22. Februar 2016

WSV-Star Heinz Bonn: Ermordet mit 50 Messerstichen

Die Geschichte Wuppertals ist untrennbar verbunden mit der Geschichte des Wuppertaler SV. Die Spiele des WSV, der Rot-Blauen Fußballer, 1954 aus der Fusion von TSG Vohwinkel 80 und SSV 04 Wuppertal entstanden, bewegten die Menschen seit ihrer fusionsbedingten Gründung 1954 emotional. Spiele und Spieler wurden zu Legenden. Die Stadtzeitung ist auf Spurensuche gegangen und stellt einige der Akteure vor. Heute: Heinz Bonn, gestorben 1991.

 

Er war so ein hübscher Junge. Seine Beatles-Frisur passte so recht in den Zeitgeist der zu Ende gehenden 60er Jahre. Mehr noch: Er konnte exzellent Fußball spielen. Nur mit einem Karton als Gepäck unter dem Arm, stellte sich Heinz Bonn, damals gerade einmal 21 Jahre alt, im Wuppertaler Stadion am Zoo zum „Vorspielen“ vor. Er kam vom fünftklassigen Landeslisten SuS Niederschelden bei Siegen und war ausgezogen, Fußballprofi zu werden.

Der neue WSV-Trainer Horst Buhtz musterte ihn und erkannte mit geschultem Auge sofort das große Talent, des gerade einmal 1,58 Meter messenden Fußballers. „Wenn du den Ball von hier bis zum Platz hochhalten kannst, ohne dass er hinunterfällt, dann bekommst du bei uns einen Vertrag“, hatte er zu ihm gesagt. Die Strecke war rund 40 Meter lang, doch für Heinz Bonn eine leichte Übung. Buhtz nickte! „Ich hätte dem auch so einen Vertrag gegeben. Selten habe ich so einen technisch versierten Abwehrspieler, so ein Ballgenie, gesehen“, gab er später zu.

Heinz Bonn war dann 1968 mit Hermann Straschitz und Werner Gräber einer von sechs Neuverpflichtungen, die sofort einen Stammplatz in der Mannschaft des damaligen Zweitligisten WSV erhielten. Den Wuppertaler Bundesliga-Aufstieg 1972 erlebte Heinz Bonn nicht mehr mit. Der WSV hatte seinen Publikumsliebling bereits 1970 mit Gewinn an den Bundesligisten Hamburger SV weiter verkauft. Das „Geheimnis“, das er mitnahm, wurde erst mit seinem Tode im Jahre 1991 gelüftet. Heinz Bonn war homosexuell, was in der damaligen Zeit – gerade im harten Fußballgeschäft – ein weit größeres Problem war als heute. Das unfreiwillige „Outing“ ergab sich vor jetzt exakt 25 Jahren. Da wurde Heinz Bonn im Alter von 44 Jahren ermordet, vermutlich von einem männlichen Prostituierten.

Scouts standen Schlange

Heinz Bonn hatte beim WSV zwei phänomenale Spielzeiten. Mitspieler Emil Meisen in der Nachschau: „Er war ein richtig netter Kerl.“ Die Presse überschlug sich, denn Bonn war auch ein Fußball-Ästhet, der sich als kleiner, aber knallharter Abwehrspieler im Stile eines Berti Vogts präsentierte, gleichzeitig aber auch brillante Pässe nach vorne brachte. Am Ende verpasste Wuppertal mit ihm zwar noch knapp den Aufstieg in die Bundesliga, doch für Bonn und den WSV hatten sich die Spielzeiten mehr als gelohnt.“ Denn die Scouts standen Schlange. Er entschied sich für den Hamburger SV. Klaus Ochs, damals HSV-Trainer, verkündet im April 1970: „Heinz Bonn wird unterschreiben.“ Die Ablösesumme betrug 75.000 DM.

Heinz Bonn ging sehr engagiert zu Werke, mitunter zu leidenschaftlich. Mannschaftskamerad Rudi Kargus, Ex-HSV-Torhüter, erinnerte sich: „Der Heinz war auf dem Platz ein knallharter Typ. Er hat alles abgegrätscht.“ Heinz Bonn erkämpfte sich förmlich den Spitznamen „Eisenfuß“. Ein Ballgenie, wie in Wuppertal, ist er in Hamburg indessen nie geworden. Das kann an einer überzogenen Erwartungshaltung gelegen haben. HSV-Star Charly Dörfel gibt zu: „Wir dachten uns: Das soll der neue Supertransfer sein?“ Anfangs schien es sogar, als sei Heinz Bonn zu zart für die Bundesliga. Er aber stählte sich weiter. Und so trat er im ersten Testspiel gegen die Glasgow Rangers den schottischen Nationalrstürmer Willie Henderson regelrecht aus dem Spiel. HSV-Trainer Klaus-Dieter Ochs tobte: „Ich habe Heinz Bonn klipp und klar gesagt, dass die Füße zum Spielen und nicht zum Treten da sind.“

Doch je stärker Heinz Bonn versuchte, seine äußere Fassade zu stählen, desto mehr zerbrach er daran. Bonns Leidensweg begann am 26. September 1970. Der HSV verlor mit 1:8 beim Außenseiter Rot-Weiß Oberhausen. Noch am Morgen des Spiels sorgte sich Trainer Ochs um seine Aufstellung, zahlreiche Profis hatten sich verletzt abgemeldet. Auch Heinz Bonn lag seit Tagen in Behandlung beim HSV-Mannschaftsarzt Dr. Kurt Fischer, er hatte einen Meniskusschaden und eine Gehirnerschütterung erlitten. Doch Bonn trainierte manisch.

Stolz verkündet er jedem Journalisten, der es hören wollte: „Ich hebe 140 Pfund.“ Schwarz auf weiß, gedruckt in der Hamburger Presse, liest sich dieser Satz wie Bonns Leitbild. Schwäche wollte er nicht zeigen. Angst habe er nur vor dem Zahnarzt, hatte er einmal gesagt. Und so stand Bonn an jenem 26. September 1970 voll motiviert am Mannschaftsbus. Die Spieler waren beeindruckt, zugleich konnten sie es kaum fassen. Charly Dörfel soll zu Uwe Seeler gesagt haben: „Der war doch vor ein paar Stunden noch in Vollnarkose!“ Auch in Ochs Augen spiegelten sich die Fragezeichen, als der Trainer in der Umkleidekabine ihn nach seiner Einsatzfähigkeit fragte, antwortete Bonn geradewegs: „Klar, Trainer!“

Sein Gegenspieler machte 5 Tore

Was dann passierte, verstand keiner seiner Mitspieler. In dem Spiel machte Bonns Gegenspieler, Hans Schumacher, fünf Tore, in der 80. Minute verschuldete Bonn zudem einen Elfmeter, Oberhausens Lothar Kobluhn verwandelte zum 8:1. Eine Katastrophe. Höher, nämlich 2:9 hatte der HSV bis dahin nur 1964 gegen 1860 München verloren. „Bonn war total von der Rolle“, erzählt Dörfel später. „Er hat eigene Leute gedeckt und angegriffen. Es war, als ob er unter Medikamenten stand.“

Auch die Mitspieler Jürgen Kurbjuhn und Willi Schulz waren fassungslos, doch Trainer Ochs ließ den sichtlich angeschlagenen Bonn auf dem Platz. Heinz Bonn musste schließlich mit angerissenem Meniskus raus, verschob aber die dringend notwendige Operation und trainierte stattdessen, gegen den Rat des Vereinsarztes, weiter wie ein Besessener. Ein verhängnisvoller Fehler, der sein Karriereende einleiten sollte.

Der „Kicker“ zog im Mai 1972 eine traurige Bilanz: „Vier Mal operiert, 55 Mal punktiert und der Verzweiflung nahe“. Hätte Heinz Bonn schon nach der ersten Operation auf den Arzt gehört, wären ihm die übrigen Operationen wahrscheinlich erspart geblieben. Bonn versuchte zahlreiche Comebacks, ein letztes am 14. Oktober 1972 im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern. Der HSV aber hatte dann 1973 genug von ihm. Nach nur 13 Bundesliga-Einsätzen wechselte Bonn zur zweitklassigen Arminia Bielefeld. Sein Marktwert war auf 35.000 Mark gesunken. In der ostwestfälischen Provinz kassierte er zwar mehr Gehalt als in Hamburg, wurde aber vom Heimweh geplagt. “Ich möcht‘ zu Fuß nach Hamburg geh‘n“, diese Überschrift eines Artikels in der „Morgenpost“ klang wie ein Hilferuf.
Heinz Bonn („Ich laufe hier herum wie ein Blindgänger“) war inzwischen zum fünften Mal am Knie operiert und zum 80. Mal punktiert worden. Er hauste in einer Ein-Zimmer-Wohnung über einer Gaststätte. „Es ist ein Wunder, dass mich die Mäuse noch nicht besucht haben“, klagte er der Presse sein Leid. „Alle 14 Tage“, erzählte Bonn damals, „fahre ich nach Hamburg.“ Dass sein Heimweh andere Gründe haben könnte, als die Hoffnung, wieder in Hamburg Fußball spielen zu können, ließ sich höchstens zwischen den Zeilen herauslesen. Bonn dachte angesichts seiner nicht enden wollenden Verletzungsmisere 1973 sogar an eine Rückkehr in seinen alten Beruf. Er wollte wieder als Metzger arbeiten, doch auch dieser Plan zerschlug sich. Er begann zu trinken, beendete 1986 still und leise seine Karriere. Danach verlor sich die Spur.

Die Endstation war eine schäbige Ein-Zimmer-Wohnung. Das tragische und grausame Ende eines innerlich völlig zerrissenen Fußballers: Am 5 .Dezember 1991 wurde er von 50 Messerstichen übersät tot in seiner Wohnung in Hannover aufgefunden. Der Ex-Wuppertaler Fußballer und HSV-Profi hatte tagelang dort gelegen, ehe ihn eine Nachbarin fand. Bonn, der 1000 Mark Rente wegen Sportinvalidität bezog, hatte in seinen letzten Jahren finanzielle Sorgen, trank viel und verkehrte im Stricher-Milieu. Das haben Polizei und Staatsanwaltschaft in Hannover ermittelt. Ermordet, vermutlich von einem Strichjungen. Die Bluttat brachte Bonns Homosexualität, seine Kontakte ins Milieu und damit sein bizarres Doppelleben ans Licht. Aufgeklärt ist der Mord, auch heute nach 25 Jahren, noch nicht.

„Es regiert Feigheit vor dem Fan“

NDR-Redakteur Andreas Becker hat sich aktuell zwei Jahre lang auf Spurensuche begeben und neben den einstigen Fußball-Idolen Seeler, Schulz und Pröpper auch Bonns Schwester Ruth, einen ehemaligen Mannschaftskameraden aus seiner Heimat in Siegen und einen Nachbarn befragt, um das Leben des Bundesliga-Kickers nachzuzeichnen. Die Sendung des NDR lief am 18. September diesen Jahres im Nachtprogramm. Sein Fazit: Als Bonn Fußball spielte, gab es noch den aus der Nazizeit stammenden Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, der gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stellte. Das Wuppertaler Fußballidol Günter Pröpper: „Es war besser, dass er sich nicht geoutet hat, viele hätten gelästert!“ Der Historiker Werner Skrentny: „Es war eine Zeit, da haben sich die Journalisten noch nicht für das Privatleben interessierten. Ein Outing wäre damals undenkbar gewesen.“ Bonns einsamer Tod löste weder eine Welle der Bestürzung noch eine Debatte um Fußballer und Homosexualität aus. Im Fußball-Deutschland des Jahres 1991, mit der noch immer anhaltenden Euphorie nach dem WM-Titelgewinn von 1990, war der Fall Heinz Bonn den meisten Medien nicht mehr als eine Kurzmeldung wert. Eine Marginalie. Ganz ähnlich verlief es übrigens bei seinem damaligen Trainer Ochs, dessen Homosexualität erst viel später bekannt wurde. Ochs arbeitete danach als Religionslehrer und verstarb 2015 im Alter von 75 Jahren in einem Wattenscheider Pflegeheim. „Die Welt“ schrieb 2014 zum Thema „Homosexualität und Fußball: „In der Bundesliga regiert die Feigheit vor dem Fan“.

Text: Siegfried Jähne

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