll zu begegnen.
Dabei übernimmt die Freie Kultur in Wuppertal eine zentrale Rolle in der kulturellen Infrastruktur der Stadt. Sie umfasst spartenübergreifend freischaffende, professionelle Akteurinnen und Akteure, Einrichtungen in nicht-öffentlicher Trägerschaft sowie junge, neu ent-stehende Initiativen und Gruppen – die sich häufig zunächst unabhängig und informell organisieren. Diese Akteurinnen und Akteure agieren zumeist unabhängig von großen Institutionen, entwickeln innovative Formate und bespielen unkonventionelle Orte.
Insbesondere in den Quartieren schafft die Freie Szene niedrigschwellige und aufsuchende Angebote, die Menschen erreichen, für die der Zugang zu institutioneller Kultur nicht selbstverständlich ist. Die Freie Kultur in Wuppertal leistet einen zentralen Beitrag zur kulturellen Bildung, fördert gesellschaftlichen Dialog und stärkt das demokratische Miteinander. Angesichts aktueller politischer Entwicklungen und eines zunehmenden Rechtsrucks ist diese Arbeit von existenzieller Relevanz. Ein Rückgang kultureller Angebote führt zu einem Verlust von Dialogräumen und gesellschaftlicher Resilienz gegenüber rechtsextremen Tendenzen.

Die Freie Kultur Wuppertals darf kein Sparmodell sein – mit Einsparungen in den vergleichsweise verschwindend kleinen Kulturbudgets lässt sich kein Haushalt sanieren. Der gesellschaftliche Schaden jedoch ist immens. Vor diesem Hintergrund fordern wir die Stadt Wuppertal nachdrücklich auf, sich der beschriebenen Problemlagen anzunehmen und tragfähige, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, um Planungssicherheit und strukturelle Stabilität für die Freie Kulturszene ab dem Jahr 2026 sicherzustellen.
HERAUSFORDERUNGEN UND FORDERUNGEN
Im Namen der Freien Szene Wuppertals möchten wir mit diesem Brief auf akute und existenzielle Herausforderungen hinweisen und unsere Forderungen an die kommunale Politik und Verwaltung formulieren.
1. EXISTENZSICHERUNG STATT ERSCHÖPFUNG
Die Freie Kultur steht unter massivem wirtschaftlichem Druck. Steigende Lebens- und Betriebskosten, Inflation sowie gesetzlich verankerte Honoraruntergrenzen ohne entsprechende Gegenfinanzierung treffen auf stagnierende oder rückläufige Fördermittel. Projektförderungen orientieren sich häufig nicht an realen Kostenstrukturen. Teams arbeiten unterhalb tariflicher Standards; qualifizierte Fachkräfte verlassen die Szene aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Die Folgen sind strukturelle Überlastung und ein zunehmender Verlust an Professionalisierung.
2. PLANUNGSSICHERHEIT STATT PROJEKTLOGIK
Projektförderung ersetzt zunehmend strukturelle Absicherung. Ein Großteil der Ressourcen fließt in Anträge und Verwaltung statt in künstlerische Entwicklung. Die fehlende Planungssicherheit behindert Innovation und Qualität. Insbesondere kleinere Einrichtungen sowie junge, noch nicht etablierte Akteurinnen und Akteure stehen dabei vor besonderen Herausforderungen. Sie agieren oft autonom, außerhalb etablierter Strukturen, und verfügen nicht über ausreichende personelle oder finanzielle Ressourcen zur Bewältigung der komplexen Förderlogik. Die Unsicherheit über die Anschlussfinanzierung belastet zusätzlich – auch in Bezug auf die eigene soziale Absicherung.

3.POLITISCHE RÜCKENDECKUNG STATT VERGEUDETEM POTENZIAL
Die Freie Szene hat bewiesen, dass sie Verantwortung übernehmen kann – in Bildung, Teilhabe, Stadtentwicklung und demokratischer Arbeit. Dabei entwickelt sie nicht nur relevante Inhalte, sondern erzielt zugleich eine überregionale Strahlkraft. Zahlreiche Initiativen und Projekte wurden mehrfach ausgezeichnet und generieren regelmäßig Drittmittel, die weit über die städtischen Investitionen hinausgehen. Doch ohne angemessene strukturelle Unterstützung wird dieses Potenzial nicht ausgeschöpft. Die bisher ausbleibende politische Rückendeckung verhindert notwendige Entwicklungen und schwächt langfristig die Kulturlandschaft der Stadt.
UNSERE FORDERUNGEN: EIN KLARES ZEICHEN FÜR DIE FREIE SZENE
Wir fordern die Stadt Wuppertal auf, der Freien Szene jetzt den Rücken zu stärken. Es braucht klare strukturelle Entscheidungen.
1. Planungssicherheit und Verlässlichkeit
Frühzeitige Kommunikation: Die Stadtverwaltung soll den institutionell geförderten Einrichtungen der Freien Szene bis spätestens Anfang September 2025 mitteilen, mit welchen Zuschüssen sie im ersten Halbjahr 2026 rechnen können. Verbindliche Umsetzung der Empfehlungen: Wir erwarten, dass die kulturpolitischen Vertreterinnen und Vertreter in den Ratsfraktionen sich für die vollständige Umsetzung der Förderempfehlungen für die institutionelle Förderung der Arbeitsgruppe Kultur sowie des Kulturausschusses einsetzen. Die beantragten Mittel sind nachweislich notwendig. Abweichungen gefährden den Fortbestand bestehender Strukturen – mit möglichen Schließungen und Stellenverlusten. Stabilisierung der Förderpraxis: Die allgemeine Projekt- und Jahresförderung des Kulturbüros muss gesichert und an steigende Antragszahlen sowie realistische Projektkosten angepasst werden.
2. Politische Rückendeckung und kulturpolitisches Bekenntnis
Kulturpolitische Haltung: Wir fordern ein klares, öffentlich sichtbares Bekenntnis zur gesellschaftlichen Relevanz der Freien Kultur – insbesondere von den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger vor der Kommunalwahl 2025. Gleichwertige Anerkennung: Die Freie Szene muss als elementarer Teil des städtischen Kulturangebots wahrgenommen und gefördert werden – gleichrangig mit anderen Kulturinstitutionen. Ziel ist keine Konkurrenz, sondern eine faire Verteilung und sichtbare Anerkennung der jeweiligen Rollen.Vermeidung struktureller Benachteiligung: Es darf nicht zu einseitigen Kürzungen bei der Freien Szene kommen. Wir fordern eine solidarische Kulturpolitik, die Vielfalt sichert.

3. Strukturelle Rahmenbedingungen und faire Arbeitsverhältnisse
Faire Beschäftigung: Es braucht verbindliche Schritte zur Umsetzung tarifnaher Bezahlung, fairer und langfristiger Beschäftigungsverhältnisse sowie eines Inflationsausgleichs. Erhalt und Entwicklung von Produktionsräumen: Die Stadt muss bestehende Räume für freie Kulturarbeit erhalten und zusätzliche nutzbare Infrastrukturen schaffen – räumlich, personell und finanziell. Nur so bleibt Wuppertal als Standort für freie künstlerische Arbeit zukunftsfähig.
KULTURELLE INFRASTRUKTUR STÄRKEN – DEMOKRATISCHE RESILIENZ SICHERN
Kulturelle Vielfalt braucht politische Klarheit. Die Freie Szene ist ein Reichtum, kein Risiko. Die Kommunalwahl 2025 kommt – nutzen Sie die verbleibende Zeit, um kulturpolitisch Haltung zu zeigen. Wir sind bereit, die Zukunft mitzugestalten. Aber wir brauchen eine Stadt, die mit uns geht – und das vorhandene Potenzial zu nutzen weiß.
„Gerade in Zeiten eines erstarkenden rechtsextremen Spektrums in Deutschland ist der Beitrag der Kultur zur Stärkung der Demokratie unverzichtbar. Wir brauchen Räume für Diskurse, kritische Auseinandersetzungen, demokratische Prozesse und kulturelle Bildung. Besonders die Freie Kultur hat das Potenzial, vielfältige Communities zu erreichen und aktiv einzubeziehen. Unsere Gesellschaft kann es sich schlicht nicht leisten, an Kultur zu sparen.“ Dieses Zitat stammt aus dem Offenen Brief kommunaler Netzwerke der Freien Kultur.
Es bringt unsere Haltung treffend auf den Punkt – und verweist zugleich auf bereits bestehende kulturpolitische Positionierungen, die wir ausdrücklich unterstützen.“
Die Freie Kultur-Szene Wuppertal

Hier die Liste der bisherigen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
Mitzeichnung Offener Brief – Freie Szene Wuppertal (Antworten) – Formularantworten 1
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