9. Oktober 2022

Ehepaar Sommer: Böses Erwachen in Kanada

Geburtstag in Maastricht, exakt drei Wochen später Ankunft in Montreal. Das klingt nach angenehmen Zeiten, in denen man nichts Böses ahnt. Die Wuppertalerin Chrissi Sommer, in Kanada geboren, hat allen Anlass zur besonderen Freude, denn nach den Turbulenzen der Pandemie wird sie mit Ehemann Henning zum ersten Mal seit fünf Jahren ihre Mutter im kanadischen Rosemère wiedersehen.

Das abgebrannte Haus Bandstr. 13 – © Doro Schwabe

Nach ein paar Tagen dort soll Freundin Brenda in Montreal besucht werden, im Anschluss ist eine Reise mit der Mutter nach Neuengland geplant. Es kann keine bessere Zeit und Gegend für die Pracht des Indian Summer geben, und Designerin Chrissi belegt mit ihrer Hochzeitspapeterie „Sommerliebe“, wie sehr sie sich der Wirkung von Farben und Naturformen verschrieben hat. Auf Facebook postet sie am 25. September Gruselmasken, die für Halloween bestimmt sind. Aber das wahre Grauen kommt am nächsten Tag in anderer Gestalt.

„Wir waren auf dem Weg zu Brenda, als wir über Wuppertaler Medien von einem Feuer in der Bandstraße erfuhren“, erzählt Chrissi. Bandstraße – die Adresse des Ehepaars Sommer östlich der großen Nordstadt-Friedhöfe. Die Nummer 13 ist ein stattliches Mehrfamilienhaus, typisch für die Nordstadt, wo im späten 19. Jahrhundert solcher Wohnraum nicht etwa für Arbeiter gebaut wurde, wie viele annehmen, sondern für die damalige Mittelschicht.

Auch wenn der gelbliche Fassadenanstrich aus dem Rahmen fällt, auch wenn die meisten Nachbarhäuser weitaus jünger sind, weil ihre Vorgänger aus der Gründerzeit den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fielen – Chrissi und Henning können auf den Pressefotos nicht ausmachen, ob es sich um ihr altes Haus handelt, das betroffen ist. Sie finden in Montreal ein Café, in dem ihnen WLAN zur Verfügung steht und zunehmend auch seelischer Beistand vom anwesenden Personal geleistet wird. Denn Zug um Zug offenbart sich das Ausmaß einer schweren Tragödie.

Von vorne sind die katastrophalen Schäden auf den ersten Blick kaum zu sehen – © Doro Schwabe

„Relativ bald wussten wir, dass es tatsächlich um unser Haus ging. Wir hatten erst einmal große Sorge um unsere Nachbarn.“ In fünf Wohnungen des Hauses Bandstraße 13 leben insgesamt neun Personen. Wie sich herausstellt, sind glücklicherweise nur vier daheim. Deren Erlebnisbericht klingt erschütternd. Patrick und Muriel H. sind Mieter in der zweiten Etage, direkt unter den Sommers.

„Ich habe gerade mein neun Monate altes Baby zu Bett gebracht, als ich eine Explosion hörte“, erzählt Muriel. „Mir war überhaupt nicht klar, was das gewesen sein könnte, ich glaubte, da sei in der Wohnung über uns ein Schrank umgekippt.“ Ihr Verdacht fällt auf Oskar und Sammi, die beiden Katzen des Ehepaars Sommer, um deren Versorgung sich Muriel und Patrick während der Kanadareise der Nachbarn kümmern. „Ich rief Patrick zu, er solle sofort nach oben rennen und nachsehen, ob den Tieren etwas passiert ist.“

Patrick sah viel Schlimmeres: „Ich habe unsere Wohnungstür aufgerissen, da bemerkte ich Rauch und unten im Treppenhaus grelles Licht von Flammen. Als ich die Tür wieder zuschlug, gingen die Rauchmelder an. So nützlich die natürlich sind, jagt einem das Heulen, das dann aus allen Wohnungen ertönte, große Angst ein. Wir sind erst einmal in Panik in die Küche.“

Was man in so einer Situation am besten tun sollte, ist einem selbstverständlich nicht klar. „Ich bin mit dem Baby unter den Tisch, weil ich immer noch an eine Explosion dachte“, berichtet Muriel. Zunehmender Rauch und Hitze verweisen dann aber klar auf ein Feuer. Mit rasender Geschwindigkeit breitet sich das Inferno aus. Geistesgegenwärtig wirft Patrick nasse Tücher über Muriel und das Baby.

Auf der Rückseite des Wohnhauses wird das ganze Ausmass der verheerenden Brandes sichtbar – © Doro Schwabe

Er versucht noch vergeblich, die eigene Katze zu retten, aber sie wird später tot von der Feuerwehr in ihrem Versteck gefunden. „Das Licht fiel aus, die Flammen waren schon hinter der Tür, wir konnten in der Küche nicht mehr atmen.“ Patrick und Muriel steigen mit dem Baby zum Fenster hinaus und auf den Sims. „Guck bloß nicht nach hinten“, sagt Patrick zu seiner Partnerin. Der Anblick der brennenden Wohnung sei purer Horror gewesen.

Tim Luhmann, Einsatzleiter der Feuerwehr, berichtet später, die junge Familie sei seiner Einschätzung nach kurz davor gewesen, aus der zweiten Etage zu springen. Es ist ungeheures Glück, dass sich die nächste Feuerwache nur zwei Fahrminuten entfernt in der August-Bebel-Straße befindet.

Patrick H. schätzt, dass zwischen der Explosion und der Rettung der jungen Familie über eine Drehleiter maximal zehn Minuten vergingen, aber eigentlich habe er in der Situation jegliches Zeitgefühl verloren. Nur Sekunden nach der Rettung zündet die Wohnung durch. Die vierte Person im Haus, eine Dame in der ersten Etage, hat sich zuvor schon über den Balkon der Nachbarn in Sicherheit bringen können.

Körperliche Schäden der Familie beschränken sich auf Brandverletzungen an der Hand und leichte Rauchvergiftungen, die eine nächtliche Unterbringung im Krankenhaus erfordern. Am nächsten Morgen wartet gleichsam das Nichts. „Das Treppenhaus ist komplett weg. Wenn man im Keller steht, kann man oben den Himmel sehen“, erzählt Chrissi Sommer, die ihre Bilanz aber immer noch aus der Ferne zieht.

Bange mutmaßt sie, dass sie und ihr Mann in der dritten Etage kaum eine Überlebenschance gehabt hätten. Für ihre beiden Katzen haben Freunde und Nachbarn eine Suchaktion gestartet, nur besteht kaum noch Hoffnung. „Alles, was wir besessen haben, ist weg. Unser Zuhause ist weg. Alle Erinnerungsstücke, meine Arbeiten, unsere Rechner, alles.“ Erster Impuls: sofort die Heimreise antreten. Nun aber bleiben Chrissi und Henning bis zum gebuchten Rückflugtermin in Kanada.

Zwei der vermissten Katzen sind inzwischen tot im abgebrannten Haus aufgefunden worden. Für eine gibt es noch Hoffnung, dass sie den Flammen rechtzeitig entkommen ist. Da die beiden tot aufgefundenen Tiere nicht mehr identifiziert werden konnten, ist nicht klar, welche Katze überlebt haben könnte – © Manfred Görgens

„Wir haben hier ein Dach über dem Kopf, können uns in Ruhe sortieren, PC und Telefon nutzen, wir sind versorgt, meine Mom backt uns sogar deutschen Pflaumenkuchen.“ Chrissi bleibt selbst in dieser Situation optimistisch. Priorität hat für das Ehepaar die Suche nach einer neuen Wohnung. Erst dann haben die beiden Platz, die von Freunden und Arbeitskollegen angebotenen Sachspenden überhaupt unterzubringen. Nur zu gut wissen sie, dass es ihre Nachbarn Patrick und Muriel härter getroffen hat. „Wir haben wenigstens noch unsere Koffer für drei Wochen Urlaub, die beiden hatten nicht einmal ein Handy dabei und sind auch nicht versichert.“

Spendenaufrufe: Hier können Sie den Brand-Opfer helfen

https://www.betterplace.me/spendenaufruf-brand-im-mehrfamilienhaus-wuppertal

https://www.betterplace.me/wuppertal-zuhause-durch-grossbrand-vernichtet

https://www.gofundme.com/f/junge-familie-nach-brand-hofft-auf-untersttzung

 

Da die berufliche Situation von Patrick und Muriel schwierig genug ist, hatten die beiden auf den Abschluss einer Versicherung verzichtet. Es mutet nahezu wie Häme an, was Patrick einzig in seiner Hosentasche retten konnte: die Schlüssel zu seiner Wohnung und der Wohnung der Sommers, die er nur bei sich trug, weil er wegen der Katzen zur Tür hinausgestürmt war. Schlüssel zu einem Zuhause, das es nicht mehr gibt.

Einstweilen ist das junge Paar samt Baby bei Freunden untergekommen. Um soziale Hilfe im vollen möglichen Umfang erhalten zu können, werden Personalausweise benötigt, die natürlich in den Flammen aufgingen. Aber es gebe bereits Unterstützung, vor allem durch die Diakonie.

Ansonsten werden Patrick, Muriel und alle anderen ehemaligen Bewohner des Hauses Bandstraße 13 auf Geldspenden aus der Bevölkerung angewiesen sein. Was die Brandursache angeht, so hat die Polizei bislang keine Erkenntnisse. Man weiß lediglich, dass das Feuer im Keller ausbrach. „Es ist wohl auch klar, in welchem Kellerraum“, sagt Patrick.

Text MANFRED GÖRGENS

 

 

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